Frauenklang 4: Frauen in der Musik und Musikwissenschaft – Teil 1

Frauenklang 4: Frauen in der Musik und Musikwissenschaft – Teil 1

Foto: Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka

Das schöne Geschlecht war in der Musikwelt nicht immer so präsent wie heute. Von Frauen komponierte Musik existiert weitaus länger als Frauenfußball oder Frauenparkplätze. Jedoch sprach man kaum über sie – es sei denn, dass sie die Kunst ihrer männlichen Zeitgenossen weit übertraf. In der Musikgeschichte gab es nicht nur Frauen, die sangen oder Pianoforte spielten; klassik-begeistert-Autorin Jolanta Łada-Zielke weckt sie aus ihrem Schattendasein: die Komponistinnen und Dirigentinnen, bedeutende weibliche Künstlerpersönlichkeiten, über die man zu Unrecht nichts oder zu wenig weiß. Sie präsentiert hervorragende Musikerinnen verschiedener Nationalitäten und Kulturen – aus Vergangenheit und Gegenwart. Höchste Zeit, dass Frauenklang ertönt!

Ein Gespräch mit der polnischen Musikwissenschaftlerin Danuta Gwizdalanka, die als Erste in Polen das Thema „Frauen in der Musikgeschichte“ erarbeitete. Wir unterhalten uns über die feminisierte Musikwissenschaft in Polen und polnische Komponistinnen, die in Deutschland Erfolg hatten.

Interview: Jolanta Łada-Zielke

Frau Gwizdalanka, Ihr Buch „Muzyka i płeć“ (Musik und Geschlecht, Krakau, 2001) war die erste polnische Veröffentlichung, die die Beteiligung von Frauen an der Musikgeschichte beschrieb. Ihre weitere schriftliche Arbeit zu diesem Thema ist eine Monographie über polnische Musik, die anlässlich des 100. Jahrestages der Unabhängigkeit Polens auf Englisch und Polnisch herausgegeben wurde. Bald soll die deutsche Ausgabe davon erscheinen. Im Schlusskapitel „Herstoria“ geht es um die Verdienste von Frauen im zwanzigsten Jahrhundert. Von Zeit zu Zeit tritt die Frage in Polen auf, es kommt jedoch spät dazu, die Geschichte der Musik aus einer spezifisch weiblichen Perspektive zu betrachten. Es ist auch ein Thema, das selten diskutiert wird – anders als in Deutschland, England oder in den Vereinigten Staaten. Warum diese Verzögerung – und überhaupt das mangelnde Interesse in dem Bereich?

Einfach ausgedrückt, es besteht kein Bedarf dafür. Die Situation der polnischen Frauen, die sangen, spielten und komponierten unterschied sich zwar deutlich von der Lage ihrer westeuropäischen Kolleginnen. In der Musikwissenschaft, die sich mit dem Studium der Musikgeschichte befasst, war der Unterschied enorm.

Wenn es um die Musikwissenschaft geht, ist es zweifellos ermutigend, dass sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts so viele polnische Frauen nicht nur als Pianistinnen und Sängerinnen, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht mit Musik beschäftigten.

Zunächst waren das talentierte Frauen in Lemberg (heute Lviv, die Ukraine). Stellen Sie sich vor, 1926 wurde eine Frau – Maria Szczepańska – Assistentin für Musikwissenschaft in Lemberg. Kein Wunder, denn sie war eine der ersten Absolventen oder genauer gesagt Absolventinnen dieser Fakultät. Die ersten waren nämlich zwei Frauen und ein Priester. In Krakau trat die erste Frau 1935 einer Gruppe von fünf Dozenten bei. Und wieder war nichts Außergewöhnliches daran, denn vor dem Krieg wurden 15 Frauen an der Jagiellonen-Universität habilitiert, darunter zwei in Musikwissenschaft. In Deutschland mussten talentierte Absolventinnen dieser Fakultät noch lange Jahren darauf warten.

Prof. Zofia Lissa (1908–1980)

Abgesehen von dem Titel „habilitierte Doktorin“, vergab man die Stellen der Abteilungsleiter trotzdem nur an Männer?

Elżbieta Dziębowska

Ja, in Deutschland und anderen europäischen Ländern, aber nicht in Polen. In Warschau leitete Zofia Lissa die Musikwissenschaft-Abteilung. Sie war eine herausragende Wissenschaftlerin und zwar auf internationaler Ebene, die sich von 1949 bis 1975 an der Spitze der Musikwissenschaft platzierte. Ihr folgten andere Damen, wie Anna Czekanowska und Zofia Helman. Nur in den Jahren 1996-1998 wurde ein Mann – Miroslaw Perz – mit der Leitung dieses Instituts betraut, danach kehrte „die Herrschaft“ der Frauen zurück. Nach dem Tod von Zdzisław Jachimecki, dem Gründer der Musikwissenschaft an der Jagiellonen-Universität Krakau, übernahm Stefania Łobaczewska seine Stelle und leitete diese Abteilung bis zu ihrem Tod zehn Jahre lang. Dann wurde das Institut von anderen Musikwissenschaftlerinnen geleitet, darunter Elżbieta Dziębowska, die zusätzlich die Chefredakteurin der mehrbändigen PWM Music Encyclopedie war. Zu diesem Zeitpunkt hatte keine Frau in einem westeuropäischen Land eine solche Chance. Und das dauert in Polen bis heute an: Frauen dominieren eindeutig sowohl in der Personalabteilung als auch in Führungspositionen der Musikwissenschaft. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass das Gefühl der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in diesem Umfeld nicht gerechtfertigt war.

Wie sind Sie auf dieses Thema aufmerksam geworden und wie entstand Ihr Buch „Musik und Geschlecht“?

Mein Interesse war das Ergebnis eines kleinen Schocks. Ich habe ihn erlebt, als ich mir die Liste der Dozenten für Musikwissenschaft in Köln durchlas und dann andere deutsche Zentren aus dieser Perspektive angesehen habe. Frauen waren dort marginal – sogar in den neunziger Jahren! Für mich war das unverständlich. Daher kommt meine Beschäftigung mit diesem damals in Polen noch exotischen Thema „Geschlecht“, aus dem das Buch „Musik und Geschlecht“ entstand. Wie auch immer muss ich zugeben, dass es mit mäßigem Interesse aufgenommen wurde. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde mein Buch „Musik und Politik“ veröffentlicht, das viel mehr Resonanz hervorrief und schneller ausverkauft war. „Musik und Geschlecht“ wurde als Kuriosität behandelt, das zu dieser Zeit nur noch wenige Menschen in Polen betraf.

Nachdem ich „Musik und Geschlecht“ gelesen hatte, kam ich zu dem Schluss, dass Frauen, die entgegen aller Widrigkeiten Dirigentinnen und Komponistinnen wurden, viel mehr Anstrengungen in ihre berufliche Entwicklung investieren mussten als Männer. Einige haben sich vom persönlichen Glück zurückgezogen, um sich der Musik zu widmen, wie Antonia Brico, die kürzlich in Maria Peters  Film „Die Dirigentin“ gezeigt wurde. Aber gibt es auch Damen, die es geschafft haben, ihre Lebensbereiche miteinander zu versöhnen?

Grażyna Bacewicz

Ja, zum Beispiel hat Grażyna Bacewicz selbst scherzhaft über das innere „Motorchen“ gesprochen, das sie mit unerschöpflicher Energie antreibt. Es war notwendig, weil ihre Aktivität wirklich viel Energie erforderte. Es gibt keine andere Möglichkeit für Frauen, die sich beruflich mit Musik beschäftigen und zugleich eine Familie haben möchten. Ohne dieses „Motorchen“ mangelt es an Motivation und Kraft, um alles zu betreiben.

Grażyna Bacewicz’ Stücke wurden in Deutschland gespielt. Sind auch andere polnische Komponistinnen unter unseren westlichen Nachbarn bekannt?

Einige von ihnen wurden berühmt. Leider ist es schwierig, über Ruhm zu sprechen. Man erfuhr von ihnen, sie gewannen Interesse  dank der Auszeichnungen, die sie beim Wettbewerb für Komponisten in Mannheim gewonnen hatten, an dem sie erfolgreich teilnahmen. Es war eine ziemlich große Gruppe polnischer Frauen, unter anderem Krystyna Moszumańska-Nazar. Es handelte sich um eine wegweisende Initiative, um Komponistinnen zu ermutigen, in das Musikleben einzutreten. Damals wurde dieses Gebiet fast ausschließlich von Männern dominiert. Frauen sind noch heute eine Minderheit darin, wachsen aber weiter. Derzeit ist Agata Zubel die bekannteste polnische Komponistin in Deutschland.

In Peter Heilbuts „Komponistentabelle“ erscheint nur eine polnische Frau, Elżbieta Sikora, in guter Gesellschaft von Sofia Gubaidulina.

Elżbieta Sikora (2016) Foto: Artur Andrzej, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48933485

Das ist schön, denn Elżbieta Sikora ist eine ausgezeichnete Komponistin. Aber warum nur sie? Das ist schwer zu sagen. Sikora lebte und arbeitete lange in Paris und vielleicht hatte Heilbut gerade von ihr gehört? Wenn man in so reichlich vorhandenem Material Entscheidungen treffen muss, ist es manchmal schwierig, konsistent zu sein und das Thema mit Sicherheit zu erschöpfen.

1975 erhielt die erste polnische Dirigentin, Agnieszka Duczmal, beim 4. Internationalen Herbert von Karajan-Dirigentenwettbewerb in Westberlin eine Auszeichnung. Dieser sagte aber in einer Pressekonferenz 1979, dass Frauen sich nicht für ein Orchester, sondern für die Küche eignen. Sie haben seine Aussage im Buch „Musik und Geschlecht“ zitiert. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Zurückhaltung von Männern gegenüber Frauen, die mit Musik zu tun haben, wie wir bis heute beobachten können?

Es würde einen ausführlichen Essay erfordern, um diese Frage zu beantworten. Ich werde mich daher auf zwei Bemerkungen beschränken: eine sehr ernste, eine andere vielleicht weniger ernste aber sicherlich nicht bedeutungslose.

Agnieszka Duczmal, Foto: Jarosław Roland Kruk, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7309361

Erstens: In einer patriarchalischen Gesellschaft sind Frauen Männern untergeordnet. Spielen sie in einem Orchester? Wenn sie das tun müssen, ist das gut. Sie setzen sich als Solisten ans Klavier? Man kann es ertragen, weil das schön und aufregend aussieht. Aber vor einem Orchester zu stehen und ein Ensemble zu leiten, das größtenteils männlich ist? Das war bis vor kurzem fast unvorstellbar. Eine Symphonie oder eine Oper aufführen und als „Schöpfer“ mit Figuren konkurrieren, die so symbolisch sind wie Beethoven oder Wagner? Dies war auch für viele inakzeptabel. Und genauso könnte man sich eine Frau in einer Bank oder einem Ministerium als Sekretärin vorstellen, aber nicht länger als Direktorin, geschweige denn als Ministerin. Und jetzt die zweite Richtung, nach Antworten zu suchen, die mir einmal von einem mir bekannten Dirigenten vorgeschlagen wurden: Die Einnahmen sind zu gut, um sie den Damen zu geben. Bitte merken sie sich: Frauen sind zu den Jobs zugelassen, die Alpha-Männer weder mit Prestige noch mit Staffelungsgebühren anziehen. Und das ist auch nicht nur unter Musikern bekannt.

Wenn wir auf Agnieszka Duczmals Geschichte zurückzukommen, war diese Auszeichnung nicht ihr einziger Erfolg?

Zwei Jahre später gründete Duczmal das Orchester in Poznan und leitet es auch heute noch abwechselnd mit ihrer Tochter, die den Stab nach ihr übernahm. Es sind Dirigenten-Dynastien bekannt, und dies wäre die erste Dirigentinnen-Dynastie der Welt.

Im nächsten Teil des Interviews mit Danuta Gwizdalanka sprechen wir über die polnische Klaviervirtuosin und Komponistin sowie die Muse von Johann Wolfgang Goethe – Maria Szymanowska.

Jolanta Łada-Zielke, 11. Juni 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Danuta Gwizdalanka, Absolventin der Musikwissenschaft und Englischen Philologie an der Adam Mickiewicz Universität in Posen, verteidigte 1990 ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Klangaspekte von Beethovens Streichquartetten“. In den Jahren 1981-1991 arbeitete sie am Teatr Wielki in Poznan und an der Musikhochschule Namens Feliks Nowowiejski in Bydgoszcz. 1995 leitete sie ein Seminar „Polnische Musik nach 1945″ an der University of Michigan in den USA. In den 1980er Jahren beschäftigte sie sich als Erste in Polen mit dem Thema „die Ökologie der Musik“ und übersetzte R. Murray Schafers Essay „Die Musik der Umwelt“, auf dessen Grundlage sein Werk „Tuning of the World“ entstand. 1999 erschien ihr Buch „Muzyka i polityka“ (Musik und Politik).

Gwizdalanka ist Autorin der Biografien von Mieczysław Weinberg, Witold Lutosławski und Karol Szymanowski sowie eines Führers für Kammermusik. Sie arbeitet mit der Zeitschrift „Ruch Muzyczny“ und der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg am MUGI-Projekt (Musik und Gender im Internet) zusammen, für das sie Biogramme von Zofia Lissa, Krystyna Moszumańska-Nazar, Maria Szymanowska und Eugenia Umińska erstellt hat.

Danuta Gwizdalanka ist mit dem Komponisten Krzysztof Meyer verheiratet.

Jolanta Łada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

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