Bruckner in der Elphi: der Hamburger Konzerttempel wird zum Gotteshaus

Bruckner, Te Deum & Sinfonie Nr. 6   Elbphilharmonie, 18. September 2024

Pablo Heras-Casado © Fernando Sancho

Da spurtet im offenen, blütenweißen Hemdkragen – zwei Knöpfe oben offen, meine Herren, ZWEI! – ein Ritter des Ordens der Kunst, ohne Baton in der Hand, aber ebenso schneeweißen Manschetten (davon gleich), aufs Dirigentenpult der Elbphilharmonie, und dann brucknert es derartig, als wäre der unsterbliche Meister unter der Orgel in St.Florian aus seiner Gruft entstiegen, und hätte selbst dirigiert: Pablo Heras-Casado.

Happy birthday, Bruckner!

Bruckner, Te Deum & Sinfonie Nr. 6 

Christina Landshamer, Sophie Harmsen, Daniel Behle, Franz-Josef Selig

SWR-Vokalensemble & WDR Rundfunkchor
Dirigent Pablo Heras-Casado

Elbphilharmonie, 18. September 2024

von Harald Nicolas Stazol

Und ich sage Ihnen: Der Name ist Programm.

Da versuche ich doch seit Saisonbeginn dem Kindergärtner, dem jungen Monsieur Baptiste, Hüter meines Ziehsohnes Aris, 3, ein Konzert zu ergattern, und der NDR erlaubt es, und schon hat man das SWR-Orchester am Start, mit einer Symphonie, die unter des Katalanen sachter Hand ja so libellenflughaft beginnt, und so göttlich-gigantisch endet. Aber wir greifen vor.

Sage ich doch noch am Lycée Antoine de St. Exupéry, c’est Mahler. Mais non! Es ist natürlich Anton Bruckner, die sechste, die einzige unter den zehn, die er nicht mehr umschrieb – die hab ich doch als Blu-ray noch irgendwo unter Thielemann… und dann finde ich Karajan. Und höre den ersten Satz. Und falle vom Glauben ab.

Bruckner eben nicht. Schon als Baby hört er gerne Vaters Spinett, der tiefgläubige Katholik, der die schönste Kirchenmusik auf Erden schrieb, aber langelang von der Kirche nicht anerkannt wird, vor genau 200 Jahren wurde er geboren – was für eine große Geste des SWR es ist, dies nun hier aufzuführen. Für anderthalb Stunden liegt Hamburg an der Donau, wird Hamburg zum alten Wien, zu k.u.k.

Dem Kaiser widmet er sie nicht, seine Sechste, er „hat sie schon einem Höheren gewidmet“ – dreimal wird beim Tode eines Kaisers an der Kapuzinergruft geklopft, „Wer will Einlass?“ fragt der Abt, „Franz Joseph, Kaiser von Österreich, König von Böhmen und Ungarn, etc. etc“ – „Wir kennen Ihn nicht.“ Tür bleibt zu. So geht das hin und her, bis es vor der Tür nur noch kleinlaut heißt: „Ein armer Sünder.“ Dann macht der Obermönch auf, und die Gruft ist frei.

Christina Landshamer © Marco Borggreve

DAS ist der Katholizismus Anton Bruckners. DARUM heißt das Programm „Te Deum“. Und ich bin da mit Monsieur Baptiste, „dem Täufer“. Na das kann ja was werden…

Da scherze ich noch jovial-protestantisch mit dem Paar neben dem Franzosen – „ach Sie sind es!“, man hat ein Abonnement, „Da werden wir ja alle bald ergriffen sein?“

Nun, nachdem ich sie gehört habe, die Sechste und sein Te Deum, erscheint mir diese Bemerkung als töricht, ja, fast als Blasphemie.

Zur Sechsten. In allen Sätzen diese Modulationen, schrieb ich: „Wäre dieser Satz nicht von mir geschrieben, er würde sich wiederholen, dann noch einmal, dann etwas anders, dann ganz anders, und dann völlig neu“. So werde ich es jedenfalls Edison erklären, 6, des Aris großen Bruder.

