Komische Oper Berlin: Alles, außer „klein“ und „reduziert“

Barrie Kosky verbreitet Optimismus und Kreativität

Foto: Komische Oper Berlin (c)

von Peter Sommeregger

 „Hope for the best- expect the worst° hat sich der quirlige Intendant der Komischen Oper Berlin für diese durch Corona auf den Kopf gestellte Theaterwelt vorgenommen. An diesem sommerlichen Donnerstag präsentiert er auf der verwaisten Bühne seines Hauses die nötig gewordenen Änderungen im Spielplan für die Monate bis Dezember 2020.

Kreativität ist gefragt, um unter den gegebenen Umständen so etwas wie ein Programm zu kreieren, dass den strengen behördlichen Auflagen gerecht wird, und trotzdem für das Publikum attraktiv ist. Kosky wäre nicht der, den die Berliner für seine Quirligkeit und seine originellen Einfälle lieben, hätte er nicht innerhalb weniger Wochen einige sehr respektable Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Zwei Wörter hat er in diesem Zusammenhang zu Unwörtern erklärt, nämlich „klein“ und „reduziert“. „Komische Oper Berlin, Spielplan bis Dezember 2020
Komische Oper Berlin“
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Die Komische Oper Berlin wagt einen optimistischen Ausblick auf die Saison 2020/21

Foto: © Jan Windszus Photography

Komische Oper Berlin, 23. März 2020

von Peter Sommeregger

Nichts geschieht augenblicklich nicht nur im Berliner Kulturbetrieb wie gewohnt, die besonderen Zeiten, die uns das Corona-Virus beschert hat, erfordern den Verzicht auf lieb gewonnene Dinge, wie z.B. die launige jährliche Spielplan-Präsentation durch Barry Kosky, den Intendanten der Komischen Oper.

Nun, Kosky hat auch durch Corona seinen Humor nicht verloren, er präsentiert in einem nahezu halbstündigen Video die Details der kommenden Spielzeit, garniert mit kurzen Statements von Mitwirkenden neuer Produktionen. Sein Optimismus wirkt einmal mehr ansteckend, er lässt keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass die Saison 2020/21 so stattfinden wird, wie er sie ankündigt. Und er hat sich und seinem Haus ein sehr starkes Programm verordnet. „Vorstellung der Spielzeit 2020/21
Komische Oper Berlin, 23. März 2020“
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Barrie Kosky hat die Rolle der Mimi Nadja Mchantaf auf den Leib geschnitten

Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Komische Oper Berlin, 27. Januar 2019
Giacomo Puccini, La Bohème

von Friederike Walch

Es kracht, zwei junge Männer klettern unter der Bühne hervor. Mit dem lauten Schlag der Dachbodenluke auf die Bretter, die in den nächsten zwei Stunden Leben und Tod bedeuten, wird das Publikum in die Mansarde der jungen Bohémiens ins Paris des 19. Jahrhunderts katapultiert.

Die Neuinszenierung von Giacomo Puccinis „La Bohème“ durch Barrie Kosky treibt die Akteure auf der Bühne der Komischen Oper Berlin zu schauspielerischen Höchstleistungen an. Die vier Künstlerfreunde im ersten Bild sprühen nur so vor Lebendigkeit, Leichtsinn und schöpferischen Ambitionen. Trotz der Mittellosigkeit der Protagonisten nimmt Kosky deren artistisches Streben spürbar ernst. Der Maler Marcello, in dieser Inszenierung ein Pionier der Daguerreotypie – einem frühen Fotografie-Verfahren, das in den 1830er-Jahren entwickelt wurde – arrangiert hingebungsvoll seine Bilder. In authentischer Dramatik verkokelt Dichter Rodolfo sein neuestes Manuskript. Als kurz darauf der Musiker Schaunard mit Proviant eintrifft, paffen die Sänger die mitgebrachten Zigarren in den Publikumssaal, in dem es inzwischen riecht, als könnte die Wurst, die auf der Bühne verspeist wird, mit dem Dunst im Raum ein zweites Mal geräuchert werden. „Giacomo Puccini, La Bohème, Komische Oper Berlin, 27. Januar 2019“ weiterlesen

„Liebt euch! Die Zeit ist kurz wie ein Traum!“ – Cendrillon an der Komischen Oper Berlin

