Klangwolken und Gewitterstürme im Hamburger Hafen

Metallische Klangwolken ziehen auf, ganze Gewitterstürme entstehen und verhallen wieder, machen Raum für zart aufkeimende Motive und wunderbar schlichte Melodien.

Michael Wollny in der Elbphilharmonie, 15. Oktober 2021

Foto: Patrik Klein ©

von Nikolai Roeckrath

Mit einem Solo-Klavierabend stellte sich Michael Wollny am Freitagabend einer der größten Herausforderungen des Jazzpianos. Neunzig Minuten lang sitzt der Pianist im Zentrum des Saales und liefert sich schutzlos der Aufmerksamkeit des Publikums in der ausverkauften Elbphilharmonie aus. Ganz ohne Mitmusizierende, die ihn stützen, die Inspirationen aufgreifen, neue Motive entwickeln oder Ungenauigkeiten im Spiel verbergen könnten. „Michael Wollny in der Elbphilharmonie, Hamburg, 15. Oktober 2021“ weiterlesen

Unromantische Liebe und leidenschaftliche Romantik – Messiaen und Bruckner in der Elbphilharmonie Hamburg

„Im herzlichen, langanhaltenden Applaus schwang ein bisschen das Gefühl mit, so langsam Abschied von den ganz großen Auftritten dieser phantastischen Künstlerin nehmen zu müssen.“

Elbphilharmonie Hamburg, 14. Oktober 2021

Olivier Messiaen, Poèmes pour Mi
Anton Bruckner, Symphonie Nr. 4 Es-Dur

Leitung: Alan Gilbert
Solistin: Renée Fleming
NDR Elbphilharmonie Orchester

von Dr. Andreas Ströbl

Zugegeben: Die großartige Sopranistin Renée Fleming noch einmal hören zu dürfen, war sicher der Hauptgrund für das Gros des Publikums, das zu einem ihrer selten gewordenen Auftritte in Deutschland am 15. Oktober in die Hamburger Elbphilharmonie pilgerte. „Pilgern“ trifft es tatsächlich, denn der Abend war, was die beiden Komponisten und ihre programmatische Ausrichtung betraf, stockkatholisch. „Renée Fleming, Alan Gilbert, NDR Elbphilharmonie Orchester,
Elbphilharmonie Hamburg, 14. Oktober 2021“
weiterlesen

Elbphilharmonie Hamburg: An diesem Abend ist Christiane Karg eine Zauberin

Elbphilharmonie – Kleiner Saal, 11. Oktober 2021 (Internationaler Welt-Mädchentag)
Liederabend Mahler-Lieder 

Die Schönheit der gelebten Musik aus Mahlers prallem Theatrum mundi.

Christiane Karg, Sopran
Ulrike Payer, Klavier

Frau Karg und Frau Payer. Copyright: Susanne Baade / The Smiling Moon / Stiftung Hilfe mit Plan

von Elzbieta Rydz

Gustav Mahlers Lieder, insgesamt nur 40 an der Zahl, sind ein Sonderfall der Liedgeschichte. Teils nutzte Mahler die Gedichte Friedrich Rückerts oder Lieder aus Arnims und Brentanos Wunderhorn-Sammlung, um deren Texte nach seinem musikalischen Bild zu gestalten, teils schrieb er selbst die Dichtung und Musik wie bei „Hans und Grete“.

Durch Mahlers Herangehensweise wird dem Lied eine neue Bedeutung gegeben: es wird herausgeholt aus der romantischen Intimität, reingefüllt in ein Gefäß großer Gefühle und ausgebreitet auf dem Schauplatz allgültiger Erlebnisse. Zeitlebens suchte Mahler, der Naturenthusiast, nach Möglichkeiten, seine Idee von der Unverlierbarkeit des menschlichen Wirkens umzusetzen. So geschah es mit der Wunderhorn-Poesie, jener romantischen Volksliedersammlung, die für Mahler die Begegnung mit seiner eigenen geistigen Heimat bedeutete.

Mahler ging mit den reizvollen Text-Kunstwerken auf seine Weise um. Er suchte diejenigen aus, die seiner Stimmung näherungsweise entsprachen und ihn inspirierten, strebte nach dem Anregenden und Lichten, das seine kompositorische Umdeutung herausforderte. Oft hat er die Texte nach dem ihm vorschwebenden musikalischen Bild umgestaltet, ausgeformt: So wird aus der im Ursprungstext erfassten unbeschreiblichen Freude im „Wo die schönen Trompeten blasen“ mit hochdramatischer Bestimmtheit ein tragisches Lied von Verlust und Tod.

