Und tatsächlich haben der Dirigent und das Orchester ihre Sache ausgezeichnet gemacht – wenn auch mit gewissen Einschränkungen.
Sibelius-Zyklus im Wiener Konzerthaus vom 21. Mai – 23. Mai 2022
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 22. Mai 2022
Jean Sibelius: Symphonien 1 – 7
Zugaben: Valse Triste, Finlandia, Heimkehr aus der „Lemminkainen“-Suite
Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä, Dirigent
Der Symphonien-Zyklus auf CD: https://www.deccaclassics.com/de/kuenstler/klaus-makela
von Herbert Hiess
Bevor man auf die aktuellen Konzerte zu sprechen kommt, muss man sich ernsthaft fragen, warum sogar echte Klassik-Kenner und -Manager vorbehaltlos ins pubertätshafte Schwärmen kommen, wenn sie den Namen Klaus Mäkelä hören.
Unbenommen, der junge Dirigent ist total sympathisch, freundlich und tatsächlich als Dirigent ein Könner. Wenn man Dirigieren rein als Ausübender der Schlagtechnik sieht, ist er natürlich jetzt schon perfekt. Aber ein Dirigent ist weit mehr als ein Taktschläger. Er ist ein Vermittler zwischen Orchester (und auch Chor) und Publikum. Er soll seine interpretatorischen Ideen dem Orchester vermitteln und sozusagen diese dem Publikum präsentieren.
Wer Sternstunden sucht, muss manchmal geduldig sein. Selbst im Wiener Konzerthaus, wo seit seiner Eröffnung 1913 fast alle auf der Bühne gestanden haben, die von Rang und Namen sind. Mit Yannick Nézet-Séguin und dem BRSO hatte das Warten nun ein Ende.
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 9. Mai 2022
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) Beatrice Rana, Klavier Yannick Nézet-Séguin, Dirigent
von Jürgen Pathy
Seit Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester mit Schostakowitschs Siebter hier glorreich einmarschiert waren, hat man nicht mehr in so einen intensiven Klangrausch tauchen dürfen wie Montagabend im Großen Saal. Viel besser geht es nicht, da muss ich dem Resümee einiger Gäste ohne jegliche Widerrede zustimmen. Dabei hatte der Abend gar nicht so vielversprechend begonnen.
Mit großen Vorschusslorbeeren hatte man sie ausgestattet. Beatrice Rana, die zierliche Süditalienerin, die in Copertino, einer Kleinstadt in der Region Apulien, aufgewachsen ist. 2019 debütierte sie in der Carnegie Hall, im Dezember 2021 spielte sie im Herkulessaal im München. Glaubt man der Kritik, alles virtuose Klangerlebnisse der Extraklasse.
Ohne die geringste Ermüdungserscheinung habe sie Notenberge gehoben, die Igor Strawinsky virtuos in drei Sätze aus seinem „Petruschka“-Ballett gebastelt hatte, schreibt da die Süddeutsche anlässlich des Münchner Recitals. Mit ihrer stupenden Technik sei es ihr gelungen, einen Klangrausch nach dem anderen zu produzieren. Ernüchternd hingegen die Reaktionen im Wiener Konzerthaus. „BRSO, Beatrice Rana, Klavier, Yannick Nézet-Séguin, Dirigent Wiener Konzerthaus, 9. Mai 2022“ weiterlesen
Johannes Berauer’s Vienna Chamber Diaries plus Strings feat. Wolfgang Muthspiel: “Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz”
Wolfgang Muthspiel, Gitarre Klaus Gesing, Sopransaxophon, Bassklarinette Gwilym Simcock, Klavier Johannes Dickbauer, Violine Christian Bakanic, Akkordeon, Percussion Florian Eggner, Violoncello Yuri Goloubev, Kontrabass Damir Oraščanin, Violine Katharina Henríquez, Violine Miaoyu Luginbühl-Hung, Violine Oliver Pastor, Violine Paul Kropfitsch, Violine Jovana Raljić, Violine Aleksandra Juszczak, Violine Joanna Rusev, Violine Marta Potulska, Viola Cynthia Liao, Viola Giorgia Veneziano, Viola Katharina Steininger, Violoncello
von Julia Lenart
Im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses präsentiert Johannes Berauer sein neues Album „Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz” mit den Vienna Chamber Diaries plus Strings feat. Wolfgang Muthspiel.
