Arnold Bezuyen (Mime) und die Schülerstatisterie. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Die Bayreuther Festspiele 2022 sind vorbei. Zeit, einmal die Lehren und Eindrücke dieser Spielzeit zu reflektieren.
von Peter Walter
Es war ein Sommer mit vielen Sternstunden und erfreulichen Lehren für die Zukunft:
Neu ist nicht schlecht
Neulinge gab es viele, Valentin Schwarz als Regisseur, Daniela Köhler als Brünnhilde, Olafur Sigurdarson als Alberich, um einige zu nennen. Es gehört zur „Werkstatt Bayreuth“, neben großen Namen auch „Neuentdeckungen“ zu präsentieren. Beispiel Sigurdarson: Der gefeierte Alberich war noch bis 2017 am Staatstheater Saarbrücken, letztes Jahr gab er als Biterolf sein Bayreuth-Debüt. Die Wagner-Welt hat einen neuen Alberich, die Kulturszene im Saarland eine Erfolgsstory.
Ähnliches gilt für Köhler. Etwas mehr Vorerfahrung hat sie, von Chemnitz nach Bayreuth ist aber auch ein Sprung. Und ja, die Schwarz-Inszenierung wurde gnadenlos ausgebuht und heftig kritisiert. Ein kleines Wunder, dass es friedlich geblieben ist. Viele Reaktionen waren leider so nach dem Motto: „Taugt nix, weil’s neu ist“. Schmarren, neu ist prima, neu ist wichtig. Lassen wir neu mal ein paar Jahre sitzen, dann reden wir nochmal, ob’s gut oder schlecht ist.
Die nächste Generation an Wagner-Sopranistinnen glänzt
Zwei junge Norwegerinnen – Lise Davidsen und Elisabeth Teige – sind der Grund, warum sich Bayreuth in den nächsten Jahren keine Sorgen um die großen Sopran-Rollen machen muss. Beide sind absolute Weltklasse, Lise Davidsen etwas bissiger, Elisabeth Teige ein wenig sanfter. Und beide haben hoffentlich noch reichlich Karriere vor sich.
Oksana Lyniv
Diese Dirigentin verdient mehr als eine eigene Lobeshymne. Sie ist zwar formell keine Bayreuth-Neuling, war letztes Jahr aber eine der wichtigsten Entdeckungen der Opernszene. Christian Thielemann wird sich warm anziehen müssen, sollte er – wie angefragt – 2025 nach Bayreuth zurückkehren und diese Frau wieder am Pult stehen. Denn die Standards, die der ehemalige Musikdirektor in Sachen Holländer erst 2013 gesetzt hat, drohen von Oksana Lyniv überrollt zu werden.
Das Festspielhaus ist wieder voll, mit Publikum wie mit Buh-Rufen
Im zweiten Corona-Jahr darf das Festspielhaus wieder voll besetzt werden. Neben der sehr wichtigen Angebotssteigerung bedeutet das: Doppelt so viele Leute sitzen im Saal, doppelt so viele Leute können Buh Rufen. Und was für eine Stimmung, das hat man seit Corona nicht mehr so erlebt! Eine Vorstellung wird erst dann richtig spannend, wenn man merkt: Die Leute haben Meinungen dazu – starke Meinungen.
Über die Inszenierungen wird gestritten
Was mich zum gleich zum nächsten Punkt bringt: Die Diskussionen rund um die Aufführungen. Auch sie gehören zur „Werkstatt Bayreuth“. Der Wolfgang-Wagner-Platz wird in der Pause zum Forum Bayreuthum, das ist die wahre Seele Bayreuths! Die Leute kommen, um zu streiten – übrigens in den verschiedensten Sprachen –, nicht zu schauen. Sonst könnte man ja gleich Ledersessel und Plüschsofas ins Parkett stellen. Genau das wollte Wagner eben nicht.
Die Masken sind weg
Nein, ich meine nicht die auf der Bühne, ich meine die FFP2-Masken im Publikum. Lange war ich ein strenger Befürworter einer sehr strikten Maskenpflicht. Nach über anderthalb Jahren Impfkampagne ist die Situation jedoch eine ganz andere. Im Frühjahr war noch von Impf- UND Testnachweisen die Regel. Die Verwaltung hat wohl erkannt, dass diese Regeln überholt sind. So können die Schallwellen auch wieder das Gesicht treffen, das immersive Klangerlebnis ist zurück.
Zu guter Letzt: Auch Altbekannte dürfen nicht fehlen
Wie gut, dass die „Werkstatt Bayreuth“ nicht vergisst, auch auf altbekannte Künstler und Künstlerinnen zu setzten. Da wäre vor allem Christian Thielemann, der selbst seine erbitterten Feinde im Publikum mit seinen Wagner-Dirigaten völlig vom Hocker haut. Klaus Florian Vogt nähert sich zwar seinem 20-jährigen Bayreuth-Jubiläum, ist aber ebenso unverzichtbar für die Festspiele wie Christa Meyer. Wo sind eigentlich René Pape und Ricarda Merbeth geblieben?
