Foto: © Dr. Holger Voigt
Staatsoper Hamburg, 27. März 2022
Giuseppe Verdi Luisa Miller
von Dr. Holger Voigt
Zwei Väter, Miller (Franco Vassallo) und Graf Walter (Alexander Vinogradov), und ihre Kinder, Rodolfo (Charles Castronovo) und Luisa (Nino Machaidze), sowie der maliziöse Intrigant (Alexander Roslavets) Wurm (was für ein trefflicher Name!) bilden das Protagonisten-Fünfeck, um das sich das Schillersche Drama auch in Verdis Operndrama (Melodramma tragico) „Luisa Miller“ herumrankt. Rodolfo und Luisa lieben einander, dürfen aber aus Gründen eines obskuren Ränkespiels um Macht, Standesherkunft, Geld und Verbrechen nicht zueinander kommen, da andere Interessenspläne im Hintergrund schwelen. In einem Durchlauf tragischer Verstrickungen und bösartigster Intrigen wählen sie den Freitod fast wie in einem „Romeo und Julia“-Setting. Nur wenig Personal braucht Friedrich Schiller, um ein packendes Sozialdrama („Kabale und Liebe“) auf die Bühne zu stellen, das Giuseppe Verdi zensurbedingt als inneres Seelendrama mit fatalem Ende anlegt und zu einer grandiosen Oper formt.
Mit „Luisa Miller“ (Uraufführung am 8. Dezember 1849, Teatro di San Carlo, Neapel) verabschiedet sich Verdi bereits vom sorglosen Belcanto und nähert sich bereits, fast wie magisch angezogen, dem späteren Verismo zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Was für eine verlockende Ausgangssituation für einen Theatermacher wie Andreas Homoki, der hier aus dem Vollen schöpfen und zwei Stränge gleichzeitig bedienen kann.
Kommt Luisa am Beginn als verspielt wirkende „Unschuld“ eines verliebten Teenagers daher, wird sie doch kontinuierlich in den Handlungsstrom hineingerisssen und muss sich über ihre Liebe zu Vater und Geliebten klar werden. Ihr Reifungsprozess verläuft, ausgelöst durch die finsteren Charaktere im Hintergrund, fast wie im Zeitraffer, und sie scheint die einzige zu sein, die sich im Zuge der Ereignisse persönlich neu aufstellen muss. Eben deshalb ist sie die Hauptperson und profiliert sich als starke „Titelheldin“ dieser Oper. Drei Tote, ein zerbrochener Vater und ein weiterer Gebrochener bleiben auf der Strecke – das Leben kann grausam sein.
Die hochgelobte Inszenierung von Andreas Homoki und Paul Zoller (Bühnenbild) feierte in Hamburg bereits ab 2014 (Premiere: 16. November 2014) große Erfolge und kam nun im Rahmen der Italienischen Opernwochen der Hamburgischen Staatsoper erneut auf den Spielplan.
Pandemiebedingt musste die urprüngliche Inszenierung dahingehend abgeändert werden, dass der – im Übrigen wunderbar singende – Chor nunmehr nicht auf der Bühne, sondern im Rang platziert wurde. Akustisch war diese Änderung durchaus reizvoll, doch wirkte die Bühne ausgesprochen leer und geräumig und ließ das quirlige Treiben der kostümierten Chormitglieder vermissen. Vielleicht wär es eine Überlegung wert gewesen, sie zwar im Rang zu platzieren, aber dort auch kostümiert unter entsprechender Aus-/Beleuchtung singen zu lassen.
Ein hervorragend aufspielendes Philharmonisches Staatsorchester unter der Leitung von Maestro Paolo Arrivabeni ließ die Stimmen der Protagonisten besonders eindrücklich hervortreten.
In einem Twitter-Tweet hatte der als Rodolfo vorgesehene Tenor Joseph Calleja, durchaus angegriffen erscheinend, seinem Bedauern Ausdruck verliehen, in Hamburg nicht singen zu können, da er eine schwere Erkältung durchgemacht habe, die zwar wie CoVid-19 aussah, aber faktisch nicht war. Für ihn, der in den vorangegangenen Aufführungen mit seiner hell-strahlenden, fast metallisch klaren, an Pavarotti erinnernden Stimme brilliert hatte, gab es glücklicherweise einen gleichwertigen Einspringer.
Der US-amerikanische Tenor Charles Castronovo überzeugte vollends und erwies sich als Spitzenbesetzung. Seine Stimme unterscheidet sich in Höhenlage und Farbe deutlich von der Callejas, ist dabei aber kräftig und wohlklingend, wobei sie bislang an den jungen José Carreras erinnert, der diese Partie in den Achtzigern auch schon an diesem Hause gesungen hatte. Seine Rollengestaltung war vollends überzeugend und rief wiederholt großen Applaus und Bravo-Rufe hervor.
