Foto: Dr. Charles Ritterband
Bregenzer Festspiele, Seebühne, 20. Juli 2022 Premiere
Giacomo Puccini Madama Butterfly
Oper in drei Akten (1904)
Besetzung:
Cio-Cio San: Barno Ismatullaeva
Suzuki: Annalisa Stroppa
B.F. Pinkerton: Edgaras Montvidas
Sharpless: Brian Mulligan
Kate Pinkerton: Hamida Kristofferson
Goro: Taylan Reinhard
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühne: Michael Levine
Wiener Symphoniker
von Klaus Billand
Eine spannende Premiere wurde diese „Madama Butterfly“, da auf Italienisch gesungen, auf der Seebühne in Bregenz. Zuvor zog ein regenreiches Gewitter über die Spielstätte hinweg. Alle harrten gespannt aus, ob es losgehen könnte, die Regenpelerinen schon in der Tasche. Das tat es dann auch, mit einem leichten Zwischenschauer. Als dann aber die Blitze von Südwesten das Firmament erhellend näher rückten und man gewissermaßen noch die trockene Ruhe vor dem Sturm genoss, entschloss sich die Festspielleitung, nach einer Stunde, auf dem See abzubrechen. Es sei angesichts der nahenden Gewitterfront nicht zu riskieren weiterzuspielen.
Nun ist „Madama Butterfly“ wahrlich kein Stück für große Dimensionen, die gerade die Bregenzer Seebühne nahelegt und auch auszeichnet. Man denke nur an die großen Produktionen von „Rigoletto“, „Aida“ oder „Tosca“. Das leading team um Regisseur Andreas Homoki, Bühnenbildner Michael Levine und Kostümbildner Antony McDonald mit dem Licht von Franck Evin war sich dessen durchaus bewusst. Man sieht das Stück auch als „intimes Kammerspiel“, ist aber der Meinung, dass Puccinis großartige Musik es auf eine ganz andere Ebene hebt. Und diese – größere – Ebene haben sie mit einem riesigen weißlichen und gewellten Blatt Papier dargestellt, auf dem japanische Schriftzeichen und Naturandeutungen im typisch asiatischen Stil zu sehen sind, wie man ihn auch in chinesischen Darstellungen kennt.
Auf diesem Blatt Papier wollen sie die Folgen einer globalisierten Welt darstellen, insbesondere wenn Kulturen wie die US-amerikanische, wo allein das Leistungsprinzip zählt, auf archaische wie die japanische trifft, wo Rang und Familie alles sind und die Tradition besonders stark wiegt. Das ist mit den dem japanischen Kabuki-Theater nachempfundenen Kostümen einerseits und einem sich von unten durch das Papierblatt bohrenden US-Flaggenmast mit dem auch weiterhin viele Szenen beherrschenden Stars and Stripes Banner gut gelungen. Dass hier die japanische Lebenswelt nicht akzeptiert wird, der Einbruch der US-Amerikaner in Person Pinkertons wie ein gewaltsamer Eingriff wirkt und letztlich auch zum Scheitern des Traumes von Cio-Cio-San führen muss, durch Heirat mit dem US-Amerikaner der paternalistischen Traditionsgesellschaft, in der sie nur als Geisha überleben konnte, zu entkommen, nachdem ihr Vater sich per Harakiri das Leben nehmen musste, wird offenbar. Und dazu ist das für dieses Stück so ungewöhnliche Bühnenbild geeignet.
Was aber in ihm verloren geht, ist die feine Wahrnehmung der emotionalen Intensität im Umgang der Personen miteinander. Sie verloren sich allzu oft in diesem weiten und reaktiv konturlosen Bühnenbild, mussten zu lange Wege zurücklegen. Passende Mimik, ausgefeilte Personenregie und eine große Persönlichkeit der Akteure in der Authentizität ihrer Rolleninterpretation spielen gerade bei „Madama Butterfly“ eine ganz entscheidende Rolle. Es ist ein Glücksfall, dass sich das leading team für den Fall der Aufführung im Festspielhaus für eine semi-szenische Darstellung entschied, also mit Kostümen und voller schauspielerischer Aktion vor dem Orchester. Hier nun wurden auch diese starken Seiten des Meisterwerkes von Puccini schlagend offenbar!