Wer Wolfgang Muthspiel und Johannes Berauer kennt, für den sind die Vienna Chamber Diaries nichts Neues. Man kennt sie schon aus früheren Projekten, wenn auch mit den unterschiedlichsten Band-Formationen. Vor zehn Jahren veröffentlichten sie ihr Debütalbum mit dem einfachen Titel „The Vienna Chamber Diaries“ (bei Muthspiels Label Material Records), inzwischen liegt mit „Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz” bereits das dritte Album vor. Für das neueste Projekt erweiterte Berauer die Band um einen beachtlichen Streichersatz aus acht Violinen, drei Bratschen und einem Violoncello.
Crossover-Projekte laufen gerne Gefahr, in oberflächliche Effekthascherei abzudriften oder an der Flexibilität der Musizierenden zu scheitern. Anders bei „Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz”: Berauer gelingt in seiner Komposition die Verschmelzung von auskomponierter, zeitgenössischer Klassik und Jazz-Improvisation. Für das hochkarätige Ensemble holte er sich ausgezeichnete Musikerinnen und Musiker, die Erfahrungen sowohl in der Klassik als auch im Jazz mitbringen. Folglich funktioniert das Zusammenspiel einwandfrei. Der Streichersatz ergänzt die Band ausgesprochen gut, formt einen harmonischen Klangkörper vor dessen Hintergrund sich die Improvisationen entfalten können. „Johannes Berauer, “Re-imagining chamber music / Re-imagining jazz”, Wiener Konzerthaus, 25. April 2022“ weiterlesen
Richard Strauss: Metamorphosen, Studie für 23 Solostreicher AV 142
Peter Iljitsch Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 „Pathéthique“
von Herbert Hiess
Dass einmal ein Botschafter eines anderen Landes Einfluss auf eine Konzertveranstaltung haben wird, hätte sich vor ein paar Monaten niemand vorstellen können. So geschehen aktuell im Wiener Konzerthaus.
Dem Veranstalter, der diese großartigen Konzerte mit dem wunderbaren Orchester durchsetzte, kann man dafür nicht genug danken. Aber ein angesetztes Benefizkonzert für die Ukraine mit diesem Orchester aus St. Petersburg (musicAeterna Orchestra) wurde auf Betreiben des ukrainischen Botschafters einfach abgesetzt. Ob man da der Sache einen guten Dienst erwies, sei dahingestellt.
Anton Bruckner Virga Jesse floruit. Graduale für gemischten Chor (1885)
Arnold Schönberg A Survivor from Warsaw, „Ein Überlebender aus Warschau“, op. 46 für Erzähler, Männerchor und Orchester (1947)
Leonard Bernstein Chichester Psalms (1965)
Charles Ives The Unanswered Question (Two Contemplations Nr. 1) (1908)
von Julia Lenart
Wenn sich der nur noch selten auftretende Thomas Quasthoff ankündigt, lässt sich der Große Saal des Wiener Konzerthauses auch zweimal füllen. Am zweiten Abend in Folge leitet Constantinos Carydis die Wiener Symphoniker und die Wiener Singakademie durch ein gekonnt interpretiertes, wenn auch eigenwilliges Programm. Neben einer Erstaufführung freut man sich auf Thomas Quasthoff, der Schönbergs A Survivor from Warsaw rezitiert. Die Programmgestaltung warf allerdings schon vor der Vorstellung Misstrauen auf, das auch knappe zwei Stunden später nicht aufgelöst werden kann.
