Erst der zweite Akt nimmt in Neumeiers Ballett Endstation Sehnsucht richtig Fahrt auf - und endet hammerhart (2. Teil)

Endstation Sehnsucht, Ballett von John Neumeier  Staatsoper Hamburg, Aufführung vom 24. September 2023

Ana Torrequebrada (Stella DuBois), Karen Azatyan (Stanley Kowalski), Ida Praetorius (Blanche DuBois), Christopher Evans (Harold Mitchell), Alessandro Frola (Allan Gray)

Im Vergleich mit der Aufführung vom 22. September 2023 war dieses die dichtere, in sich schlüssigere Vorstellung. Das lag vor allem an der herausragenden tänzerischen Interpretation des Allan Gray durch Alessandro Frola. Er erhielt dafür am Ende auch den meisten Beifall.

Staatsoper Hamburg, Aufführung vom 24. September 2023

Endstation Sehnsucht
Ballett von John Neumeier
nach Tennessee Williams Drama „A Streetcar Named Desire“

Musik: Sergej Prokofjew „Visions fugitives“ op. 22;  Alfred Schnittke: Erste Sinfonie

Pianist: Ondrej Rudcenko, und Musik vom Tonträger

Choreographie, Inszenierung, Bühnenbild und Lichtkonzept: John Neumeier


von Dr. Ralf Wegner (Text und Fotos)

 Eigentlich stimmt die Überschrift nicht mehr. Alessandro Frola überzeugte im ersten Akt als Allan Gray nicht nur technisch mit hohen Sprüngen und einem außergewöhnlichen Drehspin, sondern vor allem auch darstellerisch, so dass man an die Auftritte von Alexandre Riabko erinnert wurde. Mit einem Mal lag Spannung in der Luft, wenn Frola sich um seine Braut bemühte, sie anlächelte, sich von seinem Freund (Florian Pohl) zunächst gestört, dann aber wieder zu ihm hingezogen fühlte.
Allein die letzten Sekunden vor dem tödlichen Schuss zeigten, dass sich dieser Mann in einer für ihn unerträglichen Situation befand, aus der es für ihn als Ausweg nur den Suizid gab. Eine großartige Leistung, die auch noch im zweiten Akt in Blanches Visionen Wiederholung fand, und nicht nur als Allan, sondern auch als ihm ähnelnden Zeitungsjungen oder Irrenarzt, dem sich Blanche am Ende widerstandslos anvertraut.

Ida Praetorius

Auch die anderen Rollen waren neu besetzt. Als Stanley Kowalski zeigte Karen Azatyan weniger durch Mimik als allein mit körperbetonter Ausstrahlung, dass er stets oben, und nie unten liegt. Während der erste Pas de deux mit seiner immer Fröhlichkeit ausstrahlenden Ehefrau Stella (Ana Torrequebrada) noch etwas eingeübt anmutete, erwiesen sich jene mit Blanche (Ida Praetorius) als hochprofessionell und sowohl technisch wie auch darstellerisch voll überzeugend und emotional bis fast zum Unerträglichen ergreifend.

Ida Praetorius wirkte als Blanche häufig wie ein scheues Reh, ihr Schicksal schien ihr von Anfang an vorherbestimmt. Sie ist eine perfekte Tänzerin, die aber vor allem im ersten Akt noch nicht die ganze Ausdruckspalette zeigte, deren Anna Laudere mächtig war. Christopher Evans war ihr schüchterner Verehrer Mitch, der erst von ihr abließ, als sie ihr Vorleben mit dem Kontakt zu verschiedenen Männern ihm gegenüber zugab. Mit einem großartigen Solo tanzte er sich seine Enttäuschung und Verärgerung vom Leib.

Laura Cazzaniga (Pflegerin), Florian Pohl (Allans Freund), Artem Prokopchuk (Kiefaber), Nicolas Gläsmann (Shaw), Kiran West (Ein Soldat)

Blanche Liebhaber wurden, wie bei der vorhergehenden Aufführung, überzeugend von Nicolas Gläsmann als Shaw, Artem Prokopchuk als Kiefaber und von Kiran West (Ein Soldat) getanzt. Der 38-jährige West arbeitet ja schon seit Langem als Fotograf beim Ballett, und trat Jahre nicht mehr auf der Bühne auf. Dass er tänzerisch dennoch mit seiner Rolle unverändert überzeugen konnte, ist schon außerordentlich bemerkenswert.

Emilie Mazon war einer der kleineren Rollen anvertraut, majestätisch schritt sie als Margarete über die Bühne, Laura Cazzaniga sah als starr auf dem Stuhl sitzende Großmutter wie aus dem Grab gestiegen aus, später als Pflegerin, die Blanche zu Boden ringt, zeigte sie die Gefühlskälte und körperliche Dominanz einer Irrenwärterin, und Niurka Moredo erschien als Tante Jessie am Rande des Balls. Vladimir Kocic mimte einen Herzinfarkt-Tod und Eduardo Bertini stolzierte als würdiger, aber aus der Zeit gefallener General durch den Festsaal des Südstaaten-Pflanzerhaus Belle Rêve.

Den New-Orleans-Akt bevölkerten weitere 24 Tänzerinnen und Tänzer, mehrfach traten sie als Teilgruppe auch fahnenschwingend auf. Inhaltlich erschloss sich dieser marschähnliche Einschub nicht zwangsläufig.

Das New Orleans Ensemble

Im Vergleich mit der Aufführung vom 22. September 2023  war dieses die dichtere, in sich schlüssigere Vorstellung. Das lag vor allem an der herausragenden tänzerischen Interpretation des Allan Gray durch Alessandro Frola. Er erhielt dafür am Ende auch mit den meisten Beifall.

Dr. Ralf Wegner, 25. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Endstation Sehnsucht Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 22. September 2023

Endstation Sehnsucht, Ballett von John Neumeier nach Tennessee Williams, Gastspiel des Tschechischen Nationalballett

Senatsempfang für John Neumeier im Hamburger Rathaus, 10. Juni 2023

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