Und daran hatte die junge Usbekin Barno Ismatullaeva den entscheidenden Anteil. Sie war der Star des Abends und nahm das Publikum schon mit ihrer Aktion auf der Seebühne voll für sich ein, erst recht aber mit ihrem eindringlichen und auf jeder Note passenden Ausdruck Wert legenden Spiel. Sie wirkte tatsächlich wie eine japanische Geisha mit Tiefgang. Und eine liebevoll sich um ihr Kind sorgende Mutter. Und dann dieser wunderschöne, ja kostbare Sopran! Dunkel schattiert in der Mittellage, stets noch voll klingend im tiefen Register und mühelos jede Höhe sogar noch nuancierend erreichend. Und sie beherrscht allein mimisch die Bühne, auch wenn sie gar nicht singt. Das ist schlicht Weltklasse! Man hatte den Eindruck, dass Barno auch die anderen zu besonderer Leistung mitriss. Hier im Haus war das alles viel besser zu erleben als auf der relativ weit entfernten Seebühne.
Brian Mulligan war ein ebenfalls sehr emotional agierender Sharpless mit kraftvollem und ausdrucksstarkem Bariton. Annalisa Stroppa gab eine hingebungsvolle, angesichts der Lage Cio-Cio-Sans schon depressiv wirkende Suzuki mit charaktervollem Mezzo. Auch Taylan Reinhardt als Goro konnte mit schöner Stimme und gutem Rollenspiel überzeugen. Gar nicht überzeugen konnte hingegen Edgaras Montvidas als Pinkerton mit einem unschönen Timbre, wenig Resonanz und tenoraler Klangfarbe und dazu noch mit zu viel Anspannung beim Singen. Man hatte oft den Eindruck, es ginge ihm in erster Linie um die Produktion der geforderten Töne und insbesondere Höhen. Ein gewisser Wermutstropfen in dieser ansonsten sehr guten Premiere, in der auch Omer Kobiljak als Yamadori Eindruck machte, Stanislav Vorobyov als Bonzo und Unnsteinn Árnason als kaiserlicher Kommissar aber unscheinbar blieben. Der kleine Riku Seewald spielte ganz lieb Dolore, das Kind.
Enrique Mazzola legte mit den Wiener Symphonikern große musikalische Qualitäten an den Tag und kam insbesondere im Haus zu einer perfekten Harmonie mit den Sängern. Er gestaltete den musikalischen Teil mit viel Liebe zum Detail und exaktem Schlag und legte auch Wert auf die Hervorhebung der diversen Instrumenten-Soli. Der Prager Philharmonische Chor und der Bregenzer Festspielchor trugen ebenfalls zum musikalischen Erfolg bei.
Eine Szene auf dem See, der sicher noch andere gute gefolgt wären, bleibt im Gedächtnis. Der anmutige Gang der Frauen um Cio-Cio-San bei ihrem ersten – auch musikalisch – so reizvollen Auftritt von der Blattkante ganz oben rechts bis unten auf die Hauptbühne, natürlich mit den typischen roten Schirmchen. Dass war großes Theater, ja Musiktheater! Nach Barnos Harakiri verbrennt das Blatt – ein trauriges Ende der Geschichte, das so auch im Festspielhaus zu sehen war.
Hoffen wir, dass Petrus den Bregenzern in den kommenden Tagen gnädiger gestimmt ist. Sie hätten es sich verdient! Obwohl die Landwirtschaft so auch ihre Freude hat…
Klaus Billand, 1. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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