Die Programmzusammensetzung scheint einer religiösen Thematik zu folgen, die beinahe allen Stücken zugrunde liegt. Charilaos Perpessas Christus Symphony, die am Vorabend ihre Erstaufführung im Konzerthaus erlebt hatte, orientiert sich an Bibelversen. Anton Bruckners Virga Jesse floruit ist ein Graduale wie es im Buche steht. Demgegenüber stehen Arnold Schönbergs Holocaust-Mahnmal ASurvivor from Warsaw, Leonhard Bersteins auf jüdischen Psalmen basierende Chichester Psalms und zuletzt Charles Ives in diesem Kontext schwer einzuordnendes Werk The Unanswered Question. Wie die Mischung aus jüdischen und christlichen Motiven zusammenpasst, sollte sich dem Publikum erst im zweiten Teil zeigen. Ein Einblick vorweg: Es passte nicht wirklich. „Wiener Symphoniker, Wiener Singakademie, Quasthoff, Carydis, Wiener Konzerthaus, 29. März 2022“ weiterlesen
Ludwig van Beethoven
15 Variationen mit Fuge über ein Originalthema Es-Dur op. 35 »Eroica-Variationen« (1802)
Johannes Brahms
Drei Intermezzi op. 117 (1892)
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Robert Schumann
Kreisleriana. Acht Fantasiestücke für Klavier op. 16 (1838)
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Zugabe:
Frédéric Chopin
Mazurka h-moll op. 30/2 (1836–1837)
Sergej Rachmaninoff
Prélude D-Dur op. 23/4 (1903)
Prélude es-moll op. 23/9 (1903)
Prélude Ges-Dur op. 23/10 (1903)
Alexander Skrjabin
Prélude e-moll op. 11/4 (1888–1896)
Johann Sebastian Bach
Ich ruf‘ zu dir, Herr Jesu Christ BWV 639 (Orgel-Büchlein) (Bearbeitung für Klavier: Ferruccio Busoni) (1713–1717 ca./1907–1909)
von Kathrin Schuhmann
Wenn sich trotz der Kälte des Wiener Windes in der Hoffnung, vielleicht doch noch eine Restplatzkarte ergattern zu können, bereits vor den Türen des Wiener Konzerthauses Menschentrauben bilden, darf eines als gewiss gelten: Etwas Großartiges wird für den Abend erwartet, ein Kunsterlebnis, das in Erinnerung bleibt, ein Musikgenuss, der seinesgleichen sucht. Das Konzerthaus hat sich alle Mühe gegeben, möglichst vielen Zuhörern und Zuhörerinnen ihren Wunsch, diesem Ereignis beizuwohnen, nachzukommen. So nahm das Publikum nicht nur – wie gewohnt – im Parterre und auf den Balkonen Platz, sondern zudem auf der Orgelempore und gar auf der Bühne selbst, die mit einer Stuhlreihe versehen war.
Grigory Sokolov ist ein gleichweis häufig wie gern gesehener und vom Publikum höchst geschätzter Gast im Wiener Konzerthaus. Sofern es ihm eine globale Pandemie nicht verunmöglicht, beehrt er die österreichische Bundeshauptstadt jährlich mit einem Besuch. Äußerlich betrachtet gleicht ein jeder dieser Besuche dem anderen: Bevor der Meister die Bühne betritt, wird die Beleuchtung im prall gefüllten Großen Saal gedimmt, eine fast andächtig-sakrale Stimmung wird generiert. Dann bestreitet Sokolov unter tosendem Applaus behäbig seinen Weg über die Bühne hin zum Instrument. Die Applaussalven nimmt der Meister mit einer angedeuteten Verbeugung entgegen, die eigentlich eher einem kurzen Nicken gleicht, um noch während er sich ans Klavier setzt, ohne auf einen Moment der Stille zu warten, das erste Stück anstimmt. „Grigory Sokolov, Klavier, Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 13. März 2022“ weiterlesen
Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 25. Februar 2022 Johann Sebastian Bach, Kantaten
