War die Aufführung im Theater an der Wien musikalisch wirklich nicht der „Renner“, ist sie sowohl von der Regie als auch von der Besetzung her eine Meisterleistung.
Theater an der Wien, 19. Februar 2020
Christian Jost: Egmont
Foto: © Rupert Steiner
von Herbert Hiess
Ludwig van Beethoven war offenbar immer recht von diversen Kriegswirren besessen; natürlich zu seiner Zeit ganz präsent von Napoleon beeinflusst. Irgendwie hat sich das dann immer auf seine Werke niedergeschlagen. In seinen Symphonien hört man oft Elemente von Schlachtenmusik (vor allem in der Siebten) – das zieht sich sogar bis zur Missa Solemnis durch.
Ihn bewegte zusätzlich der Freiheitsgedanke und die durch Diktaturen aufgezwungene Unterdrückung von politischen Gegnern. „Fidelio“ ist natürlich das prominenteste Beispiel für eine Hymne an die Freiheit; auch der Finalsatz der 9. Symphonie eignet sich dafür. Nicht umsonst verwendete Leonard Bernstein 1989 beim Mauerfall dieses Werk als musikalische Initialzündung für die Befreiung der Menschen aus dem größten Gefängnis Europas. „Freiheit schöner Götterfunken“ war auch die schönste und dazu passendste Änderung von Friedrich Schillers „Ode an die Freude“.
Goethe war es offenbar ein Anliegen, die politischen Unbilden durch „Staatsterror“ aufzuzeigen – bei „Egmont“ halt durch den der Habsburger in den Niederlanden. Und Beethoven lieferte dazu seinen brillanten musikalischen Beitrag.
Also war es zum Beethovenjahr 2020 irgendwie logisch, dass man mit einer Neuvertonung dieses Dramas dem Komponisten seine Referenz erweisen wollte. So bekam der deutsche Komponist Christian Jost den Auftrag, dieses Stück musikalisch neu einzukleiden.
Der Komponist bewies, dass er technisch herausragend ist; seine Instrumentation ist richtig „Beethoven-like“. Es kommt keine Pauke vor, dafür aber ein paar Schlaginstrumente, eine Harfe usw. Die Instrumentation von Josts „Egmont“ wurde bewusst auf Beethoven-Dimensionen gesetzt, was Jost auch wunderbar gelungen ist. Natürlich ist Musik hören sehr subjektiv – man hatte trotzdem das Gefühl, dass es die längsten 100 Minuten überhaupt waren.
Die Musik ist sehr technisch – konstruktiv mit wenig bis gar keinen Emotionen. Auffallend war, dass sehr sehr wenig Bewegung im musikalischen Fluss war. Es begann mit vielen Ostinati (Anm.: lang gehaltene Töne), was sich bis zum Schluss durchzog. Die Komposition ist zwar außergewöhnlich schwierig für die Sänger – vor allem für Klaras hohen Sopran. Oft hatte man den Eindruck, dass die hohen Anforderungen an die Sänger mehr Mittel zum Zweck waren und dramaturgisch-musikalisch absolut nicht gerechtfertigt. Unzählige Wiederholungen von Phrasen (vor allem am Schluss bei Egmonts Gesang) zerstörten sowohl Emotionen als auch musikalische Wirkungen.
War also die Aufführung im Theater an der Wien musikalisch wirklich nicht der „Renner“, ist sie sowohl von der Regie als auch von der Besetzung her eine Meisterleistung. Der britische Regisseur Keith Warner packte das Drama in äußerst packende und starke Bilder. Mit seiner hochprofessionellen und interessanten Personenführung und diversen Aufstellungen der Personen konnte er das einigermaßen kompensieren, was an der Musik fehlte.
In der schwarz-weiß gehaltenen Szenerie konnte man Maria Bengtssons klaren und höhensicheren Sopran bewundern, den sie schon mehrfach im Theater an der Wien hören ließ. Bo Skovhus war ein exzellenter und auftrumpfender Alba, der gekonnt mit seinem profunden Bariton glänzte. Das kann man leider von Herrn Montvidas Tenor nicht so behaupten. Seine Stimme klang (zumindest an diesem Abend) manchmal fahl und etwas hohl. Aber wenigstens sang er durchaus sicher, was bei der schwierigen Partie bewundernswert ist.
Großartig Theresa Kronthaler als Albas Sohn Ferdinand und Angelika Kirchschlager als Margarete. Die Tirolerin Kirchschlager ist mittlerweile zur Charaktersängerin gereift, was manche vielleicht als Anti-Kompliment verstehen. Bei ihr hat es aber durchaus Qualitäten. Ganz toll, wie sie diese Partie präsentierte. Auch die deutsche Sängerin Kronthaler überzeugte mit ihrem Mezzo in der Hosenrolle. Kompositionstechnisch wurde ihr auch von Jost die interessantesten Passagen geschrieben – der Höhepunkt im ganzen Stück war eigentlich das Duett mit Klara.
Wenn die Komposition das gehalten hätte, was die Musiker geleistet haben (herausragend das Orchester und Michael Boder als überaus sicherer Leiter), wäre es eine Sternstunde gewesen. So war es halt eine exzellente „Performance“ mit wenig musikalischer Erleuchtung.
Herbert Hiess, 20. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.atz
Endgaras Montvidas Egmont
Herzog Alba Bo Skovhus
Margarete von Parma Angelika Kirchschlager
Clara Maria Bengtsson
Ferdinand Theresa Kronthaler
Machiavelli Károly Szemerédy
Regie: Keith Warner
Arnold Schoenberg Chor
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Dirigent: Michael Boder