Sei umschlungen, leere Halle: das Europakonzert der Berliner Philharmoniker

Das Europakonzert der Berliner Philharmoniker,  Philharmonie Berlin

Philharmonie Berlin, 1. Mai 2020

Kirill Petrenko, Dirigent
Arvo Pärt, Fratres Fassung für Streicher und Schlagzeug
György Ligeti, Ramifications für Streicher
Samuel Barber, Adagio für Streicher
Gustav Mahler, 4. Symphonie in der Fassung für Kammerensemble von Erwin Stein

Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker
Foto: © Wilfried Hösl, Kirill Petrenko

von Peter Sommeregger

Das traditionell am Gründungstag des Orchesters, dem 1. Mai, alljährlich als Europakonzert in einer anderen europäischen Stadt stattfindende Konzert war in diesem Jahr für Tel Aviv vorgesehen, so eng will man den Begriff Europa hier nicht verstanden wissen. Das Konzert und einige weitere in Israel wären ein perfektes Begleitprogramm für den Staatsbesuch unseres Bundespräsidenten gewesen. Dann aber kam die Corona-Krise, sowohl Staatsbesuch, als auch die Israel-Reise des Orchesters können nicht stattfinden.

Das Bedauern darüber ist groß, auch ich persönlich wäre unter normalen Umständen gerade in Tel Aviv gewesen und hatte schon überlegt, wie ich an eine Karte für das Konzert kommen könnte. Dass ich es nun in meinem Wohnzimmer am PC live aus der Berliner Philharmonie hören und sehen kann, ist ein Triumph der Technik über die Pandemie und gleichzeitig eine Demonstration der Flexibilität Kirill Petrenkos und seiner Musiker. In großer Orchesterbesetzung hätte das Konzert auch vor leerem Saal nicht stattfinden können, also musizierte man kurzerhand nur in Kammermusikstärke und trat dabei den Beweis an, dass weniger manchmal mehr sein kann.

Den Anfang machte Arvo Pärts Komposition Fratres, in einer reduzierten Fassung für Streicher und Schlagzeug. Das feierlich getragene Stück hat speziell in dieser kleinen Besetzung etwas zart Schwebendes, mit einer traurigen , sanften Melodie die am Ende, immer leiser werdend, verklingt.

György Ligetis Ramifications für Streicher, die hier am Ort uraufgeführt wurden, sind ein deutlich dissonanteres Werk, erreichen aber in ihrer atmosphärischen Dichte eine eindringliche Wirkung.

Samuel Barbers Adagio für Streicher, einem eher düsteren, traurigen Stück begegnet man häufig bei Trauerfeiern, es wurde sicher nicht zuletzt deshalb ausgewählt, gilt es doch der vielen Toten zu gedenken, die das Virus bis jetzt schon gefordert hat.

Wie für Tel Aviv vorgesehen, kommt als Hauptwerk die 4. Symphonie Gustav Mahlers zur Aufführung. Den besonderen Umständen Rechnung tragend, wird es in der 1921 von Erwin Stein erstellten Fassung für Kammerensemble aufgeführt. Von den ersten Takten an ist man fasziniert, wie gut sich diese anspruchsvolle Musik auf die kleine Besetzung reduzieren lässt, ohne etwas von ihrem polyphonen Melodienreichtum zu verlieren. Es sind allerdings auch Meister ihres jeweiligen Instruments am Werk, auch Kirill Petrenko am Pult lebt diese Musik, die er offenkundig besonders zu lieben scheint, in seiner gewohnt präzisen Zeichengebung intensiv nach. Christiane Karg, die das Sopransolo der „Himmlischen Freuden“ singt, profitiert ebenfalls ungemein von der kammermusikalischen Atmosphäre, sie muss gar nicht erst versuchen, sich gegen ein großes Orchester durchzusetzen und kann sich  mit ihrem klaren, sauberen Sopran ganz den Kantilenen des Wunderhorn-Liedes hingeben.

Am Ende fühlt man sich beschenkt und ist speziell für die Begegnung mit dem kammermusikalischen Mahler dankbar!

Peter Sommeregger, 1.Mai 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Philharmonie Berlin,
© Schirmer

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