Foto: https://snl.no/Asger Hamerik
Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.
von Daniel Janz
„Alle Jahre wieder“ begegnet uns zu Weihnachten dieselbe Musik. Seien es Mariah Careys „All I want for Christmas is you“, das inzwischen mehr berüchtigte als berühmte „Last Christmas“ von Wham! und Klassiker, wie die „Stille Nacht“, „O Tannenbaum“ oder „Jingle bells“… diese Lieder gehören alle irgendwie zur Festzeit dazu.
Ähnlich sieht es in unseren Konzertsälen aus, wo zur Weihnachten stets dasselbe erklingt, sei es das ein oder andere Weihnachtsoratorium, Liederzyklen oder Tschaikowskis Nussknacker. Das alles hat seine Berechtigung und ist etablierte Tradition. Und doch kommen einem diese Klassiker mit der Zeit beschränkt, ja sogar routiniert langweilig vor. Dabei gäbe es so spannende Alternativen, diese Praxis zu ergänzen. Eine davon wäre die Choralsinfonie von Asger Hamerik.
Asger Hamerik ist ein heute nahezu in Vergessenheit geratener dänischer Komponist und Zeitgenosse von Gustav Mahler gewesen. Dass er einmal einer der bedeutendsten Komponisten in Amerika werden sollte, deutete sich zunächst jedoch nicht an. Denn ganz wie sein Vater auch, sollte er ursprünglich Theologie studieren, was sich dann aber änderte, als sich sein musikalisches Talent zeigte. Bis zum Deutsch-Dänischen Krieg 1864 lernte der Kosmopolit erst bei dänischen Größen, wie Niels Wilhem Gade und Johann Peter Emilius Hartmann und danach bei Hans von Bülow in Berlin. Bis 1869 setzte er dann seine Lehre in Paris unter Hector Berlioz fort, der ihn nachhaltig prägte. Es folgten Engagements in Baltimore (USA) und ab 1900 wieder in Dänemark, wo er im musikalischen Leben jedoch keine Rolle mehr spielte, da er zu dieser Zeit kaum noch komponierte.
Hamerik verbindet in seiner Musik Ideen der Hochromantik mit Themen der christlichen Lehre. Sehr präsent ist bei ihm beispielsweise das Prinzip der „idée fixe“, wie sie auch bei Hector Berlioz „Sinfonie fantastique“ bekannt ist. Zwar mag Hameriks Instrumentationsstil an skandinavische Größen, wie Sibelius und Nielsen, erinnern. Doch ist sein Fokus auf Orchestermusik fernab traditioneller (dänischer) Volksmusik mindestens außergewöhnlich. Darum verwundert es nicht, dass er damit in Amerika landen und erfolgreich werden konnte, während seine Heimat ihn bis heute verschmäht.
Dass dies unbegründet ist, zeigen Werke wie seine Choralsinfonie. Obwohl der Gesang in diesem Werk durch Choräle – also Kirchenmusik – inspiriert ist, ist sie im Deutschen eher als „Chorsinfonie“ bekannt. Sie ist die siebte Sinfonie, die von Hamerik noch überliefert ist und ähnlich, wie andere Sinfoniekantaten (Beethoven 9, Mahler 2 und 8 oder Brians „Gothic symphony“) wird sie von dem Gesang des gemischten Chores getragen. Dieses ursprünglich 1898 fertiggestellte und in Baltimore uraufgeführte Werk unterzog Hamerik mehreren Revisionen, zuletzt 1906, wo er der Text ins Dänische änderte und damit jene Form schuf, unter der die Sinfonie heute am gebräuchlichsten ist. Auch eine deutsche Textfassung existiert.
In der ursprünglichen Version trug dieses 3-sätzige Werk noch den Titel „Life, Death and Immortality“ – also Leben, Tod und Unsterblichkeit. Auch wenn dieser Titel vermutlich auf die Satzinhalte abzielte, wird er heute nicht mehr verwendet. Dabei bildet diese Überschrift vergleichbar zu Satztiteln eine gute Beschreibung dessen, womit uns diese Musik konfrontiert. So weckt er Assoziationen an die Idee der Sphärenharmonie. Klar wird auch der religiöse Bezug, den dieses Werk hat – weshalb es sich gerade auch für Festtage, wie Weihnachten oder auch Ostern besonders eignen würde.
Der erste Satz beispielsweise beschreibt den Drang des Menschen, über seinen Tod hinaus zu wirken. Ein Streben nach einem höheren Ziel, das Hamerik mit der Unsterblichkeit bereits in den ersten Takten des Chors vorträgt und dabei gleichzeitig die erste mehrstimmige Gesangpassage schafft, während Mühe und Sterben einstimmig (choralartig) erklingen. Begleitet von aufstrebenden Orchesterfiguren widmet er sich hier ganz dem Kampf zwischen Leiden und Sehnsucht. Auch wenn dieser immer mit dem Tod endet, stellt er doch fest: „Doch wenn du liebtest, hast du gelebt“. Und ganz im Sinne christlicher Heilslehre fleht er in der Konsequenz auch: „komm, weile stets in uns’rem Sein, oh holde Liebe“. Ein Gedanke, der uns aus der Weihnachtsbotschaft bekannt ist.
