„Liebt euch! Die Zeit ist kurz wie ein Traum!“ – Cendrillon an der Komischen Oper Berlin

Jules Massenet, Cendrillon (Aschenputtel),  Komische Oper Berlin

Foto: © Monika Rittershaus
Komische Oper Berlin
, 19. Dezember 2018
Jules Massenet, Cendrillon (Aschenputtel)

von Sarah Schnoor

Draußen ist es eisig kalt. Doch betritt man den Saal der Komischen Oper Berlin, ist alles warm, rot und herzlich. Der vorweihnachtliche Großstadttrubel mit den Menschen, die noch Weihnachtsgeschenke suchen, Glühwein trinken oder eilig ihre Sachen packen, um über die Feiertage nach Hause zu fahren, wird schnell vergessen. Eingehüllt von der Wärme und Stille, sieht man eine alte Frau auf die Bühne kommen. Sie hat ihre alten Spitzenschuhe in der Hand. Alle schauen ihr gebannt zu. Sie herzt die Schuhe und setzt sich resigniert hin. Die Musik beginnt.

Fast jeder kennt das Märchen Aschenputtel. Der französische Komponist Jules Massenet machte daraus eine rührselige Oper, die in der Inszenierung von Damiano Michieletto abseits vom Kitsch wunderschön interpretiert wurde. Aschenputtel kann nicht mehr tanzen. Sie ist eine im Krankenhaus liegende Balletttänzerin, deren Vater hausmeisterlich daherkommt und deren neue Stiefmutter, die Ballettschulleiterin, eine grausame Diva ist.

Der großartig singende Chor der Komischen Oper stellt die Schülerinnen der alten Hexe dar und sieht bezaubernd und gleichzeitig kläglich aus bei den Ballettübungen in den blauen Tutus.

Die Madame wird von Doris Lamprecht mit herrlich dunklem Timbre gesungen. Sie spielt die nur auf sich und ihr Ansehen bedachte Stiefmutter überzeugend hochnäsig und unbarmherzig mit einer Stimmgewalt in der Mittellage und viel Nachdruck in der Tiefe. Ihr Gegenpart ist der herzhaft warme Vater Pandolfe. Werner van Mechelen singt mit seiner variablen Stimme von weich bis expressiv. Wendet er sich an seine Tochter könnte die Farbe des Bassbaritons kaum wärmer und leichter sein. Schickt er die Schwestern und seine Frau zum Teufel, kommt seine wagnererprobte Kraft zum Vorschein.

Wir sehen die arme Cendrillon (Nadja Mchantaf) zerbrechlich im Bett liegend. Plötzlich fängt sie an mit einer alles umarmenden Stimme zu singen. Fein, leicht französisch nasal klagt sie ihr Leid und reißt alle mit, ihr Schicksal zu bedauern. Die „alte“ Fee erscheint mit ihren Helfern (lauter alte Frauen). Nora Friedrich hat eine äußerst zarte, leicht schrille, aber herrlich klare Stimme. Perfekt für die wirklich anspruchsvollen Koloraturen der Fee. Sie verhilft Cendrillon doch noch auf den Ball zu gehen, wo sie den Prinzen treffen wird: Le Prince Charmant. Die Hosenrolle wird von Karolina Gumos gesungen. Die Mezzosopranistin hat eine raumeinnehmend volle und fesselnde Stimme. Gefühlvoll und intensiv lässt sie vor den Augen des Publikums einen Prinzen reich an Farben und Facetten entstehen.

Immer wieder amüsiert die Inszenierung! Männer in Tutus, die um die Gunst des Prinzen buhlen, lustige Choreografien und schnelle Szenenwechsel mit herrlichen Statisten.

Trotz beabsichtigt sichtbarem Umbau und Männern die mit Nagelmaschine auf der Bühne herumlaufen, fehlt es in der märchenhaften Waldszene, wo sich der Prinz und Cendrillon wiedertreffen, nicht an Magie. Die Stimmen von Nadja Mchantaf und Karolina Gumos verschmelzen auch dank des ähnlichen Timbres umwerfend. Bewundernswert ist, wie beide auch tänzerisch agieren. Besonders Nadja Mchantaf beeindruckt durch Geschmeidigkeit und ihre ungeahnten Ballettkünste.

Wie wir alle wissen, gibt es ein Happy End. Aber das Libretto bleibt nicht nur im Märchen, nicht im Unendlichen stecken. „Liebt euch! Die Zeit ist kurz wie ein Traum!“, scheint die Moral zu sein, bevor alle gemeinsam einen distanzierten Blick auf die Oper werfen und sich mit dem Wunsch „Es möge gefallen haben!“ verabschieden.

Dieser Abend war einfach schön! Auch das Orchester der Komischen Oper unter der Leitung von Ainārs Rubiķis begleitete schwungvoll und traumhaft. Erfrischend weit entfernt vom klischeebehafteten, kitschigen Märchen gelingt diese viel zu selten gespielte Oper und hinterlässt trotzdem ein weihnachtliches Gefühl, mit dem alle zurück auf die Straßen der erleuchteten Großstadt hinausgehen können.

Sarah Schnoor, 20. Dezember 2018, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis
Inszenierung: Damiano Michieletto
Cendrillon (Aschenputtel): Nadja Mchantaf
Madame de la Haltière: Doris Lamprecht
Le Prince Charmant: Karolina Gumos
La Fée: Nora Friedrichs
Noémie: Mirka Wagner
Dorothée: Marta Mika
Pandolfe: Werner van Mechelen
Le Roi: Carsten Sabrowski
Le Doyen da la Faculté: Christoph Späth
Le Surintendant des plaisiers: Samuli Taskinen
Le Premier Ministre: Philipp Meierhöfer
Alte Fee: Evelyn Gundlach
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin
Orchester der Komischen Oper Berlin
Chor der Komischen Oper Berlin

 

 

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