Drei Ufos für Aschenbrödel – Rossinis „La Cenerentola“ hebt in Hamburg ab

Gioachino Rossini, La Cenerentola  Staatsoper Hamburg, 29. Februar 2024

Photos aus dem Archiv: Klaus Lefebvre (Hamburger Staatsoper)

Gioachino Rossini
La Cenerentola

Francesco Lanzilotta, Dirigent

Raffaela Lupinacci, Mezzosopran
Anton Rositskiy, Tenor
Efrain Solis, Bariton
Tigran Martirossian, Bassbariton
Erwin Schrott, Bass
Kady Evanyshyn, Mezzosopran
Narea San, Sopran

Chor der Staatsoper Hamburg
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Renaud Doucet, Inszenierung und Choreographie

Staatsoper Hamburg, 29. Februar 2024

von Dr. Andreas Ströbl

„Science-Fiction“ hatte zu den Frühzeiten des Genres fast immer etwas mit einer nicht näher definierten Zukunft zu tun. Die war, ähnlich wie die Kunstrichtung des Futurismus, ästhetisch bestimmt von einem Bruch mit als veraltet empfundenen Traditionen und einer Verliebtheit in alles Dynamische, technisch Überhöhte. Die Inhalte waren phantastisch oder utopisch und weitab von allem, was an Märchenhaftigkeit aus einem rückwärtsbezogenen 19. Jahrhundert – zumindest in seinen ersten Jahrzehnten – in ein ebenso wenig definiertes Mittelalter blickte.

Nun ist die ältere Science-Fiction-Literatur auch schon in die Jahre gekommen und solche einst vor neuartigem Gerät mit vielen Lämpchen, stahlblitzenden Raumschiffen oder entsprechender Architektur strotzenden Filme wie „Metropolis“, „Commando Cody – Sky Marshal of the Universe” (für letzteren Hinweis ein herzlicher Dank an die Filmkennerin Dana Vick!) oder die „Flash Gordon“-Serien wirken heute liebenswürdig-verstaubt, ja geradezu rührend angesichts der bescheidenen technischen Mittel der frühen Filmindustrie. Da musste schonmal der Inhalt eines China-Böllers reichen, um den Funkenregen aus einem Raumschiff darzustellen.

Hand aufs Herz – sowas fanden unsere Eltern und Großeltern noch „dufte“ und wir aus den 60er Jahren glaubten noch, dass wir nach dem Jahr 2000 in gläsernen Kuppelbauten wohnen würden und mit dem fliegenden Auto irgendwelchen Ufos ausweichen müssten.

Die Zukunft ist hier also schon Geschichte geworden und damit spielt Renaud Doucets Inszenierung von Rossinis „La Cenerentola“ an der Staatsoper Hamburg. Die Produktion hat seit der Premiere 2011 selbst auch schon 13 Jahre auf dem edelstählernen Buckel, aber sie hat durch dieses Spiel mit der futuristischen Ästhetik (Bühnenbild und Kostüme: André Barbe) selbst schon eine Art von Zeitlosigkeit erreicht.

La Cenerentola © Klaus Lefebvre

Da bereits mehrfach besprochen, sei hier nur noch einmal auf die Grundidee verwiesen, „die Zukunft in den Augen der Vergangenheit zu zeigen“, so André Barbe in einem Interview im Programmheft. Leitmotivisch zieht sich der meist leuchtende Schriftzug „Diventa sua moglie“ durch die Produktion und in dieser Anweisung, „Werde seine Frau“, steckt ebensoviel Archaik wie Aktualität. Das Aschenbrödel, hier als unterschätzte Büro-Mieze dargestellt, hat den Auftrag, das eigene Glück zu finden und weg vom verachteten Rand der Gesellschaft, durch eine Heirat über den eigenen Stand hinweg das ganz große Los zu ziehen. Heute bauen Frauen ihre Karrieren selbst, aber diese Geschichte geht eben so und wer sie erzählt, muss irgendwie mit den Klischees umgehen.