An diesem Abend ist Christiane Karg eine Zauberin: der liedhaft sangbaren Plastik der Themen verleiht sie Leichtigkeit und gleichzeitig Bestimmtheit. Vom ersten Takt an nimmt sie mich auf eine Reise auf die Berge und an die Seen der Mahler’schen Salzkammergutlandschaft, in der durch Stille, Frieden und durch die Berührung mit der Erde neue Kraft entspringt. Natur, Frömmigkeit, Sehnsucht, Liebe, Abschied, Tod, Geisterwesen, Jugendfrohsinn, Kinderscherz, Landknechtsart, krauser Humor – alles lebt in den Dichtungen erweckt durch das traumhafte, schauspielerisch-musikalische Ausgestaltungsspektrum der Interpretin. In den Gedichten Friedrich Rückerts, den Liedern aus Arnims und Brentanos Wunderhorn Sammlung bleiben sie dem Geheimnis, dem Traum und Entrückung an Schauder und Seligkeit nichts schuldig. Musikalisch ausdrucksmächtig klingen die Worte und Verse. Ich habe den Eindruck, die tragisch-komplizierte Essenz ist in ein verlorenes poetisches Paradies eingezogen.

Wagnisse der Stimmführung und des Zusammenklangs, harmonische Finessen, tonale Freizügigkeit spiegeln sich sowohl im persönlichen Tanzliedchen „Hans und Grete“ als auch im „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Im Lied „Das irdische Leben“ weiß die Künstlerin die Angstrufe des Kindes „…gib mir Brot sonst sterbe ich“ in klaffenden Oktaven- und Dezimensprüngen ausdrucksstark zu formulieren. Diese Komposition beruht auf einer jagenden Sechzehntelbewegung in düsterem es-Moll, deren Ausdruck von der Pianistin Ulrike Payer begleitend verstärkt wird.

Jedes Lied ein Kleinod gebettet in Karg’s Leidenschaft für Liedgesang und kammermusikalische Projekte.

Christiane Karg ist künstlerische Leiterin des Festivals Kunstklang Feuchtwangen und setzt mit ihrem eigenen Projekt „be part of it!- Musik für alle“ Musikvermittlung bei Kindern und Jugendlichen um. Für ihr künstlerisches und gesellschaftliches Engagement hat sie den Kulturpreis Bayern sowie Brahms-Preis der Brahms-Gesellschaft Schleswig-Holstein erhalten. Zusätzlich ist sie Botschafterin der Kinderrechtsorganisation Plan International, die sich für Chancengleicht von Mädchen einsetzt. Das Konzert fand am Internationalen Welt-Mädchentag statt.

Elzbieta Rydz, 13. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt 108: Beethoven 10 – der künstlichen Intelligenz fehlt leider das Genie,Klassik-begeistert.de

Jonas Kaufmann & Helmut Deutsch, CD-Rezension, Liszt, Freudvoll und leidvoll klassik-begeistert.de

„…so zerteilte mich die Liebe und der Schmerz“ – Schnittke und Schubert in der Elbphilharmonie Hamburg

Philharmonisches Konzert im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie

Es ist eines der härteren Schnittke-Stücke und gleich zu Beginn des ersten Satzes ließ Kremer seine Violine flehen, winseln, im Tremolo und Flageolett gequält klagen. Als würde ein verängstigtes Kind verzweifelt um Schutz bitten, zwang der begnadete Geiger die Töne manchmal bis zum schmerzhaften Kratzen an die Grenze des schönen Lauts und ließ sie sich mitunter überschlagen.  

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, 19. September 2021

Foto: Elbphilharmonie Hamburg © Elbphilharmonie Hamburg


Alfred Schnittke, Konzert Nr. 3 für Violine und Kammerorchester Franz Schubert, Streichquartett d-Moll D 810 „Der Tod und das Mädchen“ in der Bearbeitung für Streichorchester von Gustav Mahler

Leitung: Kent Nagano
Violine: Gidon Kremer
Rezitation: Martina Gedeck
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

von Dr. Andreas Ströbl 

„Viel Spaß“ wünschten die freundlichen Damen vor den Saaltüren auch am 19. September dem Publikum, das in den großen Saal der Elbphilharmonie strömte. Das war lieb gemeint, aber spaßig war das Programm tatsächlich nicht. Es ging um existentielle Grenzerfahrungen und deren hochemotionaler Wiedergabe in ergreifender Musik. Die kammermusikalischen Werke zweier ausgesprochen unterschiedlicher Komponisten erweiterten die Hamburger intelligent und feinfühlig mit Texten, die in direktem Bezug zum zweiten Teil des Konzerts standen.

