Das Hamburg Ballett überzeugt in John Neumeiers Choreographie zu Glucks "Orphée et Euridyce"

Christoph Willibald Gluck, Orphée et Eurydice,  Staatsoper Hamburg, 24. Januar 2020

Foto: © Kiran West

Staatsoper Hamburg, 24. Januar 2020

Christoph Willibald Gluck, Orphée et Eurydice

Inszenierung, Choreografie, Bühnenbild, Kostüme und Licht: John Neumeier

von Ralf Wegner

Gluck komponierte diese Oper 1762 für Wien und 1774 ab­ge­ändert für Paris, mit ergänzender Ballettmusik und um­ge­schrieben für einen ho­hen Tenor. Am Freitag errei­chte der russische Tenor Dmi­try Korchak als Orphée zwar die hoch gelegenen Töne der Partie, allerdings, wenn er nicht die Kopfstimme einsetzte, mit engem und leicht grellem Klang. Die Koloraturen der dramatischen Arie am Ende des ersten Ak­tes klangen mir zu verschliffen. Auch in der Mittel­lage fehl­te es Korchak für mein Empfinden an Klang­fülle und an einer mitempfin­denden gesanglichen Gestal­tungsfähigkeit. Vielleicht hat es der Regisseur gewollt, dass sein Orphée so nach innen ge­kehrt, fast autistisch wir­kend die Szenerie durchmaß.

Empfindung kam mehr aus dem Orches­ter­graben (Musikalische Leitung: Alessandro De Marchi). Die deutlich kleinere Partie der Eurydice wurde stimmstark und klangschön von der kanadischen Sopranistin Andriana Chuchmann gesungen, die sich auch darstellerisch stärker engagierte, ebenso wie Marie-Sophie Pollak als Amor.

Foto: © Kiran West

Für die Inszenierung, Bühne, Kostüme, Licht und vor allem die Choreographie zeichnete sich John Neumeier verantwort­lich. Damit war eine optisch be­eindruckende Aufführung garantiert, wenngleich im Schlussbild die Kos­tü­me in Grün und Lila mit schräg geschnittenen Hemdchen für die männ­lichen Tänzer deplatziert wirkten. Wesentlicher für den Ge­samteindruck war aber, dass Neumeier den Ballett­teil stark in den Vorder­grund rückte. So standen einem Sän­­ger und zwei Sängerinnen 40 Tänzerinnen und Tänzer ge­genüber, die auch gefühlt mehr als die Hälfte des szeni­schen Gesche­hens beherrschten.

Foto: © Kiran West

Die Ersten Solisten Anna Laudere und Ed­vin Revazov tanz­ten Eurydike und Orpheus, oft im Sin­ne einer Spiegelung der Sänger, häufiger aber als die schma­le Grundhandlung ergänzendes Duo. Sie bestachen tän­zerisch mit schönen Pas de deux, ebenso Aleix Martinez, Ricardo Urbina und David Rodriguez als dreiköpfiger Höl­lenhund Cerberus. Besonders Urbina beeindruckte da­bei mit hohen Spagatsprüngen. Auch in den Gruppen­sze­nen setzte Neumeier seine besten Tänzerin­nen und Tänzer ein. So u.a. die Ersten Solisten Madoka Sugai, Christo­pher Evans oder Jacopo Bellussi, darüber hinaus noch ein hal­bes Dutzend weiterer Solisten. Eine tänzerisch hohe Qua­lität des Abends war damit gewährleistet.

Foto: © Kiran West

Neumeier Grundidee für das Bühnenbild basierte auf Ar­nold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“, durch das Or­pheus in die Unterwelt gelangt. Die Handlung lässt Neumeier al­lerdings in einem Ballettsaal beginnen: Orpheus probt ein Stück, seine Primaballerina Eurydike streitet sich mit ihm, verlässt vorzeitig den Saal und stirbt wenig später bei ei­nem Autounfall. Rasch gelangt Orpheus am Höllenhund Cerbe­rus vorbei in die Unterwelt zu den Seelen der Ver­stor­be­nen. Mit seiner Geliebten darf er zwar sprechen, sie aber nicht ansehen.

Eu­rydike erfährt von Orpheus, dass sie mit ihm zu den Lebenden zurückkehren kann, ver­zich­tet aber, denn sie fühlt sich wegen des ihm auf­erleg­ten Blickkon­taktes nicht mehr geliebt. Als sie ihm zu ent­schwin­den droht, dreht sich Orpheus um und verliert Eu­ry­dike endgültig. Amor rettet Orpheus vor dem Selbst­mord, Or­pheus nimmt seine Arbeit im Ballettsaal wieder auf.

Das Haus war, soweit sichtbar, bis auf den letzten Platz besetzt, der Beifall freundlich und langan­haltend.

Dr. Ralf Wegner, 25. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert