Tosca kämpft ums Überleben zwischen Pasolini und Puccini

Giacomo Puccini, Tosca  Bayerische Staatsoper, 20. Mai 2024

Tosca 2024, C. Castronovo © Wilfried Hoesl

Welch Glanzstück der Opernliteratur. Ein Thriller, wie er im Buche steht.

TOSCA
Komponist Giacomo Puccini

Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach dem Drama La Tosca von Victorien Sardou.

Melodramma in drei Akten (1900)

Bayerische Staatsoper, 20. Mai 2024

von Dr. Peter Hampe

Welch Glanzstück der Opernliteratur. Ein Thriller, wie er im Buche steht.

An einem Abend werden menschliche Leidenschaften und entsprechendes Handeln komprimiert vorgeführt: Liebe und Eifersucht, Macht und Machtmissbrauch, Erpressung, Folter, Mord, Suizid, aber auch Leidensfähigkeit und politischer Protest.

Und dies alles hat Puccini in adäquate wundervolle und mitreißende Musik gesetzt: Zwei leidenschaftliche Liebesduette, zwei der schönsten Tenor-Arien der Opernliteratur und eine berührende Arie der Tosca, mit der nicht zuletzt Maria Callas berühmt wurde und vieles mehr.

Puccini hat darüber hinaus Ort und Zeit der Handlung genau vorgegeben. Das Stück spielt in Rom und zwar Mitte Juni im Jahre 1800, als Napoleon bei Marengo in Oberitalien endgültig die Österreicher besiegte – ein Ereignis, dessen Meldung die Handlung der Oper merklich beeinflusst. Der 1. Akt findet in der Kirche Sant’Andrea della Valle statt, der 2. Akt im Palazzo Farnese und der dritte auf der Engelsburg. Puccini hat darüber hinaus eine Fülle an genauen Regieanweisungen gegeben. Für eine werkgetreue Inszenierung bleibt also wenig Spielraum, abgesehen von der musikalischen Umsetzung.

Tosca 2024, E. Buratto, C. Castronovo © Wilfried Hoesl

Was hat die Bayerische Staatsoper daher mit einer neuen Tosca intendiert?

Sie hat riskiert, einen Vertreter des modernen Regietheaters mit der Inszenierung zu betrauen und zwar den ungarischen Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó, der hier schon vor zwei Jahren einen – umstrittenen – Lohengrin präsentiert hat. Mundruczó sieht vor allem im Cavaradossi der Oper einen ähnlich politisch- künstlerischen Geist, wie es der „visionär linke italienische Filmemacher“ Pasolini war. Sozusagen ihm zu Ehren lässt der Regisseur, bevor die Musik einsetzt, eine Filmszene à la Salò – Pasolinis letzter Film – imitieren.

Konsequent spielt dann der 1. Akt nicht in einer Kirche, sondern in einer Villa dieses Filmes und Cavaradossi erscheint nicht als Maler, sondern als Filmphotograph, der drei nackte junge Frauen ins Bild nimmt, die dann mit blutiger Farbe beschmiert ihre Körperkonturen auf weißen Leinwänden hinterlassen.

Tosca 2024 © Wilfried Hoesl

Spätestens hier beginnen die Merkwürdigkeiten dieser Inszenierung, denn wenn Tosca – gemäß der Partitur – eifersüchtig das von ihrem Geliebten gemalte Magdalenenbild mustert, glaubt sie in den blauen Augen eine Nebenbuhlerin zu erkennen. Mehrfach ermahnt sie ihren Cavaradossi beim Weiterarbeiten am Bild zumindest keine blauen Augen zu malen.

Nur kann die Tosca in dieser Inszenierung weder ein Magdalenenbild noch blaue Augen erkennen! Dass sich der flüchtige Angelotti nicht in einer Seitenkapelle versteckt, wie es der Handlungstext vorsieht, sondern samt Fresskorb in einem großen Koffer, sei nur am Rande erwähnt.

Tosca 2024 © Wilfried Hoesl

Viel ärgerlicher und provokanter ist die Schlussszene des 1. Aktes, wenn zur mächtigen Musik des Te Deums statt Gläubigen offenkundig Eingesperrte wie im Salò-Film erscheinen, von denen einige schließlich brutal zusammengeschlagen werden. Kräftige Buhsalven des Premierenpublikums folgten verständlicherweise.

Tosca 2024 © Wilfried Hoesl

Im 2. und 3. Akt orientiert sich Mundruczó stärker an Puccinis Vorgaben, sieht man davon ab, dass Tosca, nachdem sie Scarpia erdolcht hat, plötzlich von mehreren jungen Damen eskortiert wird, deren Funktion völlig unklar bleibt, zumal Scarpias Tod erst am frühen Morgen entdeckt wird. Im 3. Akt schließlich, wo man die Engelsburg schmerzhaft vermisst, wird Cavaradossi sehr drastisch blutspritzend erschossen, obwohl Tosca noch lange an die versprochene simulierte Erschießung glaubt.

Nun zur musikalischen Seite: Der noch relativ junge italienische Dirigent Andrea Battistoni begann verhalten, befeuerte aber das Orchester an den dramatischen Stellen mit heftigen Arm-Bewegungen, verflachte dann aber auch wieder, so dass es an kontinuierlicher Spannung fehlte.

Tosca 2024, L. Tézier © Wilfried Hoesl

Das Orchester und insbesondere die Streicher spielten klangschön, auch mit einem gebotenen Schuss Italianità. Die Italienerin Eleonora Buratto als Tosca und der Amerikaner Charles Castronovo debütierten mit ihren Partien.

Beide blieben im 1. Akt stimmlich noch blass, Frau Buratto steigerte sich dann aber, brillierte mit klaren Spitzentönen und konnte mit ihrer „Vissi d’arte“-Arie – an der Rampe divenhaft gesungen – den kräftigsten Szenen-Applaus ernten. Castronovo hat eine eher lyrische Stimme, es fehlt ihm etwas Glanz in der Stimme, so dass auch sein „E lucevan le stelle“ nicht ausreichend ergreifen lässt. Der dritte Protagonist, der erfahrene Ludovic Tézier als Scarpia, sang wohltuend gleichmäßig in allen Tonlagen, blieb damit aber stimmlich zu wenig variabel für diesen brutalen und sexgeilen Machtmenschen Scarpia.

Alle Protagonisten erhielten schlussendlich am Premierenabend anhaltenden Applaus, das Regieteam dagegen deutliche Missfallens-Bekundungen.

Fazit: Die neue Münchner Tosca hat die Erwartungen an einen großen Opernabend nur sehr begrenzt erfüllt. Es stellt sich dabei wieder die grundsätzliche Frage, wie weit darf eine Inszenierung im Sinne Wagners „Kinder schafft Neues“ vom Text, der Handlung und der Musik des Stückes abweichen ohne ihren eigentlichen Sinngehalt zu zerstören – gewiss ein Balanceakt!

Dr. Peter Hampe, 26. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giacomo Puccini, Tosca (1900) Nationaltheater, München, 20. Mai 2024

Giacomo Puccini, Tosca Wiener Staatsoper, 2. Februar 2024

Kommentar: Liebe Maestri, stoppt diesen (Regie-)Wahnsinn! klassik-begeistert.de, 9. Mai 2024

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