Und ihnen von einem Dirigenten erzählen, der gar keinen Stab benötigt, rudert, kniet, beflügelt mit weit ausgebreiteten Armen, bald den Finger vor den Mund legend, bald mit den Fingerspitzen trillernd – man möge mir glauben, mein Zeiss-Glas lügt nicht – bald sich drehend wie ein Flamencotänzer, aber ich übertreibe. Und, believe me,  glaubt mir – dazu sind die weissen Manschetten da, es ist wie bei einem Jumbojet auf der Rollbahn, der von dem Mann mit den gelben Tennisschlägern zum Gate hin eingeordnet wird.

© sophieharmsen.com

Jedenfalls schafft es der Spanier, auch in Iberien mit Orden überhäuft, einen ganzen Brückenbogen Bruckner hinzuzaubern, es ist, als geriete man in eine religiöse, überirdische Sphäre, die sich real über eine Stunde hinzieht, was man aber auch nur bemerkt, wenn man aus einer Trance erwacht nach jedem der vier Sätze, und heimlich auf die Uhr guckt. Bruckner macht zeitlos.

Die Bekannte mit dem Abo sagt noch, „Ich sacke immer weg im ersten Satz“, bei Bruckner? „Keine Chance“, sage ich.

Und, wessen ich noch nie gewahr wurde – nach dem ersten Satz, in dem man ganze Landschaften voller Naturgewalten erhören wird, wagt einer ein zaghaftes Klatschen, und der ganze Saal macht „Shhhhhhh!“

Daniel Behle © Marco Borggreve

Und dann der zweite, der dritte Satz, was müssen die Posaunen pusten und die Streicher mal ganz sacht, dann mit vollem Bogen fiedeln, und die Flöten erst, und ja, es gibt fünf Pauken, und acht Bassgeigen. Brucknerlike halt.

Franz-Joseph-Selig © Marion Koell

Pause, Baptiste ist ganz ergriffen, ich zumindest fühle mich geläutert, dazu ein spritziges Getränk, Messwein für die Hochmesse, die nun folgt, das Te Deum. Wer danach noch Atheist ist, ist auch nicht mehr zu retten!

Der Chor, die Chöre allein! Der vom SWR gilt als sans pareil, ohne Gleichen, und in den folgenden 25 Minuten eben Hochamt, man wähnt sich in einer Kathedrale, die Philharmonie wird zum Gotteshaus, was auch den Solisten zu danken ist, allen voran der Sopranistin Christina Landshamer, brillanter, fast messerscharfer Höhen, der Altistin Sophie Harmsen, wunderbar modulierend, dem Tenor Daniel Behle, „feierlich-intensiv“ notiere ich, und dem über-tiefen Bass Franz-Josef Selig, „Solo ruhig und friedengebend“ steht in meinen Zeilen.

Das letzte Wort in meinem Block aber:

„ENGELSGESANG!!!“

Harald Nicolas Stazol, 22. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Kent Nagano, Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 5 B-Dur Elbphilharmonie, Großer Saal, 4. März 2024

Daniel Barenboim, Staatskapelle Berlin, Richard Wagner, Anton Bruckner, Elbphilharmonie

Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 5, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Kent Nagano, Elbphilharmonie Hamburg

Sommereggers Klassikwelt 250: Anton Bruckner klassik-begeistert.de, 4. September 2024

Ein Gedanke zu „Bruckner, Te Deum & Sinfonie Nr. 6 
Elbphilharmonie, 18. September 2024“

  1. „Der Chor, die Chöre allein! Der vom SWR gilt als sans pareil, ohne Gleichen…“
    Der SWR Chor, vor Jahren aus Spargründen zum Vokalensemble geschrumpft (der NDR hat es nachgemacht 😠), wäre nicht ansatzweise in der Lage gewesen, Bruckners Te Deum zu singen. Die Hauptlast lag auf den Schultern des bedeutend größeren WDR-Chores.
    Aber beide Chöre zusammen waren – ich habe das Konzert zwei Tage zuvor in Mainz gehört – wirklich großartig. Zahlenmäßig weniger Personen als im Orchester, aber klanglich auch im forte nicht untergebuttert. Und hatten eine Durchsichtigkeit und Flexibilität in den a-cappella Stellen, die ihresgleichen sucht. Und ein Piano 🫠 …

    Prof. Karl Rathgeber

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