Daniele Gatti, Foto: © Marco Borggreve
Kulturpalast Dresden, 24. und 25. Mai 2021 (Streaming-Konzerte)
Dresdner Festspielorchester
Daniele Gatti, Dirigent
»Schumann-Sinfoniezyklus«
Robert Schumann:
Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 »Frühlingssinfonie«
Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 »Rheinische«
Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 (Fassung von 1851)
von Pauline Lehmann
Am Beginn der diesjährigen, 44. Dresdner Musikfestspiele steht eine digitale Begegnung mit dem sinfonischen Œuvre Robert Schumanns. Der Romantiker, der ab dem Herbst 1844 bis 1850 mit seiner Familie in Dresden lebte, verblasst allzu oft im musikalischen Gedächtnis der Elbestadt. Umso bedeutungsvoller ist es, dass die Musiker*innen des Dresdner Festspielorchesters und der italienische Dirigent Daniele Gatti nun alle vier Sinfonien von Robert Schumann erklingen lassen und damit den Komponisten für Dresden quasi wiederentdecken.
Bereits im Jahr 1838 hatte Robert Schumann bemerkt: „Das Klavier wird mir zu enge. Ich höre bei meinen jetzigen Kompositionen oft noch eine Menge Sachen, die ich kaum andeuten kann.“ In der „Großen“ C-Dur-Sinfonie des bereits zehn Jahre zuvor verstorbenen Franz Schubert, die Schumann auf einer Reise nach Wien bei dessen Bruder Ferdinand entdeckt hatte, sah er den Ausweg aus jener Krise, welche er der sinfonischen Gattung zuvor – im Anbetracht des Titanen Beethoven – attestiert hatte.
Bei Schumann selbst löste Schuberts „Große“ einen sinfonischen Eifer aus, der biographisch mit der langersehnten Heirat mit Clara Wieck einherging und zunächst in das „sinfonische Jahr“ 1841 mündete. Nach einem Probenbesuch von Schuberts C-Dur-Sinfonie im Leipziger Gewandhaus schreibt er ganz emphatisch an Clara: „Ich war ganz glücklich und wünschte nichts, als Du wärest meine Frau und ich könnte solche Sinfonien schreiben.“ Beides sollte sich erfüllen. Der erbitterte Widerstand des Schwiegervaters war besiegt und aus dem gemeinsamen Haushaltsbuch strahlen im Januar 1841 die Vermerke „Symphoniefeuer“ und „Juchhe! Symphonie fertig!“. Diese Worte beziehen sich auf seine Erste, die »Frühlingssinfonie«.
Als Jan Vogler, der Intendant der Dresdner Musikfestspiele, auf der Jahrespressekonferenz Anfang Oktober das bevorstehende Gastdirigat des italienischen Maestros beim Dresdner Festspielorchester ankündigte, hat er keinesfalls zu viel versprochen. Daniele Gatti dirigiert auswendig und beweist sich als exzellenter Kenner der Schumannschen Sinfonien. Die Interpretationen kommen innovativ und energiegeladen daher und besitzen einen ausgewogenen und dennoch kräftigen Klang, der dem Komponisten selbst so wichtig war. Allein der frohe und optimistische Gestus des sinfonischen Erstlings, der »Frühlingssinfonie«, will sich nicht einstellen.
Erst im zweiten Teil des sinfonischen Zyklus hellen sich die Gesichter der Musiker*innen merklich auf, die Atmosphäre wird lichter und der vom Orchester gewohnte helle und transparente Klang macht den zu ernst und mühsam geratenen Beginn wett – eine aufgrund der Corona-Krise und der langen Spielpause ‚vereiste‘ »Frühlingssinfonie«. Die ‚dunkle‘ Zweite scheint besser fassbar zu sein, nun wird man von der Musik wahrlich mitgenommen. Die virtuosen Figuren der Violinen, die den Musikern des Gewandhausorchesters einst „eine derbe Nuss“ waren, sind brillant.
In der Dritten und Vierten schöpfen Daniele Gatti und die Musiker*innen des Dresdner Festspielorchesters aus dem Vollen. Die »Rheinische«, der ein patriotischer Tonfall zugesprochen wird, bringt eine feierliche Heiterkeit mit sich. Dieser offenere Gestus überträgt sich auch auf die in d-Moll geschriebene Vierte.
Bezüglich seiner Sinfonien war Robert Schumann ein Meister der Revision. Ein abermaliges Hören seiner Musik wechselte sich mit Korrekturen in der Partitur ab; äußerst gewissenhaft und überprüfend ging er bei der Instrumentierung vor. Summa summarum ergab sich daraus eine bis ins Kleinste auf das jeweilige Orchester, sei es das Leipziger Gewandhausorchester oder das Düsseldorfer, abgestimmte Partitur. Dieser klanglichen Balance und Tiefe spüren die Musiker*innen des Dresdner Festspielorchesters nach.
Last not least: Die erste CD-Einspielung des Dresdner Festspielorchesters von 2016 entführt mit dem Cellokonzert und der Zweiten Sinfonie in die Klangwelt des in Zwickau geborenen Romantikers. Solist ist Jan Vogler; das Dresdner Festspielorchester musiziert unter seinem Chefdirigenten Ivor Bolton (SONY 2016).
Pauline Lehmann, 31. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at