Buch-Rezension:
Eine Lektüre, die nicht nur für Musikinteressierte lohnend ist.
Der Dirigent Hans Swarowsky (1899-1975)
Musik, Kultur und Politik im 20. Jahrhundert
Markus Grassl, Reinhard Kapp (Hg.)
Böhlau
von Peter Sommeregger
Die Biografie eines Dirigenten mit über tausend Seiten? Und es ist nicht einmal einer der Pultgötter, die das musikalische 20. Jahrhundert geprägt haben, wie etwa Klemperer, Karajan oder Furtwängler.
Auf den zweiten Blick aber entpuppt sich diese erschöpfende Würdigung von Hans Swarowsky (1899-1975) fast wie ein „who is who?“ der Zeit vor dem ersten Weltkrieg und den Jahrzehnten danach. Aus eigenem Erleben kennt man ihn noch als Dirigent an der Wiener Staatsoper, wo er ein überraschend breites Repertoire abdeckte. Seine damalige Bedeutung lag aber wohl mehr in seiner Lehrtätigkeit, die Liste der Schüler seiner Dirigenten-Klasse liest sich wie eine Aufzählung der bedeutendsten Dirigenten späterer Jahre. Claudio Abbado, Zubin Mehta, Giuseppe Sinopoli und die Brüder Fischer seien hier nur als Beispiel genannt.
Ungewöhnlich schon die biographischen Details dieses bewegten Lebens. Durch den schwer reichen Vater, dessen uneheliches Kind er war, erlebte er in seiner Kindheit Reichtum und materielle Sicherheit. Später verlor der Vater sein Vermögen, davor schon hatte Hans Swarowsky das Wohlwollen des jüdischen Bankiers und Industriellen verloren. Bewusst hatte die Mutter ihren Schwager für die Behörden als Vater des Sohnes und seiner Schwester ausgegeben, so fehlte in offiziellen Dokumenten ein Hinweis auf die jüdische Abstammung, was in der Zeit des „Dritten Reiches“ von Bedeutung wurde.
Der vielseitig interessierte junge Hans diente im ersten Weltkrieg als Soldat, danach studierte er an der Wiener Universität Philosophie und Kunstgeschichte, begann aber gleichzeitig Unterricht bei den Komponisten Arnold Schönberg und Anton Webern zu nehmen. Die Begegnung mit diesen Protagonisten der zweiten Wiener Schule waren für Swarowsky prägend. Politisch sympathisierte er, wie seine erste Ehefrau, mit den Kommunisten.
Seine ersten Stellungen als Kapellmeister erhielt er an der Wiener Volksoper und dem Stuttgarter Opernhaus. Über eine Station in Gera gelangte er 1934 an die Hamburgische Staatsoper, 1935 schließlich an die Berliner Staatsoper. 1936 erhielt er angeblich Berufsverbot und wirkte von 1937 bis 1940 am Zürcher Opernhaus. Ins Deutsche Reich zurückgekehrt, war er von 1940 bis 1944 als Dramaturg bei den Salzburger Festspielen tätig.
Von 1944 bis Kriegsende leitete er im besetzten Polen das Philharmonische Orchester des Generalgouvernements Krakau. Ganz entgegen der Haltung von Hitlers Statthalter Frank, den man später als den Schlächter von Polen bezeichnete, vertrat Swarowsky eine polenfreundliche Haltung, setzte sich für eine Erhöhung von Essensrationen für die polnischen Musiker ein. Für Swarowsky war dies eine Gratwanderung, da er beständig fürchten musste, seine teilweise jüdische Abstammung könnte entdeckt werden. Es gelang ihm, sich in den Wirren des Kriegsendes nach Wien durchzuschlagen.
Nach Kriegsende leitete der Dirigent zwei Jahre die Wiener Symphoniker, von 1947 bis 1950 war er Direktor der Grazer Oper, danach widmete er sich hauptsächlich seiner Lehrtätigkeit, dirigierte in seinen letzten Jahren aber noch etwa 180 Vorstellungen an der Wiener Staatsoper.