Bemerkenswert ist, wie Hamerik die Instrumentation verwendet, um den Chorgesang zu untermauern. Für das Orchester benötigt er nur klassische Ausmaße, was mit Besetzungen unter Mozart und Beethoven vergleichbar ist. Und dennoch bricht immer wieder in harmonischer Veränderung eine Figur durch, die sich wie ein roter Faden zum Gesang verhält und damit eine klare Entwicklung vollzieht. Besonders dann, wenn sich der Text wiederholt und dabei durch noch dramatischere Untermalung noch mehr festigt. Da ist es auch kein Manko, dass Hamerik auf Effekte, wie durch Becken, Triangel und Glockenspiel bis ans Ende der Sinfonie verzichtet…
Wo der dramatische erste Satz mit dem Gedanken an den Tod „trotz der Liebe Macht“ endet, beginnt der zweite Satz mit der Anrufung der Hoffnung durch ein herrlich bewegtes Mezzosopran-Solo. Dass dieser Satz aber nicht losgelöst vom ersten ist zeigt jenes aufstrebende Motiv, das Hamerik ganz im Sinne der „idée fixe“ auch hier einführt, um die Hoffnung aus den Leiden heraus anzurufen und festzustellen, dass sie ohne Mut nur irrt. Eine Stelle, die gerade auch wegen der aufbrausenden Instrumentierung schwer zu singen sein aber umso ergreifender wirken dürfte. Und doch endet dieser Satz nicht in Verzweiflung, sondern im erneuten Anrufen der Hoffnung.
Der dritte Satz antwortet darauf erst in einem tristen „Grave“, um sich dann in ein verklärendes „Allegro maestoso“ zu wenden. Mit abgespeckter Instrumentation setzt zunächst der Chor wie zu einem Trauergesang ein und benennt das Aufflammende Licht im Morgengrau als Sinnbild zur Erlösung. Der hier zugrundeliegende Heilsgedanke könnte schöner kaum umgesetzt sein, obwohl Hamerik nicht explizit das Motiv der Auferstehung nennt, sondern von „ewiger Jugend“ und „ewiger Freud“ spricht. Momente der Hoffnung und Rettung stechen dadurch in dieser sehr besinnlichen Phase stets durch und wecken Assoziationen an den Weihnachtsfrieden.
Richtig Leben nimmt dieses Finale dann nach dem zunächst düster hereinbrechenden Streichergesang und einem verlorenen Fagottsolo auf. Wie ein Sonnenaufgang steigern sich Gesang und Orchester hier stetig in Lautstärke und auch Tempo. „Wo ewig die Freude des Herrn durchwallt, wird Hoffnung blühend im Glaubenslicht“. Wer die ursprüngliche Botschaft des Weihnachtsfests teilt, wird sie in diesem Schluss vollendet wiederfinden.
Alles in allem ist Hameriks Choralsinfonie eine jener musikalischen Juwelen, die unglaublich ergreifend und auch noch technisch hervorragend umgesetzt sind. Dass sein Name heute in unseren Konzertsälen keine Rolle spielt, kann nur auf einen Mangel an Bekanntheit zurückgehen. Insgesamt wäre diese Choralsinfonie nämlich eine – auch leicht aufzuführende – tolle Ergänzung. Dazu macht die Vereinigung vom Kampf des Lebens mit der christlichen Heilsbotschaft sie gerade für Festtage zu einem passenden Werk, das eigentlich so regelmäßig in unsere Konzertsäle gehören würde, wie Bachs und Mendelssohn-Bartholdys Oratorien, Tschaikowskys Nussknacker oder das ein oder andere Werk vom (meiner Meinung nach total überbewerteten) Mozart.
Warum man noch nicht auf die Idee gekommen ist, Hameriks Choralsinfonie zu solchen Anlässen aufzuführen, leuchtet mir jedenfalls nicht ein. Es wäre an der Zeit, ihn aus der Vergessenheit zu holen und auch heute wieder regelmäßig zu spielen. Ein Publikum dürfte sich dafür sicher finden lassen. Gerade auch zu Anlässen, wie das heutige Weihnachtsfest.
In dem Sinne wünsche ich allen Lesern hier ein schönes, gesegnetes Weihnachten und hoffe mit Ihnen zusammen auf ein gutes Jahr 2024, in dem auch wieder zahlreiche weitere vergessene Klassiker warten werden!
Ich freue mich jedenfalls schon darauf, diese Entdeckungsreise fortzusetzen.
Daniel Janz, 24. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at