Hamlet 2023 © W. Hoesl
Die Hausgötterdämmerung in München manifestiert sich weiter: Mozart, Wagner und Strauss – ihnen zu Ehren wurden die Opernfestspiele einst gegründet – sind schon lange nicht mehr der unangefochtene Mittelpunkt der Festspiele. Nachdem letztes Jahr mit Krzysztof Pendereckis „Die Teufel von Loudun“ eröffnet wurde, dieses Jahr also Brett Deans „Hamlet“. Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski ließ sich im Vorhinein dahingehend zitieren, dass man sich in dieser Produktion so fühle, als wäre man „in einer Shakespeare-Inszenierung und in einem Tarantino-Film gleichzeitig gewesen“. Das Einzige jedoch, was so wirklich an Tarantino erinnert, war die Länge. Kein schlechter, aber ein langatmiger Abend.
Nationaltheater München, 26. Juni 2023, PREMIERE
Brett Dean, Hamlet
Vladimir Jurowski, Dirigent
Bayerisches Staatsorchester
Neil Armfield, Regie
Ralph Myers, Bühnenbild
von Willi Patzelt
Kaum – so könnte man boshaft unterstellen – ist die Musik nicht mehr schön eingängig, gönnt einem der Kunstbetrieb wieder eine Inszenierung, die nicht auf Metaebenen gehoben, ja nicht symbolistisch abstrahiert wird. Man kann der Inszenierung an diesem Abend wirklich wenig vorwerfen. Diese Produktion lief bereits in Glyndebourne, an der Met und in australischen Adelaide. Ob eine „Viertverwertung“ einer Münchner Festspieleröffnung wirklich würdig ist, sollte jedoch hinterfragt werden.
Etwas unkreativ und leicht antiquiert, ja sehr britisch, wirkt das ganze Schauspiel. Damit steht es in krassem Gegensatz zur Musik. Brett Deans Musik hat etwas Psychedelisches. Sie ist auf Klang ausgelegt und von unglaublicher Spannung durchtrieben. Spannung entsteht hier in der Regel durch hohe Spaltklänge, die zunächst fahl und immer lauter werdend, später an menschliche Schreie erinnern. Dennoch nutzt sich die Musik schnell ab. Einzelne, immer wieder herausragende Stellen ausgenommen, wirkt vieles austauschbar. Der Bayerischen Rundfunk hat, so war schon einige Tage vorher zu lesen, erfahren, Brett Dean komponiere nicht am Klavier, sondern mit seiner Bratsche in der Hand. Womöglich – verzeihen Sie mir das ironische Bratscher-Bashing – erklärt das einiges!
Dass das Bayerische Staatsorchester ein genialer Klangkörper ist, wurde an diesem Abend wieder mehr als deutlich. Selbst auf diesem ungewöhnlichen Terrain spielt es mit einer Präzision und Ausgeglichenheit, die höchst beeindruckend ist. Vladimir Jurowski hält das Geschehen fest in seinen Händen. Ein primär organisierendes, sachliches und dadurch wirkungsvolles Dirigat!
Insgesamt ist der Abend jedoch deutlich zu lang. Umso höher ist die Leistung der Sänger einzuschätzen – allen voran mit Allan Clayton als Hamlet. Es ist wirklich undankbare Musik zum Singen. Hier soll mehr eine Art Sprechgesang statt Melodieführung den Wahnsinn schaffen. Clayton stemmt sich effektvoll durch den Abend. Besonders überzeugend ist an diesem Abend Caroline Wettergreen als Ophelia. Neben einem ansprechenden Ensemble war natürlich die Rückkehr des großen Wotans John Tomlinson als Geist, Totengräber und Schauspieler eine besondere Freude.
Shakespeares Hamlet ist genial konzipiert. Er hat auch sicherlich das Potential eines Thrillers. Deans Münchner Hamlet bringt jedoch kaum Tiefenschichten (Nebengeschichten werden entfernt); die Musik ist durchaus recht überzeugend, aber auch nicht mehr. Das Format eines Tarantino hat dieser Hamlet in keinem Fall. Die Reaktion des Münchner Publikums wirkte ebenso recht unentschlossen. Denn schlecht war es nicht, so wurde artig applaudiert. Auf große Erweckungserlebnisse muss man sich jedoch nicht einstellen.
Willi Patzelt, 27. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Krzysztof Pendereckis, Die Teufel von Loudun Bayerische Staatsoper, München, 27. Juni 2022 PREMIERE
Giuseppe Verdi, Otello Nationaltheater München, Münchner Opernfestspiele, 21. Juli 2021