Abschied von einer großartigen Tänzerin: Hélène Bouchet in John Neumeiers Weihnachtsoratorium (Bach)

Abschied von Hélène Bouchet (Foto RW)

Hélène Bouchet war auf der Bühne nie die nach Innen gekehrte, das Seelendrama still verarbeitende Tänzerin, immer war sie sich ihrer weiblichen Würde bewusst, hatte eine klare, fast schon emanzipatorische Vorstellung von ihrer Rolle. Selbst in den tragischen Momenten musste man nicht um die Person, die sie darstellte, fürchten.

Staatsoper Hamburg, 27. Dezember 2021
Hamburg Ballett

von Dr. Ralf Wegner 

Neumeiers Weihnachtsoratorium lässt sich auch bibelfern le­­­sen: Die Liebe eines Mannes über­windet den Schmerz, eine „entehrte“ Frau zu ehe­lichen. Neumeiers Genialität zeigt sich in der Doppel­bödigkeit des Gezeigten. Der dem christlichen Glauben nahe Stehende sieht in Maria die Gottesmutter, der Agno­s­tiker vielleicht die Ängste einer Frau, die das Kind eines anderen als das ihres Verlobten austrägt. Vielleicht deshalb nennt Neumeier seine beiden Prota­go­nisten nicht Josef und Maria sondern „die Mutter“ und „ihr Mann“. Man spürt bei Hélène Bouchet die Last, die sie trägt, sie ergibt sich ihr aber nicht, kämpft mit sich, will das Schicksal des ihr zugedachten Kindes nicht akzeptieren. Erst die Liebe ihres Angetrauten (Jacopo Bellussi) gibt ihr die Kraft, in die Zukunft zu blicken. „Hélène Bouchets Abschied, John Neumeiers Weihnachtsoratorium (J.S.Bach), Hamburg Ballett,
Staatsoper Hamburg, 27. Dezember 2021“
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Ghost Light: Großartige Saisoneröffnung an der Hamburgischen Staatsoper

John Neumeier macht den Unterschied in der kulturell oft nicht verwöhnten Zwei-Millionen-Stadt im Norden. Was wäre die Staatsoper Hamburg ohne diesen Giganten?

Ghost Light
Hamburg Ballett, B-Premiere, Staatsoper Hamburg, 9. September 2020

von Dr. Ralf Wegner
Foto: John Neumeier 2019 © Kiran West

John Neumeier trat auch bei der B-Premiere vor Beginn auf die Bühne und schilderte den Anlass, dieses Ballett zu kreieren. Der Corona-bedingte Lockdown habe seinen Tänzerinnen und Tänzern die Bewegungsmöglichkeit genommen, die Bühne sei verwaist. Wie nachts seit ewigen Zeiten glimme nur noch ein kleines Licht, welches den Geistern Verstorbener ermögliche, sich noch einmal auf der Bühne zu zeigen.

Und es beginnt auch mit Geistern, Anna Laudere erscheint als Marguerite auf der Bühne, sie könnte auch Anna Karenina sein, so wie sie sich mit dem Rücken zum Publikum an einer Bühnenwand bewegt. Später, bereits in den Tanz der anderen eingebunden, ist es Emilie Mazoń als Marie, die Tanzenden anhimmelnd, ganz so wie in Neumeiers Nussknacker- Ballett. Alexandre Riabko trägt das Nijinsky-Kostüm und springt auch so, flugrollenähnlich, wie in jenem Ballett.

Diese Erinnerungen an Vergangenes bleiben kurz, so wie sich Geisterscheinungen zwischen Schlaf und Aufwachen einschleichen können: Flüchtige Nebel zwischen Traum und Wirklichkeit. Im Vordergrund dieser Uraufführung steht allein der Tanz, der Ausdruck eines Gefühls durch Bewegung, nicht artistischer Hochleistungssport, nichts Narratives. Es ist Neumeiers Liebeserklärung an den Tanz und an seine Tänzerinnen und Tänzer. Eine Liebe, die vom Publikum mit anhaltenden Schlussapplaus zurückgegeben wurde.

In Ghost Light wird nichts erzählt, nur getanzt, abwechselnd solistisch und in größeren, auf Abstand haltenden Gruppen, aber auch paarweise, laut Besetzungszettel nur von Ehepaaren oder Lebenspartnern. Trotzdem berühren sich auch die anderen Tänzerinnen und Tänzer, wenn auch nur vereinzelt und eher schüchtern. Der Tanz entwickelt sich immer aus der

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„Ghost Light, Hamburg Ballett, John Neumeier,
B-Premiere am 9. September 2020, Staatsoper Hamburg“
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