Die Titelheldin Luisa war mit der georgischen Nino Machaidze perfekt besetzt. Sie brillierte bereits in allen früheren Aufführungen. Im Vergleich dazu ist ihre Stimme kräftiger geworden und nähert sich damit auch dem dramatischen Fach, wobei ihre Entwicklung spannend zu verfolgen sein wird. Viele Brava!-Rufe für sie.
Die von Giuseppe Verdi so geliebten Vater-Rollen ist mit der Figur des Miller in dieser Oper insofern anders, als das persönliche Leiden der inneren Konflikte einen sehr viel größeren Raum einnimmt, in dem alle widersprüchlichen Attribute musikalisch bis ins Feinste ausgearbeitet sind. Franco Vassallo sang diese Partie sowohl mit nobler Stimmfärbung wie auch seelischer Zerrissenheit mit hoher Glaubwürdigkeit und Überzeugungkraft bei imponierendem Stimmvolumen. Da gab es immer wieder Beifallsbekundungen des Publikums. Dieser Miller kommt sicherlich sehr nahe an das heran, was Verdi vorschwebte.
Der korrupte und kriminell durchbaute Graf Walter, dessen unrühmliche Vergangenheit und Zukunftspläne erst allmählich offenbar werden, wurde von Alexander Vinogradov perfekt angelegt. Am Ende der Oper weiß der Zuschauer, dass dieser schlußendlich auch gebrochene Mensch in erster Linie sein eigenes Leid beklagt. So etwas ist schwer auf die Bühne zu stellen, doch gelang es ihm mit schöner Stimme und ausdrucksstarker Rollengestaltung.
Die Rolle des Wurm (Bariton) ist von Giuseppe Verdi – im Unterschied zu den anderen Protagonisten – nicht mit einer eigenen Arie bedacht worden: So sehr verabscheute Verdi derartige Menschen. In der Hamburger Inszenierung nähert er sich mehrfach übergriffig der von ihm begehrten Luisa, die ihn gekonnt und mehrfach aufs Kreuz legt und zum Abschluß gar bespuckt. Das löste anerkennenden Beifall im Publikum aus – so geht es sexistischen Nachstellern! Reichlich spät macht er dann seine finale Bekanntschaft mit dem Schwert. Alle Register dieser bösartigen Persönlichkeit wurden stimmlich durch Alexander Roslavets mit der erforderlichen Maliziosität dargeboten, wobei der Gesang manchmal zu schön für einen derartigen Menschen erschien. Bewunderswert die perfekte Falltechnik ohne sichtbare Verletzungen.
Elena Maximova, Alt, als Federica hat zusammen mit Rodolfo eine wunderschöne Kantilene, bei der Verdi eine hohe Dosis an Schönklang komponierte – vielleicht zu viel davon in Relation zum dargestellten Charakter der Komtess, die ja in dem Ränkespiel so etwas wie ein Anlagevermögen sein soll. Stimmlich überzeugte Elena Maximova in jeder Hinsicht, auch wenn ihr Auftritt relativ kurzbemessen bleibt.
Kada Evanyshyn, Mezzosopran, als Hofdame Laura hat nur einen kurzen Einzelauftritt, den sie aber mit wunderschöner Stimmgestaltung bewerkstelligte. Und auch der Auftritt des Bauern (Collin André Schöning, Tenor) war zwar kurz, aber darstellerisch und stimmlich überzeugend.
Großer Schlußbeifall für alle Mitwirkenden, die ein Stimmenfest auf die Bühne der Hamburgischen Staatsoper brachten. Bravi!
Dr. Holger Voigt, 28. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühnenbild: Paul Zoller
Kostüme: Gideon Davey
Licht: Franck Evin
Musikalische Leitung: Paolo Arrivabeni
Chor: Eberhard Friedrich
Il Conte di Walter, Bass: Alexander Vinogradov (für Vitalij Kowaljow)
Rodolfo, Tenor: Charles Castronovo (für Joseph Calleja)
Miller, Bariton: Franco Vassallo
Luisa, Sopran: Nino Machaidze
Wurm, Bass: Alexander Roslavets
Federica, Alt: Elena Maximova
Laura, Mezzosopran: Kady Evanyshyn
Un Contadino, Tenor: Collin André Schöning
Orchester: Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor: Chor der Hamburgischen Staatsoper
Giuseppe Verdi, Luisa Miller, Staatsoper Hamburg, 27. März 2022
Giuseppe Verdi, Luisa Miller, Staatsoper Hamburg, Mittwoch, 16. Februar 2022