Foto: 2022 Il turco in Italia – I. Lungu – © W.Hösl
Mittwoch, 9. Februar 2022, Nationaltheater
IL TURCO IN ITALIA
Opera buffa in zwei Akten
Komponist: Gioachino Rossini. Libretto: Felice Romani.
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln.
von Dr. Petra Spelzhaus
Als ich zum ersten Mal von „Il turco in Italia“ gehört habe, musste ich unweigerlich an Stings „Englishman in New York“ denken. Sicher handelt es sich hier um ein komplett anderes musikalisches Genre, zeigt es aber, dass der Stoff der 1814 in der Mailänder Scala uraufgeführten Opera buffa nichts an Aktualität eingebüßt hat. Seit Menschengedenken kommt es gerne zu Wirrungen, wenn unterschiedliche Kulturkreise aufeinanderprallen.
In Neapel feiern Zigeuner vor ihrem Wohnwagen ein Gelage, als Selim, ein reicher, Koloraturen schmetternder Türke, auf seinem fliegenden Teppich zur Landung am Hafen ansetzt. Er verdreht sogleich der sprunghaften Italienerin Fiorilla den Kopf, die – obwohl mit Don Geronio verheiratet – bereits eine Affäre mit dem Hausfreund Don Narciso pflegt. Selims Ex-Freundin Zaida befindet sich zufällig unter den Zigeunern und versucht den Türken zurückzugewinnen, während Fiorillas gehörnter Ehemann um seine Frau kämpft. Prosdocimo, ein Poet, der den Auftrag hat, eine Opera buffa zu schreiben, treibt die Protagonisten zusammen und auseinander auf der Suche nach dem perfekten Plot für sein Werk.
Für seine Intrigen bezieht er regelmäßig Prügel von den Protagonisten, so dass ihn im Laufe des Stückes zunehmend die Insignien seiner Verletzungen schmücken. Das Ende der Oper erlebt er mit diversen Verbänden, Armbinde, Augenklappe und Unterarmgehstütze, schafft es aber, dass schließlich alles seine sittliche Ordnung hat: Zaida und Selim reisen wiedervereint zurück in die Türkei, Fiorilla besinnt sich auf die Qualitäten ihres Ehemanns, und Fiorillas Liebhaber Don Narciso leistet Abbitte.
Die Männerrollen sind fantastisch besetzt. Der aus Bergamo stammende Alex Esposito bewegt als Türke Selim seine kraftvoll männliche Bassbariton-Stimme geschmeidig durch sämtliche Register. Zusammen mit Misha Kiria, der den etwas tollpatschigen, aber liebenswerten Ehemann Don Geronio – Typ Teddybär – mimt, sorgt er für allerhand Situationskomik. Der georgische Bariton Kiria besitzt eine strahlend-sonore Stimme, der Gesang klingt fast schon feierlich. In den schnellen Koloraturpassagen zeigt er eine außerordentliche Beweglichkeit. Das hat er gemein mit dem italienisch-amerikanischen Tenor Michele Angelini, der den prollig anmutenden Narciso mit Vokuhila-Matte mimt. Er ist mit seinem leuchtend hellen Tenor ein wahrer Belcanto-Stimmakrobat. Nikolay Borchev meistert seine Rezitativ-Partie als Dichter Prosdocimo mit klangschönem Bariton mit Leichtigkeit.
Mezzo-Sopranistin Laura Verrecchia als Zaida und Irina Lungu als Donna Fiorilla stellen die beiden rivalisierenden Frauen charismatisch und emotional dar. Irina Lungu nimmt bis zum Ende des zweiten Aktes an Fahrt auf. Bei ihrer herzzerreißenden Arie „Squallida veste, e bruna“ vor einem überdimensionierten Schuhschrank spielt sie ihren samtig-dichten, aber überaus beweglichen Sopran furios aus. Gänsehaut. Brava!
Im Orchestergraben feiert Maestro Gianluca Capuano mit „Il turco in Italia“ in dieser Spielzeit sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper. Man hat den Eindruck, dass sich Orchester und Sänger anfangs noch ein wenig aufeinander abstimmen. Im weiteren Verlauf zeigen sich Bühne und Graben perfekt justiert, die Solisten harmonieren optimal mit dem Chor. Der Einstand des feinfühlig dirigierenden musikalischen Leiters ist gelungen.
Christof Loys Inszenierung aus dem Jahr 2007 macht noch immer Spaß. Rossinis politische Inkorrektheiten treibt der Regisseur auf die Spitze. Herrlich die Szene, als Selim Geronio – ganz nach „türkischer Sitte“ – seine Frau abkaufen möchte. Die beiden Rivalen steigen als Boxer in den Ring, wobei es den etwas ungelenken Don Geronio nicht lange auf den Beinen hält. Die Inszenierung trieft nur so vor italienischen Klischees, was zu einem beträchtlichen Fernweh bei der Betrachterin führt. Die Spaghetti des Zigeunerpicknicks scheinen hervorragend zu sein. In der Pause zwischen erstem und zweitem Akt sitzen Prosdocimo und Geronio auf der Bühne zu Tisch, der Dichter verspeist einen Nudelberg. Auch Selim nutzt eine kurze Gesangspause im 2. Akt, um sich eine große Gabel voll Spaghetti einzuverleiben. Nichts verkommt.
Was bleibt von dem Opernabend? Musikalisch haben wir ein Belcanto-Festival mit Koloraturexzessen und reichlich Stimmakrobatik von überragenden Darstellern erlebt. Da es – wie es sich für eine ordentliche Opera buffa gehört – natürlich in einem geradezu spießigen Happy End mündete, konnten wir beschwingt und beruhigt den Heimweg in die Münchener Nacht antreten.
Dr. Petra Spelzhaus, 11. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalische Leitung | Gianluca Capuano |
Inszenierung | Christof Loy |
Bühne und Kostüme | Herbert Murauer |
Licht | Reinhard Traub |
Choreographie | Jacqueline Davenport |
Chor | Stellario Fagone |
Selim | Alex Esposito |
Donna Fiorilla | Irina Lungu |
Don Geronio | Misha Kiria |
Don Narciso | Michele Angelini |
Prosdocimo | Nikolay Borchev |
Zaida | Laura Verrecchia |
Albazar | Granit Musliu |
Faktotum | Maximilian Widmann |
Bayerisches Staatsorchester |
Bayerischer Staatsopernchor |