Mit gespannter Ehrfurcht erwartete man Gidon Kremers Interpretation des 3. Violinkonzerts von Alfred Schnittke. In der Tat hat der Komponist dem Solisten in der Partitur einige Freiheiten gelassen und Kremer lotete aus, was an Schmerz in dem nur in wenigen Passagen leicht zugänglichen Werk darstellbar ist. Es ist eines der härteren Schnittke-Stücke und gleich zu Beginn des ersten Satzes ließ Kremer seine Violine flehen, winseln, im Tremolo und Flageolett gequält klagen. Als würde ein verängstigtes Kind verzweifelt um Schutz bitten, zwang der begnadete Geiger die Töne manchmal bis zum schmerzhaften Kratzen an die Grenze des schönen Lauts und ließ sie sich mitunter überschlagen. Dissonanzen der Violine wurden durch solche der Bläser verstärkt und in drohende Antworten mit Fugen-Anklängen verwandelt. Kremer beugte und wand sich, als würde er vor seinem eigenen Spiel in die Knie gehen müssen. Der Satz klang beruhigter aus und weckte eine leise Erinnerung an das „Es ist genug“-Zitat aus Alban Bergs Violinkonzert. Ebenso wie in diesem Werk ist hier nichts lustig, weil der bittere Ernst in und zwischen den Noten sitzt. „Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elbphilharmonie,
klassik-begeistert.de“
weiterlesen

Wenig Magie bei der Opening Night in der Elphi

ELBPHILHARMONIE, 1. SEPTEMBER 2021
OPENING NIGHT

NDR Elbphilharmonie Orchester
Yo-Yo Ma Violoncello
Dirigent Alan Gilbert

PROGRAMM

Leonard Bernstein
Symphonic Dances from »West Side Story«

Samuel Barber
Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 22

Zugabe:

George Gershwin
Summertime / aus der Oper »Porgy and Bess«

– Pause –

Mark-Anthony Turnage
Time Flies

George Gershwin
Ein Amerikaner in Paris / Sinfonische Dichtung

von Andreas Schmidt

Mit einem amerikanischen Programm ist die Elbphilharmonie Hamburg in die neue Saison gestartet. Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte sehr engagiert und couragiert unter der Stabführung des US-Amerikaners Alan Gilbert; der weltbeste Cellist Yo-Yo Ma, US-Amerikaner, sorgte für einige Glanzpunkte – allein, dass große, besondere Opening-Feeling blieb aus an diesem Mittwoch.

Bezeichnend für diesen Abend war: Er gab nicht ein einziges Bravo – weder für einen der Solisten noch für das Orchester oder den Dirigenten. Es gab zwischendurch artigen Beifall und zum Schluss sogar guten – aber wahre Begeisterung sieht anders aus, wenn das wohl most amazing Konzerthaus Europas die Pforten öffnet. „NDR Elbphilharmonie Orchester, Alan Gilbert, Yo-Yo Ma, Violoncello, Opening Night
ELBPHILHARMONIE, 1. SEPTEMBER 2021“
weiterlesen

Elphi HH: Zweiter Saisonabschluss mit zwei Einspringern

Elbphilharmonie Hamburg, 9. Juli 2021

Foto: © Thies Rätzke

NDR Elbphilharmonie Orchester
Rudolf Buchbinder, Klavier
Manfred Honeck, Dirigent

Werke von Edvard Grieg und Felix Mendelssohn Bartholdy

von Johannes Fischer

Eigentlich sollte der Saisonabschluss des NDR Elbphilharmonie Orchesters schon vor drei Wochen gefeiert werden. Uneigentlich schließt die Saison aber mit diesem „Corona-Bonus-Konzert“, also mit einem zweiten Saisonabschlusskonzert. Ein Geschenk für alle Musikliebhabenden wie auch für all die Corona-Helden, die für dieses Konzert Ehrenkarten erhalten hatten. „NDR Elbphilharmonie Orchester
Elbphilharmonie Hamburg, 9. Juli 2021“
weiterlesen

