Die Deutsche Stiftung Musikleben beschenkt die Elbphilharmonie mit lebendigen Zukunftsaussichten für die Klassik-Szene

Mariam Batsashvili © Josef Fischnaller

Vier Ensembles aus StipendiatInnen und eine pianistische Star-Absolventin der Deutschen Stiftung Musikleben sorgen für feurig klassische Zukunftsaussichten in der Hamburger Elbphilharmonie. Die hier herrschende künstlerische Kreativität und Exzellenz würde vielen Berufsorchestern einen wohlbenötigten Begeisterungsschub geben! 

Elbphilharmonie, Hamburg, 14. Oktober 2024

Benefizkonzert der Deutschen Stiftung Musikleben
Stipendiatinnen und Stipendiaten der Deutschen Stiftung Musikleben

Mariam Batsashvili, Klavier

Nicolò Umberto Foron, Dirigent

Werke von Richard Wagner, Frank Martin, Franz Liszt, Astor Piazzolla, Ottorino Respighi und Béla Bartók

von Johannes Karl Fischer

Eigentlich müsste man über jedes dieser Ensembles, jeden dieser jungen, aufstrebenden, begeisternden KünstlerInnen einen eigenen Artikel schreiben. Nun, das dürfte die zeitlichen Lesekapazitäten der meisten ZuschauerInnen deutlich überfordern, also lassen wir das mal sein und beginnen mit dem eindeutigen Publikumspreis des Abends. Denn als das Marimba-Cello-Duo um Leon Lorenz und Philipp Schupelius nach zwei sowieso schon sehr munteren Tango-Sätzen das Publikum zum Mitklatschen- und singen in den altbekannten Libertango mit hineinholte, füllte sich der teuerste Konzertsaal der Welt mit grenzenloser Begeisterung für diese Kunst! „Benefizkonzert der Deutschen Stiftung Musikleben
Elbphilharmonie, Hamburg, 14. Oktober 2024“
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Auf den Punkt 24: Plácido Domingo sagt Tschüß in HH

Foto: Fotografías – archimadrid.es

Die wahrscheinlich erste Konzertkritik ohne Konzertbesuch.

Hamburger Camerata
Eugene Kohn / Dirigent

Plácido Domingo / Bariton;
Saioa Hernández / Sopran

Gala-Konzert „Danke Hamburg“ / Arien und Duette aus Plácido Domingos umfangreichen Repertoire

Elbphilharmonie, Großer Saal, 29. September 2024

von Jörn Schmidt

Andreas Schmidt, der Herausgeber von klassik-begeistert, denkt Tag und Nacht an seine Leser. Mittelbar also auch an seine Autoren. Freitagnacht erreichte mich sein Anruf, am Sonntag (29. September 2024, 20:00 Uhr) steige in der Elbphilharmonie das große Galakonzert „Danke Hamburg“ mit Plácido Domingo. Er habe gerade gesehen, es gebe jetzt (Stand 23:07 Uhr, 27. September 2024) noch eine Handvoll Tickets der Preiskategorie 2 für 440 EUR  pro Ticket. Wäre das nicht etwas für mich?

Zu viel ist zu viel, habe ich mir gedacht. Auch eingedenk der Uhrzeit, und wollte sagen: Geht’s noch? Aber ich halte viel auf meine Höflichkeit, ich schreibe hier ja auch eher mit feiner Klinge.  Ich habe also meinen Mund gehalten und ihm am nächsten Morgen statt dessen eine neue Folge meiner Kolumne hingeklatscht. „Auf den Punkt 24: Plácido Domingo singt in der Elbphilharmonie,
Hamburg, 29. September 2024“
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Elphi-Publikum singt dem polnischen Countertenor barocke Koloraturen nach

Jakub Józef Orliński © Laurent Humbert

Jakub Józef Orliński – Countertenor

Il Pomo d’Oro

„Beyond“ – Arien und Instrumentalstücke von Monteverdi, Cavalli, Strozzi, Frescobaldi, Caccini u.a.