Foto: © Monika Rittershaus
Komische Oper Berlin
, 19. Dezember 2018
Jules Massenet, Cendrillon (Aschenputtel)

von Sarah Schnoor

Draußen ist es eisig kalt. Doch betritt man den Saal der Komischen Oper Berlin, ist alles warm, rot und herzlich. Der vorweihnachtliche Großstadttrubel mit den Menschen, die noch Weihnachtsgeschenke suchen, Glühwein trinken oder eilig ihre Sachen packen, um über die Feiertage nach Hause zu fahren, wird schnell vergessen. Eingehüllt von der Wärme und Stille, sieht man eine alte Frau auf die Bühne kommen. Sie hat ihre alten Spitzenschuhe in der Hand. Alle schauen ihr gebannt zu. Sie herzt die Schuhe und setzt sich resigniert hin. Die Musik beginnt.

Fast jeder kennt das Märchen Aschenputtel. Der französische Komponist Jules Massenet machte daraus eine rührselige Oper, die in der Inszenierung von Damiano Michieletto abseits vom Kitsch wunderschön interpretiert wurde. Aschenputtel kann nicht mehr tanzen. Sie ist eine im Krankenhaus liegende Balletttänzerin, deren Vater hausmeisterlich daherkommt und deren neue Stiefmutter, die Ballettschulleiterin, eine grausame Diva ist. „Jules Massenet, Cendrillon (Aschenputtel),
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Dagmar Manzel bringt das Haus zum Wackeln – als Cleopatra in der Komischen Oper Berlin

Foto: © Iko Freese / drama-berlin.de
Komische Oper Berlin,
13. Dezember 2018
Oscar Straus, Die Perlen der Cleopatra

von Gabriel Pech

Auch zwei Jahre nach der Premiere ist Dagmar Manzels Humor noch frisch wie am ersten Tag. Die Sänger-Schauspielerin treibt dem Publikum Lachtränen in die Augen und man fragt sich, was eigentlich passiert, wenn die liebe Dame einmal krank ist. Würde es irgendjemand anderem gelingen, diese unverstaubte, berlinernde Cleopatra auf die Bühne zu bringen? Wäre jemand in der Lage, als Schauspielerin, Sängerin und Bauchrednerin gleichermaßen zu brillieren?

Na gut, da gibt es Abstufungen: Ihr Gesang ist zwar gut, doch eher zweckmäßig und Barrie Kosky bezeichnet sie schon im Programmheft als »eine wirklich schlechte Bauchrednerin«. Wichtig ist, dass ihr Gesamtpaket überzeugend ist, und das kann man ohne Einschränkungen so unterschreiben. Bezeichnend für diese einzigartige Leistung ist der Eindruck, dass ihre Pointen immer noch improvisiert sein könnten – und das in der 25. Vorstellung! „Oscar Straus, Die Perlen der Cleopatra,
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»...eine absolute musikalische Schizophrenie«: Candide an der Komischen Oper Berlin

Foto:  © Monika Rittershaus
Komische Oper Berlin
, 12. Dezember 2018
Leonard Bernstein, Candide

von Gabriel Pech

Es ist leicht, über eine Candide-Inszenierung zu schimpfen. Seit ihrer Uraufführung umschwebt diese Musical-Operette von Leonard Bernstein eine kontroverse Diskussion. Das Stück passt in keine Schublade: Mal zeigt es berührende Szenen wie in »West Side Story«, im nächsten Moment fühlt man sich eher an Brechts »Dreigroschen-Oper« erinnert. Die Handlung gleicht einer Philosophiestunde im Nihilismus, einem Gedankenexperiment ohne Anspruch auf Plausibilität.

Doch genau das ist der Punkt: Es handelt sich eben um ein Bühnenwerk, das andere Ziele verfolgt, als »bloß« emotional zu unterhalten. Die frühe Musical-Schule um Leonard Bernstein und Stephen Sondheim ist voll von diesen Brechungen, die das Theater im Theater thematisieren. Barry Kosky traut sich, ein bisschen Broadway-Zauber nach Berlin zu bringen. „Leonard Bernstein, Candide,
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„Du musst Dich selbst lieben“... Die Schwedin Ylva Sofia Stenberg gewinnt den 1. Preis beim Bundeswettbewerb Gesang 2018

Foto: © Jo Titze
Finalkonzert, Komische Oper Berlin,
3. Dezember 2018

Orchester der Komischen Oper Berlin
Dirigent: Alex Kober
Moderation: Annette Dasch

Nachzuhören am Freitag, 7. Dezember 2018, ab 20.03 Uhr bei  Deutschlandfunk Kultur.

von Gabriel Pech

Es ist eine Freude, den jungen Sängerinnen und Sängern zu lauschen, die sich an diesem Abend in der Komischen Oper Berlin messen. Unter ihnen herrscht ein durchweg hohes Niveau und eine sympathische Herzlichkeit.