Die Elphi kommt mal wieder ganz groß raus

PRESSEINFORMATION

Foto: Elbphilharmonie, Hamburg, © eberhardt-travel.de

Mit der Aussicht auf eine Vielzahl starker Glücksmomente beim Erleben erstklassiger live gespielter Musik lädt die Elbphilharmonie die ästhetisch-künstlerischen Energiereserven der Hamburgerinnen und Hamburger und all ihrer Gäste von nah und fern wieder auf. In seiner Opulenz und Qualität knüpft das Programm der Saison 2021/22 an vorpandemische Zeiten an. Große Namen wie Esa-Pekka SalonenTeodor CurrentzisSir Simon RattleMirga Gražinytė-TylaValery GergievSemyon BychkovAndris Nelsons oder Daniel Barenboim entfachen die Vorfreude auf die Rückkehr zu einem reichhaltigen Konzertleben ebenso wie das Versprechen auf umfassende Begegnungen mit Musik von Komponisten wie Sibelius, Strauss, Mozart, Schumann, Beethoven oder Hanns Eisler. Anoushka ShankarMax Richter und John Zorn sind jeweils »Elbphilharmonie Reflektor«-Festivals gewidmet. Zur Eröffnung der Saison am 1. September, die HamburgMusik und der NDR erneut gemeinsam feiern, hat das NDR Elbphilharmonie Orchester unter seinem Chefdirigenten Alan Gilbert den Star-Cellisten Yo-Yo Ma zu Gast. – Da die Pandemie noch nicht vollständig gebannt ist, kann das Publikum seine Ticketwünsche ohne Risiko auf dem Bestellweg anmelden. Bestellungen für einen Großteil der Konzerte werden ab 15. Juni unter www.elbphilharmonie.de entgegengenommen. „Das Programm der Elbphilharmonie Hamburg
Saison 2021/22 “
weiterlesen

Song of America in der Elphi: A celebration of Black Music

Lebendig und beseelt – die Wiedereröffnung der Elbphilharmonie Hamburg vor Live-Publikum

Elbphilharmonie Hamburg, 31. Mai 2021

Foto © Maxim Schulz

„Damit sich am Ende alle zusammenfinden können“

von Andreas Schmidt (klassik-begeistert.de) und
Patrik Klein (IOCO Kultur im Netz)

Manchmal liegt es nahe, wenn zwei Medien, die mit leicht unterschiedlicher Philosophie aber sehr ähnlichen Vorlieben unterwegs sind, auch einmal ein Stück des Weges gemeinsam gehen. So wurde an diesem Freudentag der Wiedereröffnung der Elbphilharmonie Hamburg und dem vorherigen Besuch der Pressekonferenz der Staatsoper Hamburg, bei der das neue attraktive Programm der kommenden Saison vorgestellt wurde, ein gemeinsamer Abend im Block K des Hauses nebeneinander sitzend und miteinander plaudernd und gebannt zuhörend verbracht.

Der Intendant der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, begrüßte dann auch die rund 700 Gäste voller Emotionen und brachte zum Ausdruck, dass er sich besonders darüber freue, dass denn nun dieses ungewöhnliche Programm an diesem Abend pandemiebedingt zum Wiedereröffnungsabend nach sieben Monaten wurde. „Herzlich willkommen in der Elbphilharmonie – das habe ich schon lange nicht mehr gesagt“, sagte der gebürtige Wiener. „Song of America: A celebration of Black Music
Elbphilharmonie Hamburg, 31. Mai 2021“
weiterlesen

Uraufführungs-Reigen der Dresdner Musikfestspiele: Eine überaus hörenswerte kompositorische Hommage an Beethoven

Foto: © Claudia Höhne

Elbphilharmonie Hamburg, Konzertaufzeichnung vom 24. und 30. April 2021, Stream vom 27. Mai 2021 im Rahmen des Streaming-Festivals der Dresdner Musikfestspiele

Mira Wang, Violine
Jan Vogler, Violoncello
Daniel Ottensamer, Klarinette

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano, Dirigent

William Blank: »Alisma«. Tripelkonzert für Violine, Violoncello, Klarinette und Orchester (Uraufführung)

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90

von Pauline Lehmann

Die Dresdner Musikfestspiele und ihr Intendant Jan Vogler haben sich Uraufführungen quasi zur Herzensangelegenheit und zur Visitenkarte gemacht. Die zeitgenössischen Tonschöpfungen sind nicht nur ein interkulturelles Plädoyer und führen von Dresden rund um den Globus, sondern sie lassen auch die Vielfalt der musikalischen Gattungen ins Scheinwerferlicht treten. „Mira Wang, Jan Vogler, Daniel Ottensamer, Kent Nagano, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg,
Elbphilharmonie, 27. Mai 2021“
weiterlesen

Warum lieben wir Oper?