Elbphilharmonie, Großer Saal, Hamburg, 17. September 2024

von Jolanta Łada-Zielke

Bei Konzerten, vor allem bei Popmusik, kommt es manchmal vor, dass das Publikum mitsingt. Aber nur Jakub Józef Orliński kann den ganzen Saal dazu bringen, barocke Koloraturen (!) unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades dem Interpreten nachzusingen.

Am Dienstagabend, 17. September, hat der charismatische Countertenor die fast vollständig gefüllte Elbphilharmonie zum Mitsingen gebracht. Zwar war das Publikum auf dieses Repertoire vorbereitet, zumal die CD mit dem Programm Beyond längst erschienen ist. Aber Live-Auftritte haben den Vorteil, dass die Künstler mit dem Publikum interagieren können. Darin ist Orliński ein unbestrittener Meister.  „Jakub Józef Orliński – Countertenor, Il Pomo d’Oro
Elbphilharmonie, Hamburg, 17. September 2024“
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Der Teufelsbratscher

Antoine Tamestit (Foto: Philippe Matsas)

… bis einen Antoine Tamestit wieder aus der frühsonntäglichen Dämmerung reißt, weil Paul Hindemith jetzt den Radetzky-Marsch zerlegt, aber dermaßen, dass es fast – so höre ich es – zu einer verzweifelten Satire wird: Es ist, als zerschmettere Hindemith das Österreichische Kaiserreich durch Dissonanzen. Steile These, ich weiß, aber ich bin da für Diskussionen offen. Nicht umsonst gibt es einen Roman dieses Namens.

Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 6

Hindemith: Kammermusik für Viola & Orchester                                                        Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21

NDR Elbphilharmonie Orchester
Antoine Tamestit Viola
Dirigent Alan Gilbert

Elbphilharmonie, 22. September 2024

von Harald Nicolas Stazol

Tony ist 10, und findet Hindemith „cool“. Er sitzt mit seinen Eltern vor dem allerhohen Hafenpanorama der morgensonnenüberglänzten Glasscheiben von Herzog&de Meuron, wie findest Du die Elphi, frage ich im Vorüberflanieren, „Auch cool“. Und Beethoven? „Sehr cool!“

Damit könnte diese Rezension schon ihr Ende finden, recht eigentlich, aber wozu wäre ich denn sonst da? Volle zwei Stunden lang? In einer Darbietung so zurückhaltenden Funkelns, es geht einem quasi im Hinabstreben der Treppen nach dem fulminant-amüsanten Konzert auf, dass man den 2. Satz Beethoven vor sich hinsingt, dann den letzten Satz dieses Erstlingswerk, völlig unterschätzt m.E.

„NDR Elbphilharmonie Orchester, Antoine Tamestit, Viola, Dirigent Alan Gilbert
Elbphilharmonie, 22. September 2024“
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Bruckner in der Elphi: der Hamburger Konzerttempel wird zum Gotteshaus

Pablo Heras-Casado © Fernando Sancho

Da spurtet im offenen, blütenweißen Hemdkragen – zwei Knöpfe oben offen, meine Herren, ZWEI! – ein Ritter des Ordens der Kunst, ohne Baton in der Hand, aber ebenso schneeweißen Manschetten (davon gleich), aufs Dirigentenpult der Elbphilharmonie, und dann brucknert es derartig, als wäre der unsterbliche Meister unter der Orgel in St.Florian aus seiner Gruft entstiegen, und hätte selbst dirigiert: Pablo Heras-Casado.

Happy birthday, Bruckner!

Bruckner, Te Deum & Sinfonie Nr. 6 

Christina Landshamer, Sophie Harmsen, Daniel Behle, Franz-Josef Selig

SWR-Vokalensemble & WDR Rundfunkchor
Dirigent Pablo Heras-Casado

Elbphilharmonie, 18. September 2024

von Harald Nicolas Stazol

Und ich sage Ihnen: Der Name ist Programm.

