Così fan tutte Hamburg © Hans Jörg Michel
An Mozarts Oper Così fan tutte hat sich schon so mancher Dirigent schwer verhoben. Allein schon all die Rezitative. Da kann das Orchester noch so schön spielen und das Ensemble himmlisch singen. Oft bleibt dem Zuschauer ein digitaler Eindruck, ein On-off schöner Melodien und schlimmen Stillstands. Kein Spannungsbogen weit und breit. Der Halbbruder von Piano Man Billy Joel hat nun in Hamburg den Così-Code geknackt.
Wolfgang Amadeus Mozart / Così fan tutte
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Alexander Joel / Dirigent
Hamburgische Staatsoper, 25. Juni 2025
von Jörn Schmidt
Billy Joel ist ein US-amerikanischer Sänger, Pianist und Songschreiber. Der Beiname Piano Man leitet sich ab von seinem gleichnamigen Hit aus dem Jahr 1973 und beschreibt dem Künstler perfekt. Billy lebt die Musik, so wie in seinem Song:
“And the piano, it sounds like a carnival
And the microphone smells like a beer”
Ganz offensichtlich liebt Billy Joel auch das Genre, in dem sein Halbbruder reüssiert. Hören Sie nur das Prelude zu Angry Young Man. Erinnert stark an eine Sonate von Domenico Scarlatti. Oder auch an Bach. Kundige Leser mögen das in den Kommentaren präzisieren.
Und vielleicht hat Billy Alexander mal gesagt, wie Mozart klingen muss:
“Sing us a song, you’re the piano man
Sing us a song tonight”
Genau das hat Alexander Joel in Hamburg gemacht. Wo historisch informiert arbeitende Dirigenten Mozarts unglaubliches emotionales Spektrum mit Kühle und Formstrenge zudecken, trägt Joel ziemlich dick auf.
Wenn Don Alfonso (Tigran Martirossian) sich als altersweiser Philosoph gibt und seinen jungen Freunden Ferrando (Dovlet Nurgeldiyev) und Guglielmo (Nicholas Mogg) erläutert, dass Frauen untreu sind und man ihnen nicht trauen kann. Dann tönt es aus dem Orchestergraben bierselig.
Und als es gilt, sich zu verkleiden, verordnet Joel seinen Musikern Mummenschanz. Mit sicherem Gefühl, wann diese fröhliche Unbeschwertheit umkippt und die Musik ein wenig mehr grummeln muss. Der Orchesterklang blieb dabei stets warm, mit dunklem Schmelz im Blech.
Herrlich wie Despina (Siobhan Stagg) sich als Notar verkleidet und falsche Eheverträge vorlegt. Oder wie Fiordiligi (Jennifer Davis) und Dorabella (Jana Kurucová) sich offen geben für neue Konstellationen. Joel hat seine Freude, dazu den Soundtrack zu liefern.
Joels Così-Code ist so denkbar einfach wie schwer umzusetzen. Nicht Handlung und formale Strukturen machen den Spannungsbogen, sondern große Gefühle. Mozarts Welt ist voll davon. Man muss nur zugreifen und reihe mit federnder Motorik das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle aneinander und erzähle so eine Geschichte.
Mozart muss auch mal nach Bier und Karneval klingen dürfen. Dann wachsen Arie, Duett, Terzett, Quartett, Quintett, Sextett, Chor und Rezitativ zusammen, verdichtet wie ein guter Popsong. Der Dirigent als Piano Man. You’ve got us feelin’ alright, Alexander.
Jörn Schmidt, 27. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Auf den Punkt 63: Kent Naganos Abschied Hamburgische Staatsoper, 10. Juni 2025
Auf den Punkt 62: Simone Young Hamburgische Staatsoper, 8. Juni 2025
Auf den Punkt 60: CSO, Jaap van Zweden / Dirigent Elbphilharmonie, 17. Mai 2025