So lebt die Klassik-Szene auch im 21. Jahrhundert: Das Belcea Quartet gastiert in der Hamburg Elbphilharmonie mit zwei Beethoven-Quartetten und einem Auftragswerk

BELCEA QUARTET, Streichquartette von Beethoven und Julien Anderson  Elbphilharmonie, 16. Februar 2024

Belcea Quartet © Marco Borggreve

Beethoven umrahmt ein Auftragswerk von Julian Anderson: Das Belcea Quartet ehrt die neuen wie die alten Meister mit einem fabelhaft gespieltem Streichquartettabend in der Hamburger Elbphilharmonie. Solcher Konzerte wegen lebt die Klassik-Szene weiterhin so fröhlich wie in Zeiten der Wiener Klassik!

Belcea Quartet

Corina Belcea, Violine
Suyeon Kang, Violine
Krsysztof Chorzelski, Viola
Antoine Lederlin, Violoncello

Werke von Ludwig van Beethoven und Julian Anderson

Elbphilharmonie Hamburg, 16. Februar 2024

von Johannes Karl Fischer

Ein paar Töne von Julian Andersons frisch komponiertem 4. Streichquartett (2023) sind gezupft und gestreift, schon kommt die Musik zu einem abrupten Stillstand. Eine Bratschensaite ist geplatzt, so kann es natürlich nicht einfach weiter gehen. Kurze Unterbrechung, ehe der Bratschist mit seinem heilen Instrument samt frisch aufgezogener Saite wieder die Bühne betritt. „Gehört das dazu?“ fragt meine Sitznachbarin halbironisch. Naja, in den Noten wird es wohl kaum drinstehen. Aber zum Geist dieser lebendigen Klänge? Da passt es bestens!

Mal hier ein Cello-Solo, drei Takte später fliegt ein fein gezupfter Violinakkord durch den Saal. Dieses Quartett ist ein bisschen wie ein Spaziergang durch eine rege Großstadt: Man blickt einmal um die Ecke, schon steht man in einer völlig neuen Welt. Stets in Bewegung, stets die Welt erkundend. Da könnte genauso gut ein Glöckchen läuten oder eine Vogelpfeife trillern… dann wären wir vollständig im Boulez- oder Messiaen-Stil angekommen.

Beethoven wäre auf jeden Fall begeistert gewesen! Man bedenke, als die Werke des großen Wiener-Klassik-Meisters uraufgeführt wurden, waren die auch neu. Da sind die Leute ins Konzert gegangen und hatten keine Ahnung, was sie erwarten würde. So lebendig kann auch Klassik sein, das geht in dieser Szene heutzutage leider allzu oft etwas unter. Nicht hier mit dem Belcea Quartet!

Apropos Beethoven: Dessen Werke belegten eigentlich den Löwenanteil des Abends. Das leichte, herzhafte, noch deutlich im Stile Haydns komponierte Quartett op. 18/4 zu Beginn. Freudevoll und mit ordentlich Biss stürzten sich die vier Musiker in die flotten Töne. Vor allem die erste Violinistin Corina Belcea schien mächtig Spaß an dieser Musik zu haben, mühelos segelte sie über alle Saiten und brachte ein gutes Wiener Lüftchen an die Elbe. Das Scherzo ein bisschen langsamer, als man es sich vielleicht vorstellen würde, doch umso scherzhafter, stets mit kecken Einsätzen und lustigen Dynamikwechseln.

Auch nach Pause ging es mit Beethoven weiter, und zwar mit dem Quartett op. 127, ganz am anderen Ende seiner Schaffenszeit. Und was war das für ein Wahnsinnskontrast zu dem Eröffnungswerk des gleichen Komponisten: Hupfte das erste Beethovenquartett noch luftig, hell und frisch umher, so strahlte dieses nach Wärme und farbenfrohen Klangwolken. Als würden die 11-Stimmingen Streicherakkorde majestätisch aus einer Orgel tönen. Die Verwandlung der Wiener Klassik in die Romantik ist perfekt, der Weg zu den musikalischen Weiten von Strauss, Wagner und Co. geebnet.

Sowas braucht nicht nur einen in der Musikgeschichte einzigartigen Komponisten, sondern auch vier mindestens ebenso geniale Musiker, um diese Verwandlung an das Publikum weiterzugeben. Das Belcea Quartet war dieser Aufgabe mehr als gewachsen: Die lyrischen Passagen strahlten voll kammermusikalischer Intimität, der Cellist grub die lang gezogenen Melodien aus den Tiefen seiner Saiten aus. Wie auf einer Wolke schwebten das Quartett hier über die zahlreichen Tonartwechsel hinweg, brachten dabei jedes Mal eine gänzlich neue Klangwelt zum Vorschein.

Belcea Quartet © Marco Borggreve

Wagner hatte eben die unendliche Melodie, Beethoven die unendliche Magie. Und genau wegen solchen Darbietungen wollen die Leute – ich auch – diese meisterhaften Streichquartette auch 200 Jahre nach ihrer Uraufführung immer noch hören. Aber so richtig Spaß macht das Ganze erst, wenn neben den unendlich oft gespielten Meisterwerken auch was spannendes, neues zum Klingen kommt. Wenn Saiten platzen und die Bogenhaare reißen. Die alten Meister werden eben nicht verachtet, wenn neue Kunst geehrt wird. Ganz im Gegenteil: Ohne neue Musik wäre die Klassik-Welt ein Irrtum, das wusste auch schon Beethoven!

Leider blieben trotz offiziell ausverkaufter Vorstellung einige Plätze unbelegt, schade. Ob das bei dem parallel im großen Saal laufenden Gala-Abend mit dem Wagner-Startenor Klaus Florian Vogt auch der Fall war?

Johannes Karl Fischer, 16. Februar 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Ein Gedanke zu „BELCEA QUARTET, Streichquartette von Beethoven und Julien Anderson
Elbphilharmonie, 16. Februar 2024“

  1. Johannes hi!

    Unabhängig vom Inhalt der Kritik: Es freut mich, dass noch jemand Kammermusikabende besucht und darüber berichtet. Dachte, ich sei schon alleine damit.

    Die Sorge, die Oper sei dem Untergang geweiht, lässt einige schon nicht in Ruhe. Beobachtet man Mal den Altersdurchschnitt bei Kammermusik, sollte diese Befürchtung noch viel größer sein.

    Liebe Grüße
    Jürgen Pathy

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