Die akribisch recherchierte Biografie durchleuchtet den turbulenten Lebensweg Swarowskys unter allen nur denkbaren Aspekten. In dem Buch werden Beiträge verschiedener Autoren zusammengeführt, was die Vielfalt der berücksichtigten Fakten durchaus steigert. So erschließt sich nach und nach die vielschichtige Persönlichkeit Swarowskys, und seine Vernetzung mit bedeutenden Persönlichkeiten wird erkennbar. Sei es die Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dem Vater der Psychoanalyse, oder der Unterricht bei Schönberg und Webern, der für den jungen Musiker prägend war.
Ausführlich Bezug genommen wird auch auf den leiblichen Vater Swarowskys, den schillernden Josef Kranz, der mit seinem enormen Vermögen eine wirtschaftlich bedeutende Rolle in der Doppelmonarchie spielte und ein leidenschaftlicher Kunstsammler war, was bei seinem Sohn das lebenslange Interesse an der Kunstgeschichte weckte.
Den Herausgebern Markus Grassl und Reinhard Kapp ist es gelungen, zahllose Beiträge aus den verschiedensten Quellen zusammenzuführen und so auch ganz unterschiedliche Seiten der komplexen Persönlichkeit Swarowskys aufzuzeigen, der neben seiner musikalischen Prägung auch allgemein kulturelle und politische Neigungen entwickelte und wesentlicher Zeitzeuge der brutalen kulturellen Brüche in seiner Lebenszeit war.
Umfangreich wird die Tätigkeit an der Wiener Volksoper, dem Württembergischen Staatstheater Stuttgart, dem Reußischen Theater in Gera, der Hamburgischen Staatsoper und schließlich der Berliner Staatsoper behandelt, wobei diese Beiträge auch interessante Informationen über die Person Swarowskys hinaus beinhalten. Es entsteht ein detailreiches Bild jener Jahre, die schließlich in die Barbarei des Nationalsozialismus führten. Nicht ausgespart wird dabei auch die komplizierte politische Gemengelage, die in dieser Zeit den Vorrang vor künstlerischen Aspekten hatte.
Gewürdigt wird umfangreich Swarowskys Tätigkeit als Autor von Neuübersetzungen, bevorzugt italienischer Opernlibretti. Umfassend behandelt werden seine vielschichtigen Tätigkeiten während der letzten drei Jahrzehnte seines Lebens, die sämtlich gut dokumentiert sind. Der Aufnahmetätigkeit Swarowskys für die Schallplatte ist ein ganzes Kapitel gewidmet, auch die näheren Umstände seiner Einspielung von Wagners Ring des Nibelungen 1968 in Nürnberg werden erstmals dokumentiert.
Auch das komplizierte Privatleben des Dirigenten – Swarowsky war dreimal verheiratet – wird behandelt. Umfangreiche Register und zahllose Fußnoten bieten eine Fülle von Zusatzinformationen. So entsteht ein höchst differenziertes Bild dieses bedeutenden Musikers und Musikwissenschaftlers, darüber hinaus aber auch eine detailreiche Schilderung seines Umfeldes und seiner bewegten Lebenszeit. Eine Lektüre, die nicht nur für Musikinteressierte lohnend ist.
Peter Sommeregger, 25. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Lieber Brian Cooper,
Ich war im Blomstedt-Konzert. Lange Ruhe nach dem Bruckner. Glückseligkeit.
Wir scheinen hier in München noch auf einer Insel der glücklichen zu leben. Im Moment wird Musik hier noch wertgeschätzt. Dafür haben wir keinen adäquaten Saal. Das BRSO ist so gut und die Politiker merken es nicht.
Peinlich.
Aber immer noch besser als das, was Sie erleben.
Hoffentlich bleibt das Münchner Publikum so, wie es war. Die ersten Tendenzen in eine andere Richtung lassen sich schon beobachten.
Mit freundlichen Grüßen
Maria-Elisabeth Höfling