Ylva Sofia Stenberg singt den letzten Beitrag der Entscheidungsrunde: „Glitter and be gay“ aus Leonard Bersteins Candide. Sie überzeugt die Juroren mit einer bestechenden Natürlichkeit und einem sympathischen Humor und kann schließlich den mit 10.000 Euro dotierten 1. Preis für sich beanspruchen.

Ihr Sopran folgt ihr in jeden Ausdruck, mit einer federnden Leichtigkeit singt sie selbst die herausgestellten Hochtöne dieser anspruchsvollen Arie. Den verschiedenen Ansprüchen dieser Musical-Operette wird sie gerecht, auch den Einsatz der Sprechstimme meistert sie souverän. „Bundeswettbewerb Gesang 2018, Finalkonzert, 3. Dezember 2018, Orchester der Komischen Oper Berlin, Alex Kober,
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Psychokrimi mit Gänsehautmomenten:
Die tote Stadt in der Komischen Oper Berlin

Foto: Sara Jakubiak (Marietta) und Ensemble
© Iko Freese / drama-berlin.de
Komische Oper Berlin, 
28. November 2018
Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt

von Gabriel Pech

»Er lebte im Wien der 1910er Jahre, als er Die tote Stadt komponierte, wenn das nicht Bände spricht.« – so der Kommentar Robert Carsens über seine Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds psychoanalytischer Oper. Korngold bringt die verschiedenen Strömungen seiner Zeit zusammen: Die Psychoanalyse Sigmund Freuds und die Traumdeutung sowie den musikalischen Einfluss der Spätromantik mit Richard Strauss bis hin zu avancierten musikalischen Formen und Rhythmen, die bereits auf Berg und Strawinsky hindeuten. „Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt, Komische Oper Berlin, 28. November 2018“ weiterlesen

Für alle ist etwas dabei: "Die Liebe zu drei Orangen" in der Komischen Oper Berlin

Foto: Ivan Turšić (Truffaldino) © Monika Rittershaus
Komische Oper Berlin,
27. Oktober 2018
Sergej Prokofjew, Die Liebe zu drei Orangen

von Gabriel Pech

Ansagen vor Opernbeginn sind nie ein gutes Omen – so auch diesmal. Leider sei der Prinz „sehr kurzfristig und sehr vollständig“ ausgefallen, heißt es. Der Spielleiter selbst, Werner Sauer, werde für ihn einspringen. Dieser kennt zwar jede Bewegung des Darstellers auswendig, ist aber kein Sänger. Für den Gesang ist anderweitig gesorgt: Ein Kollege aus der Deutschen Oper, Thomas Blondelle, wird sich dessen annehmen. Allerdings spielen sie das Stück in der Deutschen Oper auf Französisch (original wäre Russisch), und diese Textfassung wird der spontan besorgte Tenor auch singen, während der Rest des Ensembles weiterhin auf Deutsch singt. Die Verwechslungskomödie beginnt also bereits, bevor die erste Musik erklungen ist.

Lustigerweise geht der Notfallplan ganz gut auf. Werner Sauer spielt diesen Prinzen überzeugend und charmant. Es ist gut zu erkennen, dass er alles genau so spielt, wie er es den Darstellern vormachen würde – übrigens hat Bertolt Brecht seinerzeit genau diesen Duktus von seinen Schauspielern verlangt. Das verstärkt den Effekt der Verfremdung und damit den Eindruck, ständig ein offenes, theatrales Spiel vor sich zu sehen. Wir betrachten aus einem gewissen Abstand, wie sich der Prinz auf der Suche nach seiner großen Liebe in diese Märchenhandlung verstrickt. „Sergej Prokofjew, Die Liebe zu drei Orangen,
Komische Oper Berlin“
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„Die tote Stadt“ an der Komischen Oper – Korngolds Siegeszug setzt sich in Berlin fort

Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Erich Wolfgang Korngold, Die tote Stadt
Komische Oper Berlin,
6. Oktober 2018

von Ingo Luther

Erich Wolfgang Korngold war 20 Jahre alt, als er mit der Arbeit an der Oper Die tote Stadt begann. Mit gerade mal 23 Jahren wurde sein erstes großes Werk in einer Doppelpremiere am 4. Dezember 1920 gleichzeitig in Hamburg und Köln uraufgeführt. Selbst Richard Strauss und Giacomo Puccini wurden zu Bewunderern der kompositorischen Fähigkeiten des im damaligen Brünn geborenen Wunderkindes.