Orchester der J. S. Bach-Stiftung Miriam Feuersinger, Sopran Margot Oitzinger, Alt Daniel Johannsen, Tenor Manuel Walser, Bariton Rudolf Lutz, Leitung
von Jürgen Pathy
„A Wahnsinn“. Das sei es, was da im Augenblick auf der Welt passiere – die Anspielung bezog sich natürlich auf den Ukraine-Konflikt. Obwohl man sich eigentlich auf einen reinen Musikabend eingestellt hatte, wurde es mehr: Mit Rudolf Lutz, dem Gründer des Orchesters der J. S. Bach-Stiftung, ging nämlich ein Entertainer verloren. Ob ein großer oder kleiner, das sollen andere beurteilen. Zumindest zündeten die meisten seiner Pointen, die der gebürtige Schweizer Freitagabend im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses abgefeuert hatte, beim Großteil des Publikums. „Johann Sebastian Bach, Kantaten, Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 25. Februar 2022“ weiterlesen
Wiener Symphoniker Yeree Suh, Sopran Barbara Rett, Präsentation Andrés Orozco-Estrada, Dirigent
Foto: Bregenz am 26.7.2021, Bregenzer Festspiele, Orchesterkonzert mit Dirigent Andrés Orozco-Estrada
Felix Mendelssohn Bartholdy
Ouverture »Die schöne Melusine« op. 32 (1833/1835)
Johannes Maria Staud
Jittering Directions (The Fury of Our Concepts). Six songs for soprano and orchestra after poems by William Carlos Williams (2021) (UA)
Kompositionsauftrag des Wiener Konzerthauses und der Wiener Symphoniker
Richard Strauss
Also sprach Zarathustra. Tondichtung frei nach Friedrich Nietzsche op. 30 (1896)
von Kathrin Schuhmann
Ganz im Zeichen des Wortes stand die Matinee, zu der die Wiener Symphoniker am vergangenen Sonntag in den Großen Saal des Wiener Konzerthauses geladen hatten. War es Franz Grillparzers ursprünglich für Ludwig van Beethoven entworfenes Libretto, das Felix Mendelssohn Bartholdy zur Komposition seiner Ouverture Die schöne Melusine inspiriert hatte, waren es sechs Gedichte von William Carols, die Johannes Maria Staud zu einer Vertonung in seinem Zyklus Jittering Directions (The Fury of Our Concepts) angeregt hatten wie auch Richard Strauss seine Inspirationsquelle für seine Tondichtung Also sprach Zarathustra aus dem gleichnamigen literarischen Werk Friedrich Nietzsches gezogen hatte. Handelt es sich bei dem ersten und letzten Programmpunkt des Konzertes also um rein instrumentale Musik, die sich anschickt, mithilfe tonfarblicher und satztechnischer Mittel ohne Zuhilfenahme des ausgesprochenen Wortes konkrete Inhalte, eine Geschichte beziehungsweise Geschehnisse darzustellen und wir es also mit Programmmusik zutun haben, gesellte sich für das Herzstück der Veranstaltung eine Sopranistin zum Orchester, der die Gedichte als textliche Grundlage ihres Gesanges dienten. Doch werfen wir zu Beginn einen genaueren Blick auf die Rahmenwerke. „Wiener Symphoniker, Yeree Suh, Barbara Rett, Andrés Orozco-Estrada Wiener Konzerthaus, 20. Februar 2022“ weiterlesen
Das Leben als Musiker ist nicht immer einfach – schon gar nicht als Solist. Selbst dann nicht, wenn Hochkaräter wie die Wiener Philharmoniker am Podium die „Begleitmusik“ spielen. Auch wenn die Wiener Philharmoniker für viele das weltbeste Orchester sind, Selbstläufer gibt es keine. Schon gar nicht, wenn nicht alles nach Plan verläuft. Das musste Denis Matsuev, am Klavier ohne Zweifel einer der Größten seiner Generation, Freitagabend im Großen Saal des Wiener Konzerthauses zur Kenntnis nehmen. Woran es allerdings gelegen hat, lässt mehrere Thesen zu.