Nun gab es leider auch einige Aspekte, die weniger erfreulich liefen:
Petra Lang und Iréne Theorin
Die allermeistern Sänger und Sängerinnen auf dem Grünen Hügel sind absolute Weltklasse, sämtliches Meckern ist auf aller höchstem Niveau. Nicht so bei Petra Lang (Ortrud) und Iréne Theorin (Brünnhilde), die beide leider durch sehr falsche Intonation und schrilles Timbre aufgefallen sind. Interessant, dass beide nächstes Jahr nicht gesetzt sind.
Gould singt zu viel
Stephen Gould ist einer der besten Wagner-Tenöre aller Zeiten und immer noch ein grandioser Tannhäuser. Das soll bitte auch ein paar Jahre noch so bleiben. Götterdämmerungs-Siegfried, Tannhäuser und Tristan in einer Bayreuth-Spielzeit, wieso muss er sich das antun? Er steht zweifelsfrei näher am Ende als am Anfang seiner Karriere, es wäre hier Zeit für neue Stimmen.
Das Wotan-Dauer-Problem
Es herrscht mal wieder Wotan-Mangel, nicht nur in Bayreuth. Die mächtigste Wagner-Bariton-Rolle der Welt ist einfach unsingbar. Nach einem Umbesetzungs-Chaos ist es Tomasz Konieczny geworden. Für den Wanderer eine Traumbesetzung, beim Feuerzauber fehlt ihm ein wenig die Lyrik des liebenden Vaters. Das ist zwar Meckern auf sehr hohem Niveau. Aber Bayreuth sollte sich trotzdem nach einem neuen Wotan umschauen. Eric Owens in Wien ist eine spannende Wahl…
Die Sanierungsarbeiten
Das Festspielhaus muss saniert werden, keine Frage. Zwei Aufzüge – nicht einer – sind mehr als überfällig. Warum man die Baumaßnahmen nicht so plant, dass man sechs Wochen im Jahr in die Galerie rechts hinaufsteigen kann, ist mir schleierhaft. Zumal ich den ganzen Sommer lang keine einzige Person auf dieser Baustelle gesehen habe. So nach dem Motto: „Wir bauen für Sie, damit Sie einmal im Leben fünf kaum ausgeschilderte Riesenumwege zu Ihrem Platz nehmen können“.
Der Publikumsstau bei der letzten Götterdämmerung
Nach der letzten Götterdämmerung bildete sich in Haus ein Riesenstau an geduldigen Festspielgästen. Schlimmer als am Stachus! Denn von insgesamt sechs Außentüren waren nur zwei für den Publikumsverkehr freigegeben. Ich fragte das – übrigens formschön vor den verschlossenen Türen aufgereihte – Personal, warum sie diese nicht öffneten. „Aus betriebsinternen Gründen“. Wie bitte? Was kommt denn als nächstes? „Aus betriebsinternen Gründen wird Georg Zeppenfeld heute den Tristan singen und die Rolle Marke leider entfallen“? Solche organisatorischen Fauxpas werden genauso im Gedächtnis bleiben wie der Lohengrin bei geschlossenem Vorhang.
Der Tristan wurde nur zweimal gespielt
Die größte Überraschung des Sommers war der neue Tristan. Ein Corona-Notfall-Plan, so Katharina Wagner in zahlreichen Pressekonferenzen. Nächstes Jahr steht die Produktion auch nur zweimal an. 2024 dann… schon wieder ein neuer Tristan? Wird es dann zwei Konkurrenz-Inszenierungen geben? Oder wurde hier ernsthaft eine ganze Oper für nur vier Vorstellungen inszeniert? Eine Fehlplanung erster Ordnung! Opern sind dazu da, gesehen zu werden, nicht um Spielpläne aufzufüllen.
Der Spielplan für nächsten Sommer
Pünktlich zum Festspielende ist der Spielplan für nächstes Jahr auch da. Leider nicht viel zu Feiern: Kober, Davidsen und Nylund sind raus, Lundgren singt wieder den Holländer. Calleja, Stutzmann und Semenchuk sind völlige Wagner-Wildcards, über die 3D-Brillen der Parsifal-Inszenierung wird jetzt schon diskutiert. Die Intendantin spielt die Risikokarte, hoffentlich geht das auf. Sehr erfreulich: Siyabonga Maqungo steigt vom Jungen Seemann zum Walther von der Vogelweide auf.
Es bleibt spannend, wie sich die diesjährigen Eindrücke in der nächsten Spielzeit weiterentwickeln werden. Fest steht: Nach den Festspielen ist vor den Festspielen.
Peter Walter, 4. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Festspielluft I: Festspielstürme wichen dem Wotan-Mond klassik-begeistert.de