Carmen im Gorillakostüm – kontroverse Inszenierung an der Royal Opera Covent Garden

Georges Bizet, „Carmen“, The Royal Opera House London, 23. Feburar 2018

Fotos: © ROH 2017.  Bill Cooper
Georges Bizet, Carmen, The Royal Opera House London,
23. Februar 2018

Jakub Hrusa, Musikalische Leitung
Barrie Kosky, Regie
Katrin Lea Tag, Bühne

Carmen, Anna Goryachova
Michaela, Kristina Mkhitaryan
Don Jose, Franscesco Meli
Escamillo, Kostas Smoriginas

Chorleitung, William Spaulding
Orchestra of the Royal Opera House
Dirigent, Jakub Hrusa
Royal Opera Chorus

von Charles E. Ritterband

Der 1967 in Melbourne geborene und in Berlin lebende Opern- und Theaterregisseur Barrie Kosky hat der guten alten „Carmen“ in seiner (von der Oper Frankfurt übernommenen) Neuinszenierung am Royal Opera House Covent Garden ein radikal neues Gesicht verliehen. Er schmeißt die während Jahrzehnten aufgehäuften und in zahllosen Aufführungen sämtlicher Opernbühnen der Welt verkrusteten Klischees über Bord und bietet einem teils schockierten, meist ratlosen, bisweilen auch amüsierten Publikum radikal Neues: Er hat für diese Produktion Partituren ausgegraben, die schon vor der (nicht besonders erfolgreichen) Uraufführung 1875 an der Pariser Opéra Comique schubladisiert worden waren. Die Touristenklischees sämtlicher bisheriger Carmen-Inszenierungen, an denen das Publikum so sehr hängt, und seine romantischen Spanien-Bilder auf die Bühne projiziert, sind in der Tat künstlich, wenn man bedenkt: Bizet selbst war nie in Spanien. Er hielt sich an Klischees und Stereotypen – genauso wie Schiller, der nie in der Schweiz war und seinen „Tell“ im deutschen Weimar erfunden hat.

Kosky eliminiert sämtliche Dialoge dieser Oper, welche jeder Carmen-Habitué ja bereits im Schlaf auswendig mitsprechen könnte, und ersetzt diese durch eine erzählende, die Handlung ankündigende und kommentierende Frauenstimme. Durch die unsichtbare Erzählerin wird die Oper in eine andere Dimension gerückt – eine Geschichte, ein Märchen und nicht eine Handlung, die vor unseren Augen abrollt. Dies alles könnte sich so abgespielt haben, aber auch ganz anders. Ist es deshalb, dass Carmen, unmittelbar, nachdem sie vom verzweifelten Don José erstochen wurde, sich durchaus intakt und quicklebendig erhebt und schulterzuckend ins Publikum lächelnd, als wollte sie sagen: Alles nur Theater und nicht Realität. Dass aber Carmen bei ihrem ersten Auftritt aus einem Gorilla-Kostüm steigt, war dann aber fast allen Zuschauern doch zuviel. Wurde da das wilde, tierisch-animalische symbolisiert? Vielleicht. Aber mit dem Vorschlaghammer. Auch dass sie später als Toreador aufzutreten hatte, machte die Sache nicht besser – da stellte sich penetrant die Assoziation mit Darbietungen für ahnungslose Bustouristen in Sevilla und Granada ein, die bereitwillig für alles Dollars und Euros hinblättern: Hauptsache bunt und irgendwie spanisch.

Und da ist diese Treppe. Sie füllt die Bühne in jedem Akt. Sonst nichts. Da ist kein südlandisches Sevilla, keine Tabakfabrik, da ist keine Taverne von Lillas Pastia, da ist keine Berglandschaft für die Schmuggler und da ist am Ende auch keine Stierkampfarena für Escamillo, seine Mannschaft und seine „Aficionados“, seine jubelnden Fans. Da ist nur die Treppe, und der Chor muss ständig aufpassen, nicht zu stolpern und diese Treppe hinunterzufallen. Das absorbiert die Aufmerksamkeit und beeinträchtigt oftmals den Gesang dieses Chores. Und der tiefe, warme, eminent männliche, ja wie es sich ja durchaus gehört gehörig machohafte Bariton des Escamillo von Kostas Smoriginas ist zwar stimmlich großartig, wird aber ebenfalls durch die Gegebenheiten der Regie empfindlich gestört – beispielsweise wenn er seine Arie schmettern muss, während ihn die Fans in denkbar unbequemer Haltung über die Bühne schleppen. Das ist zwar als Triumph gemeint, behindert aber die volle Entfaltung des Sängers so sehr, dass man Mitleid haben möchte.

Anna Goryachova (Carmen)

Und Carmen (Anna Goryachova) verfügt über eine sensationelle, warme Stimme und spielt ihr maliziös-verführerisches Naturell geradezu atemberaubend diabolisch aus – aber auch sie möchte man ein wenig bemitleiden, dass sie, statt wie ihre Kolleginnen auf allen anderen Bühnen, halbnackt, verschwitzt und unwiderstehlich nicht aus der feuchtheißen Tabakfabrik sondern aus ihrem skurrilen Gorilla-Kostüm zu kommen hat. Das ist eben Regietheater – und es ist manchmal gnadenlos. Aber, wer weiß: vielleicht hatte Goryachova, die ihre vielversprechende Laufbahn an der Kammeroper St.Petersburg begonnen hatte, ja ihren Spaß an der Sache.

Francesco Meli (Don José)

Das Paar, das nie eines wurde, Michaela (Kristina Mkhitaryan) und Don Jose (Franscesco Meli) glänzten beide mit sehr schönen Stimmen – der italienische Tenor Meli mit gepflegtem Schmelz und Mkhitaryan, die ihre Karriere am Bolschoi-Theater begonnen hatte, mit einem glockenhellen Sopran. Beide sehr berührend in ihren tragischen Rollen – aber darstellerisch und gesanglich, wie ja auch in der Oper angelegt, im Schatten des Escamillo und der Carmen, den unbestrittenen Stars des Abends.

Das Orchester der Royal Opera unter dem tschechischen Dirigenten Jakub Hrusa hektisch statt brillant und mit dem in der „Carmen“ stets erhofften überschäumenden spanischen Temperament, das Bizet in seine exotische Oper hineinprojiziert hatte. Der Chor kämpfte tapfer und relativ erfolgreich gegen das Bühnenbild – sprich: die raumfüllende Treppe mit ihren erschöpfenden 16 Stufen – und erbrachte durchaus respektable Leistungen. Alles in allem dreieinhalb Stunden, die man gerne auf zwei verkürzt hätte, denn Langeweile begann sich schon bald einzustellen und ließ vergeblich auf ein gnädiges Ende hoffen.

Charles E. Ritterband, 12. März 2018
für klassik-begeistert.at

Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.

Fotos: © ROH 2017.  Bill Cooper

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