Da versuche ich doch seit Saisonbeginn dem Kindergärtner, dem jungen Monsieur Baptiste, Hüter meines Ziehsohnes Aris, 3, ein Konzert zu ergattern, und der NDR erlaubt es, und schon hat man das SWR-Orchester am Start, mit einer Symphonie, die unter des Katalanen sachter Hand ja so libellenflughaft beginnt, und so göttlich-gigantisch endet. Aber wir greifen vor.

Sage ich doch noch am Lycée Antoine de St. Exupéry, c’est Mahler. Mais non! Es ist natürlich Anton Bruckner, die sechste, die einzige unter den zehn, die er nicht mehr umschrieb – die hab ich doch als Blu-ray noch irgendwo unter Thielemann… und dann finde ich Karajan. Und höre den ersten Satz. Und falle vom Glauben ab.

„Bruckner, Te Deum & Sinfonie Nr. 6 
Elbphilharmonie, 18. September 2024“
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Orliński smiling: "You have no chance – we start together from the beginning"

Diesem Sänger ist die Musikalität, die warme wohlklingende Stimme (und vor allem der Umgang damit), die feine, bescheidene, sympathische, humorvolle Ausstrahlung in die Wiege gelegt worden.

Elbphilharmonie, Großer Saal, Hamburg, 17. September 2024

Jakub Józef Orliński – Countertenor

Foto: https://www.jakubjozeforlinski.com/#block-bartik-views-block-about-section-block-1

Il Pomo d’Oro

„Beyond“ – Arien und Instrumentalstücke von Monteverdi, Cavalli, Strozzi, Frescobaldi, Caccini u.a.

von Iris Röckrath

„Beyond“ nennt sich das Album aus der Welt des italienischen Barock, das Ende 2023 erschienen ist und mit dem sich das Originalklang-Ensemble Il Pomo d’Oro zusammen mit dem Countertenor Jakub Józef Orliński auf Europatour befindet. An diesem Abend ist nun endlich Hamburg an der Reihe.

„Jakub Józef Orliński – Countertenor, „Beyond“
Elbphilharmonie, Großer Saal, Hamburg, 17. September 2024“
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Bach im Six-Pack

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg © Felix Broede

MATHIAS WEBER / KLAVIERABEND

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049

Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)
Hamburger Symphonie Nr. 6 E-Dur Wq 182

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Streichersymphonie Nr. 10 h­-moll

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B­Dur BWV 1051 I. (Allegro)

Andreas Staier, Cembalo und Leitung 
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 15. September 2024

von Harald Nicolas Stazol

Plötzlich bricht Stille aus: Der beste Cembalist der Welt – man mag mir widersprechen, wenn man kann – lässt etwas auf sich warten, dabei kann ich ihn doch gar nicht erwarten, ihn, und eine fein ausgewählte Schar aus dem Staatsorchester, David Cho, der Allround-Konzertmeister, wartet mit, und dann geht die geheime Bühnen-Tür rechts im Kleinen Saal der Philharmonie auf, und der kleine, bescheidenen Mann im gefälteten Hemd setzt sich nach zwei bescheidenen Verbeugungen ans Cembalo – und ab dafür!

„MATHIAS WEBER / KLAVIERABEND, Johann Sebastian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy
Elbphilharmonie, Kleiner Saal, 15. September 2024“
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Na Heidewitzka! Schönberg mit gutem Ton in der Elbphilharmonie

Hier nur von einem Klangteppich zu reden, dies ist ein Klanggobelin!

