Pretty Yende adelt eine missratene Johannes-Erath-Inszenierung

Giuseppe Verdi, La Traviata,  Hamburgische Staatsoper, 9. Dezember 2021

Foto: Pretty Yende nach Ende der Vorstellung (Foto: RW)

Staatsoper Hamburg, 9. Dezember 2021

Noch beeindruckender ist Yendes gesangliche Gestaltung. Weich, rund und farbenreich klingt die Stimme, mit wunderbarem Legato und Messa-di-voce-Kultur bewältigt sie die schwierigen Passagen der Violetta, vor allem aber gelangen ihre engelgleichen Piani wie direkt aus der Seele zu den Zuhörern.

von Dr. Ralf Wegner

Selten habe ich eine so missratene Inszenierung gesehen, und sie wird seit 2013 unverändert zur Beschwernis der Sängerinnen und Sänger aufgeführt. Von einem Bühnenbild ist nicht zu sprechen, die gesamte Bühne einschließlich Seiten- und Hinterbühne ist leergeräumt. Die sängerische Immission verpufft daher weitgehend auf dem ohne Bühnenaufbauten resonanzlosen Podium. In der Mitte kreist eine Drehscheibe, auf der die Protagonisten, auch während schwieriger Arien in Bewegung bleiben. Sie werden damit zu einer Mobilität gezwungen, die sich nicht aus dem musikalischen Vorgang herleiten lässt und diesen stört.

Pretty Yende kommt damit als Violetta erstaunlich gut zurecht. Ihr schallstarker, weit tragender Sopran bleibt auch im Hintergrund der Bühne gut hörbar. Wie die 36-jährige südafrikanische Sängerin mit den Tücken der Inszenierung fertig wird, ist schon bewunderungswürdig. Noch beeindruckender ist ihre gesangliche Gestaltung dieser Partie. Weich, rund und farbenreich klingt die Stimme, mit wunderbarem Legato und Messa di voce-Kultur bewältigt sie die schwierigen Passagen der Violetta, vor allem aber gelangen ihre engelgleichen Piani wie direkt aus der Seele zu den Zuhörern. Das sollte man erlebt haben.

Sie hat mit dem 41jährigen ukrainischen Tenor Dmytro Popov (Alfredo Germont) aber auch einen guten Partner. Mit dunkel gefärbtem Timbre, irgendwo zwischen rotbraun und dunkelgrün changierend, gelangen ihm berührende Momente. Auch verfügte er über eine beeindruckende, strahlende Höhe, wenngleich ich bei ihm kein hohes C hörte. Das mag vielleicht von der offenen Bühne verschluckt worden sein.

Der sonst so zuverlässige Andrzej Dobber hatte als Giorgio Germont nicht den besten Tag. Sein strahlkräftiger Bariton klang nach wie vor beeindruckend, ich habe aber ein wenig das Binden zwischen den Tönen vermisst. Von den zahlreichen Nebenpartien fiel mir der schöne, auch die Tiefe genügend ausfüllende Bass des Mitglieds des Hamburger Opernstudios Seungwoo Simon Yang auf (Dottor Grenvil). Einen Simon Yang hatten wir ja schon einmal an der Hamburgischen Staatsoper, er konnte fast Kurt Moll das Wasser reichen. Wünschen wir dem neuen Simon Yang eine ähnliche Karriere.

Foto: Pretty Yende zieht das Ensemble nach vorn: Renate Spingler (Annina), Andrzej Dobber (Giorgio Germont), Pretty Yende (Violetta Valéry), Dmytro Popov (Alfredo Germont), Kristina Stanek (Flora Bervoix), Peter Galliard (Gastone) (Foto: RW)

Wer noch etwas zur Inszenierung wissen möchte: Man befindet sich auf dem Friedhof. Alfredo holt aus einem Grab die mit Blättern bedeckte Violetta (von einer Schauspielerin, nicht von Frau Yende dargestellt)  hervor.  Danach hat Violetta auf den Rummel eingeladen; von der Bühnendecke senken sich zahlreicher Autoscooter herab, auf denen man sich vergnügt.  Der zweite Akt zeigt die leere, mit Herbstblättern bedeckte Bühne, ein einziges Requisit gönnte man Violetta, einen Autoscooter. Auch das große Fest bei Flora Bervoix wird wieder auf dem Rummelplatz gegeben. Wie auf dem Rummelplatz spielte im Übrigen auch das Orchester unter der Leitung von Alexander Joel, zum Teil viel zu laut, und mit viel zu viel Humtata.

Ich erwähne das nur, damit sich der Ärger zumindest  über das Bühnengeschehen schon vorher abbaut. Denn Pretty Yende als Violetta ist ein Ereignis, welches man sich nicht entgehen lassen sollte. Sie wird die Violetta noch am 14. und 16. Dezember singen, jedenfalls ist es geplant, und es gibt noch Karten. Das Publikum überschüttete das gesamte Ensemble, vor allem aber Pretty Yende mit langandauerndem begeisterten Beifall.

Dr. Ralf Wegner, 9. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lise Davidsen, Bryan Wagorn, „The Art of Lise Davidsen“, Hamburgische Staatsoper, 19. November 2021

Jules Massenet, „Manon“, Hamburgische Staatsoper, 12. Juni 2021

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