Auf den Punkt 22: Rossini zahlt kein Schutzgeld

Auf den Punkt 22: Rossini zahlt kein Schutzgeld  klassik-begeistert.de, 24. August 2024

Nicolas Fink © Marco Kitzing

Rossini verstand sich auf feinste Ironie. Seine Petite messe solennelle dauert 90 Minuten, das Werk müsste also heißen: Grande messe solennelle. Zumal es damals Zeitgeist war, alles als Grande zu titulieren. So wie heute jedes Konzert mindestens mega ist. Besucher der Elbphilharmonie kennen das, da ist immer alles so was von mega, selbst vor und nach einem Bruckner-Adagio wird megamäßig applaudiert.


Gioachino Rossini
/ Petite messe solennelle

Öffentliche Uraufführung: 24. März 1864 (La Sainte-Trinité, Paris)


Stefania Dovhan
/  Sopran
Anna Alàs i Jové / Mezzosopran
Pietro Adaíni / Tenor
Simon Lim / Bass

Philip Mayers / Klavier
Petteri Pitko / Harmonium

Schleswig-Holstein Festivalchor
Nicolas Fink / Dirigent

Dom, Ratzeburg, 23. August 2024

 von Jörn Schmidt

Wirklich klein ist nur die Besetzung der Messe. Weil für die Einweihung der Privatkapelle eines befreundeten Pariser Grafenpaares komponiert, war einfach kein Platz für große Chor- und Orchestermassen. Simplify your life, dachte der Komponist. Wie passt es dazu, dass Rossini doch noch eine Orchester-Fassung schuf?

Nun, Rossini fürchtete die Orchester-Mafia. Insbesondere die Herren Antoine Joseph Sax, also der mit dem Saxophon, und Hector Berlioz saßen ihm im Nacken. Die hatten nämlich ihre Mittel, „um ein paar Singstimmen tot zu schlagen.“  Rossini musste dabei auch um sein eigenes Leben fürchten, er beschrieb die Arbeit an seiner Orchesterfassung schonungslos: „Wobei sie [Anm.: also die Orchester-Mafia] auch mich glücklich umbringen würden…“ Das habe ich übrigens aus vertrauenswürdiger Quelle, die nicht genannt werden möchte.

Da waren bestimmt auch Schutzgeld-Zahlungen im Spiel, denken Sie? Oder ein sonstiges Angebot, das man nicht ablehnen kann?  Mitnichten, sagen meine Quellen. Rossini war clever und sorgte mit seiner  Orchesterfassung für vollendete Tatsachen: „Ich bin daher nun beschäftigt, meinen Chören und Arien in der Weise, wie man es früher zu tun pflegte, ein Streichquartett und ein paar bescheiden auftretende Blasinstrumente zu unterlegen, die meine armen Sänger noch zu Worte kommen lassen.

Also alles doch abwegig, das mit der Orchester-Mafia? Dann legen Sie mal ein paar Wikipedia-Fakten nebeneinander. Der Ursprung der Mafia im heutigen Sinne reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, also in die Zeit der Uraufführung. Besonders berüchtigt ist die Camorra, die vorwiegend in Neapel und Kampanien tätig ist. Und wie erklärt sich die ungewöhnlich anmutende Instrumentierung mit zwei Klavieren und Harmonium?  Genau, die Instrumentierung steht in der neapolitanischen Cembalo-Tradition des 18. Jahrhunderts…

© ratzeburgerdom.de

Napoli ist eben überall, und in diesem Falle ist das eine richtig gute Sache. Das kammermusikalische Original ist der Orchesterfassung unter vielen Aspekten überlegen. Die Abwesenheit eines Orchesters führte in Ratzeburg zu einer hohen Transparenz des Schleswig-Holstein Festivalchores, dessen Stimmgewebe war trotz Dom-Akustik unglaublich durchhörbar. Der Mann am Klavier, Philip Mayers, sorgte für druckvollen, leichtfüßigen Rhythmus. Bereits auf dem Gloria war richtig Zug.

Und damit  auch wirklich kein Weihrauch in der Luft hängt, hat Rossini dem Klavier ein Harmonium zur Seite gestellt. Das Instrument gehört zu den Aerophonen, es verbreitet Exotik gleich einem Akkordeon. Die nötige Frischluft für die Durchschlagzungen des Harmoniums verantwortete Petteri Pitko.

Ebenso ließ Nicolas Fink  mit seinem Dirigat keinen Zweifel aufkommen, dass Rossini seinen eigenen, intelligenten Blick auf die Welt und ihren Schöpfer hat. Stefania Dovhan, Anna Alàs i Jové, Pietro Adaíni und Simon Lim wurden übrigens auch in Rossinis Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Sie dankten es mit Höchstleistungen, angstfrei singt es sich einfach besser.

Zusammen hatte man sozusagen einen heiligen Spaß, doch im Agnus Dei rächte sich das. Plötzlich fehlte jede Menge  Weihrauch, und das Harmonium war einfach nur deplatziert. Was mit Orchester zu Tränen rühren kann, wirkte plötzlich kalt und leblos.

Man kann einer Messe eben doch nicht den Glauben austreiben, und dem Publikum erst recht nicht. Der Komponist stellte seinem Werk daher gleich mal einen charmanten  DISCLAIMER voran: „Lieber Gott… Ich bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es wohl! Ein bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.

Jörn Schmidt, 23. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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