Elbphilharmonie, 11. September 2024

OPENING NIGHT © Sophie Wolter 

Arnold Schönberg
Gurre-Lieder für Soli, Chor und Orchester

NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Vokalensemble
MDR-Rundfunkchor
Rundfunkchor Berlin

Simon O’Neill   Waldemar
Christina Nilsson   Tove
Jamie Barton   Waldtaube
Michael Nagy   Bauer
Michael Schade   Narr
Thomas Quasthoff   Sprecher
Klaas Stok   Einstudierung
Dirigent   Alan Gilbert

von Harald Nicolas Stazol

Ob Sie es glauben wollen oder nicht: Da erscheint doch gegen 19 Uhr ein wundersam-wundervoller Regenbogen über dem Hafen und taucht das Foyer im Westin Grand in eine Art von goldenem Halo, Aurora lächelt, und so ist der heutige Abend, die von mir soooo lange ersehnte  Opening Night, mit einem Werk, dass soooo großer Besetzung bedarf, dass es so gut wie nie aufgeführt wird: Die „Gurre-Lieder“ des Arnold Schönberg. Als ich von diesen in der Vorankündigung lese, denke ich schon, um Gotteswillen, 2 Stunden Zwölfton? Ja ist Alan Gilbert jetzt verrückt geworden? Und ganz gegen meine Pflichtgewohnheit höre ich es NICHT schon vorher, denn – wieder waltet Aurora – was für eine Entdeckung! Welche Vollendung!! Was für eine Offenbarung!!! „Arnold Schönberg, Gurre-Lieder für Soli, Chor und Orchester, NDR Elbphilharmonie Orchester, NDR Vokalensemble, MDR-Rundfunkchor, Rundfunkchor Berlin, Alan Gilbert
Elbphilharmonie, 11. September 2024“
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„Das Leben kommt mit Macht und Glanz, mit Taten und pochenden Herzen“ – Alan Gilbert eröffnet die Saison in der „Elphi“ mit Schönbergs Gurre-Liedern

Bestechend in Wut und Wildheit die Männer von NDR Vokalensemble, MDR-Rundfunkchor und Rundfunkchor Berlin als untote Mannen und im Schlussgesang zusammen mit den zugehörigen Damen ergreifend schön!

Opening Night: NDR Elbphilharmonie Orchester / Alan Gilbert © Sophie Wolter

Arnold Schönberg, Gurre-Lieder für Soli, Chöre und Orchester

Alan Gilbert, Dirigent

Simon O’Neill, Tenor
Christina Nilsson, Tenor
Jamie Barton, Mezzosopran
Michael Nagy, Bariton
Michel Schade, Tenor
Thomas Quasthoff, Sprecher

MDR-Rundfunkchor, Rundfunkchor Berlin und NDR Vokalensemble
NDR Elbphilharmonie-Orchester

Elbphilharmonie, Großer Saal,  11. September 2024

von Dr. Regina Ströbl

Arnold Schönberg – einen ganzen Abend lang. Allein der Name hat vermutlich etliche „Ich möchte mir den großen Saal auch mal ansehen-Besucher“ abgeschreckt. Dennoch ließen sich etliche Hörer auf eine Erstbegegnung oder auch ein Wiederhören eines aufgrund der großen Besetzung eher selten gespielten Werkes ein. Und sie wurden in dieser Opening-Night, die mit dem kolossalen Opus den 150. Geburtstag des Erfinders der Zwölfton-Musik gebührend feierte, reichlich belohnt. „Arnold Schönberg, Gurre-Lieder für Soli, Chöre und Orchester
Elbphilharmonie, Großer Saal,  11. September 2024“
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Bach, Beethoven, Brahms - wenn dies nicht lange zu denken gibt? Eine Assemblage

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elbphilharmonie, Kent Nagano, Martin Helmchen (c) Claudia Hoehne

Das erste Akademiekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Hamburger Chöre
Rafał Blechacz Klavier
Andreas Staier Cembalo und Leitung

Dirigent Kent Nagano

Johann Sebastian Bach (1685–1750) Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F­Dur BWV 1046