Warum lieben wir Oper? Weil Bild und Musik und Text und Bewegung zusammenkommen. Schön ist das.

Foto: Durch ein Wohnzimmer auf der ElPhi-Treppe zum Großen Saal…
Elbphilharmonie, Hamburg, Rolltreppe © Michael Zapf

von Sandra Grohmann

Wenn aber Bild und Musik und Text und Bewegung und dann auch noch ironischer Unsinn fein abgestimmt zusammenkommen, ist Perfektion erreicht. So bei Patricia Kopatchinskajas „Phantasmagorien“, die im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg Digital am 28. Mai 2021 zum ersten Mal aus dem heimischen Monitor schauten (nachzusehen auf https://youtu.be/4H4_Zf1I0hs ). Ein Fest wahrhaftig, das sich da um Kurt Schwitters „Ursonate“ lautmalt. Laut malt. So wunderbarsamgroßunartig, dass ich es gleich noch einmal anschauen musste. MUSSTE! Denn dies war das Intelligenteste, was ich im Angebot dieser an Digitalem nicht eben armen Monate wahrgenommen habe. Ich bin verliebt! Warum nur?

Erstens: Hier wird nicht einfach abgefilmt. Hier wird in Szene gesetzt. Schon der erste Konzertauftritt des Duos Patricia Kopatchinskaja (Violine)/Reto Bieri (Klarinette) ist umwerfend, im Wortsinn.

© Marco Borggreve

Zweitens: Das Hochamt der Ironie. Das ist kompletter Unsinn, aber Ironie ohne Intelligenz funktioniert nicht. Also hat es doch wieder Sinn. Dada? Alles spiegelt sich. Mattscheibe auf der Mattscheibe. Kunstton im Kunstton. Selbstvor- und –rückbezüglichkeit auf allen Leveln. Das funkelt.

Drittens: Zwei atemberaubende Musiker spielen hochkonzentriert miteinander. Spielen und spielen. Musik und Spiele. Jeu. Vom elften Jahrhundert bis heute – bis zu PatKop. Was hecken sie für die nächste Szene aus?

Viertens: Das reißt mit. Auch weil die Kamera ganz nah dran ist. Das ist nicht live minus live. Das war live so nah dran, wie es live gar nicht ginge.

Fünftens: Auf das „E“ vor der Musik können wir getrost verzichten. Und auf das „U“? Who cares, wenn ein oder gar zwei „Da“ in der Nähe sind. Ich bekenne: Da-Musik is it!

Sechstens: Wir reisen durch guggenheimeske Parkhäuser, in denen Mönche spielen (schon wieder Spiel). Durch WCs, in denen „es kommt“. Durch ein Wohnzimmer auf der ElPhi-Treppe zum Großen Saal. Ach, Bach! Wo sonst kommen diese Welten einander so nah?

Siebtens: Kopatchinskajas eigener Ton, leicht rauchig, immer erzählend, überträgt sich auch über das Netz. Violine ist Stimme ist Klarinette ist Stimme ist Violine. Klangrede, Redeklang. Intensiv oder pianissimo. So viel zu erzählen. Atem anhalten, um zu hören.

Und überhaupt, aber nicht letztens: Fümms bö wö tää zää uu. Schwitters, der Maler, der Dichter, sagte ich Lautmaler? Viel mehr: der Lautundleisymphoniker. Für alle, die den ursprünglichen Film sehen möchten: Der ist von der ElPhi auch ins Netz gestellt (https://youtu.be/C6-rVq4jF74). Ursonate? Das ist, wie  man sieht, mindestens ein Quartett. Eigentlich eine Kammersymphonie. Unwiderstehlich.

Sandra Grohmann, 30. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Brava, liebe Sandra! 
Andreas Schmidt, Herausgeber