Der Belgier Georges Rodenbach hatte 1892 seinen Roman Das tote Brügge (frz. „Bruges-la-Morte“) veröffentlicht und hier die Geschichte des Witwers Hugues Viane geschildert, der sich in „die tote Stadt“ Brügge zurückzieht und dort der tragischen Obsession zu einer Operndarstellerin erliegt, die seiner verstorbenen Frau gleicht. Unter dem Pseudonym des Librettisten „Paul Schott“ war es Korngolds Vater Julius, der seinem Sohn bei der textlichen Aufarbeitung des Stoffes für dessen Opern-Erstling zur Seite stand.

Gerne wird die Jahrzehnte währende Abstinenz von Korngold-Werken von den großen Opernbühnen dieser Welt neben seiner jüdischen Herkunft mit diversen Schwächen in den Libretti seiner Werke begründet. Kein Wunder – ist ein 20-Jähriger denn dazu in der Lage, die psychologischen Grenzwelten zwischen taumelnden Gefühlsexzessen und suizidalem Wahnsinn komplett zu durchleuchten? Sicher nicht. Dennoch erlebt Korngold in der heutigen Zeit eine wiederholte „Wiederauferstehung“! Seine Werke werden nun zu allererst als das gesehen, was sie ohne jeden Zweifel sind: musikalische Meisterwerke mit kostbaren, klanglichen Extravaganzen.

Nach der geradezu sensationellen Wiederentdeckung von Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin im April dieses Jahres kann sich der neue GMD der Komischen Oper Berlin, Ainars Rubikis, mit der Interpretation von Die tote Stadt eine Art Wunschtraum erfüllen. So jedenfalls kündigte er es im Vorfeld der Premiere auf einem hauseigenen Video an.

Eines sei vorausgeschickt: Den unglaublichen Erfolg der Heliane an der Bismarckstraße kann diese Produktion von Die tote Stadt nicht annähernd toppen. Aber hat dies wirklich jemand erwarten können? Das späte Werk Korngolds war im Frühjahr in der Deutschen Oper unter dem Dirigat von Marc Albrecht wie ein sprichwörtlicher Blitz eingeschlagen und hatte für ungewöhnlich einheitliche Begeisterungsstürme aus allen Richtungen gesorgt.

Der Besucher in der Komischen Oper Berlin bekommt einen handwerklich soliden, durch und durch schlüssigen Korngold geboten. Robert Carsen verzichtet in seiner ersten Arbeit für das Haus an der Behrenstraße auf Experimente und Provokationen. Das Skandal-Potential liegt komplett bei null. Er erzählt die Story als das, was sie letztlich ist: Die verzweifelte Geschichte eines gebrochenen Witwers, der sich zwischen dem Tod seiner innig geliebten Frau Marie und seinem Rückzug in die morbide Atmosphäre der Stadt Brügge zunehmend in den Wahnsinn halluziniert. Mit dem Erscheinen der Tänzerin Marietta, die seiner verstorbenen Frau auf verblüffende Art gleicht, verschwimmen Realität und Wahn zu einem ausweglosen psychoanalytischen Drama.

Das Ehebett als Relikt der vergangenen Glückseligkeit steht im Zentrum des Bühnenbildes und muss immer wieder als Dreh- und Angelpunkt von düsterer Vergangenheitsbewältigung und überschwänglichen Zukunftsvisionen herhalten. Das Instrument der Videoprojektion wird stilvoll und ohne jeden Aktionismus eingesetzt – es begleitet die Geschichte, es übernimmt nicht die Erzählung. Hier gelingen ausdrucksstarke Momente, wenn das Bild der verstorbenen Marie wie aus dem Nebel der Erinnerung heraus auftaucht.