Ludwig van Beethoven (1770–1827) Klavierkonzert Nr. 3 c­Moll op. 37

Johannes Brahms (1833–1897) Nänie op. 82 Schicksalslied op. 54 Gesang der Parzen op. 89

Elbphilharmonie, 6. September 2024

 von Harald Nicolas Stazol

Nun wirklich zehn Minuten schon lang schütteln sich zwei junge Choristen ganz in schwarz die Hände, im Elphi-Foyer, ich bemerke es amüsiert, gleich werden sie sich zu geschätzt 150 anderen Sängern und Sängerinnen auf die gesamte hintere Fläche der Elbphilharmonie begeben und die Nänie des Johannes Brahms geben, denn alles Schöne muss sterben, — ach nein, welche Schönheit entfaltet sich an diesem goldenen Septemberabend, endlich, enfin, der Beginn der Saison, enfin, endlich oder, bei diesem Nagano, bei diesem Staatsorchester, eher un Dauphin, un Dauphin, wie man in Versailles rief, ein Kronprinz, ein Kronprinz!

Nun gut, ein König. Denn dieser Nagano heute Abend, und dem sich leise schimmernd bis zu vollem Glanze entfaltenden Orchester, nun, ganz der Maestro, der Meister, fröhlich, und ja, auch fromm – zu den beiden Händeschüttlern kommen wir noch.

Erkenne ich den einen Schüttler doch an seinem IPad in dem Meer von Stimmen, ganz mittig am blonden Schopfe, allein in dem ja wirklich gewaltigen Chor, „das ist ja eine Wand!“, raunt mir der stattliche Architekt hinter mir aus Stuttgart zu, „des isch ja a Wand“, UND WIE RECHT DER MANN HAT!

Oh, was da aus Chören zusammengetragen ward! Und dies alles bei der phänomenalen Einstudierung, Christiane Büttig, ganz in schwarz auch sie, den Stolz auf sich selbst andeutend, und zu Recht!

Und, wenn diese Wand eben fast 150-fach gleichzeitig umblättert, es ist, als wären da plötzlich Sternschnuppen auf Nachtschwarzem Grunde, und dann noch die Texte! Schiller, Hölderlin, Goethe was will man denn noch?

Auszug in obiger Reihenfolge:

„Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich“ – „Ihr wandelt droben im Licht, auf weichem, Boden selige Genien! (Man fühlt sich ja geradezu angesprochen?) – und der Hölderlin, der mich schon lange anspricht: „Es wenden die Herrscher Ihr segnendes Auge von ganzen Geschlechtern, und meiden im Enkel die ehemals geliebten, still redenden Züge des Ahnherrn zu sehen.

Und bevor wir zu den musikalischen Hochgenüssen kommen, endlich, endlich wieder Saison!!,  jubele im Stillen vor der Elbphilharmonie und an ihr und in ihr, auch da ich gleich willkommen geheißen werde, von der jung-sommersprossigen Saalmanagerin, als ich auf einer der Treppen sitze, (ich sprach schon davon, eindeutig zu wenige Sofas), und sie sagt, „wieder zu Hause!“ und nun beginnt er wieder, mein Zauberberg, mein Davos, „mit dem Unterschied, dass man „aus dem Ihrem auch wieder raus kann“, sagt mir ein Kritikerbruder, — und ja, was habe ich sie vermisst, meine Elphi, meine Elfe am Wasser! die Akustik alleine, während des Brandenburgischen Konzerts No 1!

Denn so beginnt die Eröffnung der Saison, eben als Eröffnung, sanft fragil und schön angeleitet vom besten Cembalisten der Welt, Andreas Staier am doppelten Manual seines Cembalos — nur, hörten Sie es denn? Ich nicht, Ebene 12 C, Reihe 1, Platz 4, keinen Mucks, wie schade. Wir werden noch zu relativen Größen kommen, aber die Tasten setzen sich einfach nicht durch…! Eine längere Insta-Freundschaft verbindet mich seit dem Neujahr-Beethoven mit einer der Konzertmeisterinnen, Joanna Kamenarska, und sie gibt mal wieder alles.