Der Trick bei dieser Inszenierung ist die Überhöhung des „Dramma giocoso“ vom rein Lustigen ins Karikaturhafte, manchmal Slapstickartige und das Spiel mit Zitaten unter Verwendung aller medialer Möglichkeiten. So ragen nicht nur Wolkenkratzer mit Art déco-Elementen in einen Himmel, durch den Raketen sausen, wie man sie aus den „Tim und Struppi“-Comics kennt, und alberne, allzu menschenähnliche Roboter rollen entweder als stahlgraues Paar mit Greifarmen oder gleich als Ballettgruppe über die Bühne, nein – es gibt auch eine 30er Jahre-Revue-Treppe und das in den späten 20ern entwickelte Fernsehen wird wie etwas revolutionär Neues in das Bühnengeschehen integriert.

Das alles macht wirklich Spaß und den haben am 29. Februar offenbar auch alle Mitwirkenden. Solistinnen und Solisten behaupten sich nach anfänglicher Zurückhaltung gegen das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Francesco Lanzilotta; die Hamburger geben Rossinis schmissige Musik mit großer Leichtigkeit, gutem Gefühl für die Dynamik und forschem, aber nicht eilendem Tempo wieder. Bereits für die Ouvertüre spendet das Publikum im etwas karg besuchten Opernhaus herzlichen Beifall.

La Cenerentola © Klaus Lefebvre

Raffaela Lupinacci widmet sich der Titelrolle mit klarem, hellem Mezzosopran und ist auch spielerisch absolut überzeugend. Die berühmte Final-Arie mit fein ausgearbeiteten Verzierungen gerät zum abschließenden Höhepunkt ihrer Darbietung. Ihr Prinz Ramiro, der sich ja erst als Diener verkleidet, ist Anton Rositskiy, ein Tenor mit Strahlkraft, der aber in den oberen Höhen achtgeben muss, dass er nicht ins Schreien gerät. Sein Bediensteter Dandini wird von Efrain Solis verkörpert, der nicht nur stimmlich, sondern auch komödiantisch eine wunderbare Leistung abliefert. Das Spaßige wird noch übertroffen von Tigran Martirossian als Don Magnifico, der in köstlicher Weise andere Stimmen imitiert, und in Gestik sowie Mimik echte Lachnummern hinlegt. Die Clownsfrisur hätte man lassen können, die Figur ist ohnehin comichaft überzeichnet.

Viele waren sicher vor allem wegen Erwin Schrott gekommen, der als Alidoro erneut eine großartige Probe seines raumfüllenden, gut artikulierten Gesangs abgibt, aber in dieser Rolle kaum Möglichkeiten zu seiner charakteristischen, vielfältigen Modulation und dem Spiel mit dem Libretto hat.

Die beiden zickigen Schwestern sind Kady Evanyshyn (Tisbe) und Narea San (Clorinda), die sowohl Bösartigkeit als auch hysterische Affekte wundervoll erlebbar machen.

Nach geringfügigen anfänglichen Problemen mit der Synchronizität überzeugt der bewährte Chor der Staatsoper Hamburg unter Christian Günther in der gewohnten Stärke und Akkuratesse.

Beim Fallen des Vorhanges mit der Filmplakat-artigen Darstellung einer Fliegerin, die an die berühmten Pionierinnen der Luftfahrt, also an Frauen wie Hélène Dutrieu, Melli Beese, Harriet Quimby, Amelia Earhart oder Margot Duhalde Sotomayor erinnert, spendet das Publikum langanhaltenden, begeisterten Beifall.

Der Traum, sich vom Tellerwäscher zum Millionär hochzuarbeiten, wird hier neuerzählt als Aufgabe einer Bürokraft, den Himmel und damit das Reich der Männer zu erobern. Den Prinzen gibt es dazu. „Glück ab, gut Land!“, Aschenbrödel! Und pass auf die Ufos auf!

Dr. Andreas Ströbl, 2. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die nächsten Vorstellungen sind am 3., 8., 12. und 15. März.

Gioachino Rossini, La Cenerentola Volksoper Wien, 27. September 2023

Gioachino Rossini, La Cenerentola, Bayerische Staatsoper, München, 21. März 2022

Gioachino Rossini, LA CENERENTOLA, Wiener Staatsoper, 13. Januar 2022

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