Sara Jakubiak als Marietta und der Stimme Maries ist der alles überstrahlende Stern in dieser Aufführung. Ihr kraftvoll-leuchtender, immer textverständlicher Sopran kann sich mühelos über die Dezibel aus dem Orchestergraben erheben und sorgt für die Gänsehautmomente an diesem Abend. Dem kitschig-romantischen Lied Glück, das mir verblieb verleiht sie mit ihrer Stimme Tiefe und Ernsthaftigkeit.Zur Schönheit von Jakubiaks Stimme gesellt sich die überragende Kunst ihrer Darstellung. Mit Raffinesse und subtiler Erotik bemächtigt sie sich mühelos der Seele des gebrochenen Pauls, der ihrem Zauber gnadenlos verfällt.

Unter der Dominanz seines weiblichen Gegenparts kann der tschechische Tenor Ales Briscein eigentlich nur Mitleid erwecken. Seine Stimme verfügt über zu wenig Schattierungen, um die komplette Bandbreite des aus den Fugen geratenen Seelenlebens Pauls abzubilden. Er bemüht sich nach Kräften, dabei gelingen ihm in den sentimentalen, ruhigen Augenblicken durchaus berührende Momente. In den höheren Lagen wird seine Stimme eng und wenig klangschön. Schauspielerisch ist er durchaus in der Lage, dem zunehmenden Wahnsinn und der inneren Zerrissenheit des Witwers Ausdruck zu verleihen.

Günter Papendell in der Rolle des Frank übertrumpft seinen Freund Paul stimmlich in Sachen Leidenschaft und Temperament. Maria Fiselier gibt eine treusorgende Haushälterin Brigitta, die mit einer sauber geführten Alt-Stimme überzeugen kann.

Im 2. Bild kommen Glitzer und Glamour ins Spiel, die man an der Komischen Oper auch irgendwie erwartet. Rassige Tanzszenen und ein Hauch von Revue zaubern den Esprit der 1920er-Jahre in das Haus an der Behrenstraße. Auch die Prozessionsszene im 3. Bild ist mit zahlreichen Heiligenfiguren und großem klerikalen Brimborium mehr als üppig ausgestattet. Hier wird mit optischen Feuerwerksknallern nicht gegeizt.

Die Partitur stellt den neuen GMD der Komischen Oper Ainars Rubikis vor eine große Herausforderung, aber auch vor Probleme. Dieses Werk voller Dunkelheiten und Mysterien, aber auch voller Passion und Liebe stößt in musikalische Grenzbereiche vor. Hier kommt aus dem Orchestergraben zum Teil eine solche Wucht und eine solch blecherne Gewalt, dass es die Besucher im vorderen Parkett geradezu in ihren Sitz drückt. Weniger wäre da oft mehr. In den zarten, lyrischen Passagen zeigt Rubikis dafür gekonnt, warum Korngold im Fortgang seiner Karriere zum Mitbegründer der Hollywoodschen Filmmusik avancierte. Hier strömt der warme, opulente Orchestersound der Spätromantik wundervoll dahin.

Die Komische Oper hat mit Robert Carsens Interpretation von Die tote Stadt eine sehr ernsthafte und schnörkellose Deutung dieses schwülstigen Opernstoffes auf die Bühne gebracht. Bahnbrechende Ideen oder gewagte Neuauslegungen wird man vergeblich suchen – aber warum auch? Am Ende kann man zufrieden auf einen gelungenen Opernabend zurückblicken, der als ein wertvoller Mosaikstein bei der Rückeroberung der Opernbühnen durch Korngolds Werke angesehen werden kann.

An sechs weiteren Terminen in diesem Jahr ist Die tote Stadt an der Komischen Oper Berlin zu sehen. Wer die Chance hat, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Ingo Luther, 7. Oktober 2018
für klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Ainars Rubikis
Inszenierung, Robert Carsen
Bühnenbild, Michael Levine
Kostüme,Petra Reinhardt
Licht, Robert Carsen, Peter van Praet
Video, Will Duke
Paul, Ales Briscein
Marietta / Erscheinung Maries, Sara Jakubiak
Frank, Pauls Freund / Fritz der Pierrot, Günter Papendell
Brigitta, Pauls Haushälterin, Maria Fiselier
Juliette, Tänzerin, Georgina Melville
Lucienne, Marta Mika
Victorin, der Regisseur, Adrian Strooper
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Kinderchor der Komischen Oper Berlin
Tänzer, Kai Braithwaite, Michael Fernandez, Hunter Jaques, Shane Dickson, Danilo Brunetti, Daniel Ojeda, Paul Gerritsen, Lorenzo Soragni
Orchester der Komischen Oper Berlin