Eine schier unwahrscheinliche Schnelligkeit mutet das Moses Mendelssohn Kammerorchester dem Bach zu, auf die man sich schlicht einzulassen hat, zweimal hustet der Maestro selbst, was ihn nicht davon abhält, die Partitur mit ihren gelblichen Eselsohren Takt treu und deutlich umzublättern, ja, fasst zu reißen. Ich empfehle Schott, Leipzig, 150g Papier zu verwenden.

Von den Hörnern ist gesondert zu sprechen, tragen sie doch alle Sätze, und es ist doch recht erstaunlich, wie oft die Musizierenden das Kondenswasser aus dem Instrument entfernen müssen, natürlich alles im Stehen!

Keiner weiß genau, zu welchem Anlass J.S.Bach diese wundervollen Stücke komponiert – ach, wie beschwöre ich die Direktion, mir nächstens abends auch das Zweite hören zu dürfen, allein, „es ist nichts mehr zu machen“, das Dritte am Sonntag als Präludium, nun, ich wage nicht mehr zu fragen.

So sieht man auch, ein kleiner Exkurs in den Premierenkleiderschrank sei gestattet, unterschiedliche Längen der Frackschöße, Nagano selbst als einziger in dunkeldunkelblau, der Chor alsbald in schwarz — nur das weisse Gestirn an einer Hundertschaft Umblätternder ist eben optisch so hinreißend, ein aufblitzendes Weiss kleiner Flächen, natürlich genau im Takt, es erinnert ein wenig an die Massen in Sportstadien in Nord Korea –  zu ihrem Gesang gleich in

Kürze!

Blechacz Rafal (c) Marco Borggreve

Denn nun ein Pianist, von dem ich zunächst denke, er sei halbwüchsig, bis ich merke, dass die Bühnendimensionen relativ sind:

Rafael Blechacz, 39, das Wunder aus Warschau, „er spielt die Läufe so exakt, ich spiele ja selbst“, sagt der Architekt, und ich nur, „stattlich, stattlich!“ Und so bescheiden dabei, so unprätentiös, so ohne gefälschtes Drama, ich muss sagen, ich bin beeindruckt, was eher selten der Fall.

Wie will man auch von der rechten Seite von der Empore aus die Finger sehen? Also muss man sie hören! Beethoven hörte damals schon nichts mehr. Aber, das, was er nicht mehr hörte, wir hören es jetzt, und hinreißend ist er, der kleine Mann, von dem überraschend klar wird, dass er ganz normal gewachsen, allein, wie groß ist sein Piano, der Konzertmeister, und Nagano steht ja auf dem Pult? Und dann leistet er einen wirklich Großen Beethoven.

Nun gilt es, sich zusammenzuraffen, und dem Eindrucke gerecht zu werden, denn man hört ja quasi ein griechisches Drama, mit Einleitung, Durchführung und Apotheose, Bach, Beethoven, Brahms eben. Auch da hat der Generalmusikdirektor des Staates Hamburg wieder mal äußersten Geschmack bewiesen, denn nach dem fulminanten Beethoven, und nach der Pause voller relativ unbeeindruckter Hamburger, und man möchte ihnen entgegenschreien, „hört ihr was? Hört ihr noch irgendwas?“

Nein, sie hören es nicht.

Was aber nun hat es mit dem nun schon drei Gongs andauernden Händeschütteln auf sich? Ich muss einfach fragen. „Es ist eine Wette, wer länger durchhält!“ und wir lachen.

Chöre, Orchester, Solisten – ich kann nur sagen: Gewonnen!

Harald Nicolas Stazol, 12. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at