Verdis „Luisa Miller“ – Das Drama und der Triumph der Vaterschaft

Giuseppe Verdi, Luisa Miller,  Staatsoper Hamburg, Mittwoch, 16. Februar 2022

Foto: 2014/Monika Rittershaus

Staatsoper Hamburg, Mittwoch, 16. Februar 2022

Giuseppe Verdi Luisa Miller

Musikalische Leitung:  Paolo Arrivabeni
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühnenbild: Paul Zoller

Solisten: Liana Aleksanyan, Yulia Matochkina, Ramón Vargas, Alexander Vinogradov, George Petean, Karl Huml

von Jolanta Łada-Zielke

Asketisches Bühnenbild, der in zwei Logen aufgestellte Chor und ein Fest hervorragender Stimmen – so lässt sich die Aufführung von „Luisa Miller“ in der Staatsoper Hamburg kurz beschreiben. Das war die 19. Vorstellung seit der Premiere im November 2014. Gut, dass dieser weniger bekannte Titel von Verdi im Repertoire der Hamburger Oper auftaucht; die Tatsache, dass das Werk nicht oft gespielt wird, bezeichnet nicht seinen Wert. Dies ist neben „Die Räuber“ und „Don Carlos“ die dritte Oper von Verdi, die er anhand von Friedrich Schillers Werk komponierte, in dem Fall „Kabale und Liebe“.

© 2014/ Monika Rittershaus

Aus der Inszenierung von Andreas Homoki  hat man nur das Nötigste und Ausdruckvollste genommen. Zwei bewegliche Zimmer stellen zwei nebeneinander existierende Welten dar – das Zuhause der Familie Miller und den Hof des Grafen von Walter. In dem zweiten sehen wir ein riesiges Gemälde, dessen Inhalt mit den Titeln der einzelnen Akte der Oper harmoniert. Im ersten Akt „Liebe“ zeigt es einen heiteren, blauen Himmel mit Wolken, im zweiten „Intrige“ ein verheerendes Feuer und im dritten „Gift“ dunkle Wolken mit einem schmalen Sonnenstreifen.

Wie immer bei Verdi, spiegelt die Musik die Tiefe der Gefühle voll wider, von der Verzückung über Eifersucht und Verzweiflung bis hin zur schmerzlichen Resignation. All diese Emotionen zeigte der mexikanischen Tenor Ramón Vargas mit seiner großartigen Stimme und überzeugendem Schauspiel. Maestro Paolo Arrivabeni, der die Aufführung leitete, war sparsam in seinen Bewegungen, aber sehr präzise. Er hielt das gesamte Orchester und Sänger in Zaum, trotz des beschränkten Kontakts mit dem Chor, der hinter seinem Rücken stand.  Das A-cappella-Quartett im zweiten Akt drückte mich wörtlich in meinen Stuhl.

© 2014/ Monika Rittershaus

Luisa Miller ist zwar die Titelfigur, aber keine echte Heldin des Dramas. Sie nimmt passiv am Geschehen teil und reagiert nur auf Situationen, in die sie die anderen verwickeln. Für mich handelt diese Oper vom Drama der Vaterschaft. Hier haben wir zwei Väter, von denen jeder das Beste für seinen Nachwuchs will, aber seine Vorstellungen vom Glück stimmen nicht unbedingt mit den Absichten des Kindes überein. Auch die Einstellung der beiden Liebenden zu ihren Vätern ist unterschiedlich. Luisa will ihr persönliches Glück opfern, um ihren Vater zu retten. Rodolfo hingegen ist bereit, seinen Vater zu verraten, um sich mit seiner Geliebten zu vereinen.

Außer dem hervorragenden Vargas gehörte dieser Mittwochabend zwei großen Darstellern der Rolle der Väter: Aleksander Vinogradov (il Conte di Walter) und George Petean (Miller). Beide verfügen über schöne tiefe Bassstimmen (die  von Petean hat etwas hellere Farbe) und die Interpretation ihrer Charaktere war überdacht.

Die Sänger traten in Kostümen auf, die Gideon Davey nach der Mode des 18. Jahrhunderts entworfen hat. Die schlichten Kleidungen von Luisa Miller, Rodolfo und Wurm kontrastieren mit den Rokoko-Kreationen von dem Graf, Laura und Contadino. Federicas Kostüm erschien mir etwas übertrieben: ein voluminöses Kleid mit einem „Farthingale“, das es der Sängerin schwierig macht durch die Tür zu gehen, und eine Perücke mit hochgesteckter Frisur. Das reiche Kostüm der Prinzessin neben Luisas bescheidenem Kleid soll den Standesunterschied zwischen den beiden Rivalinnen vertiefen. Der Regisseur machte Federica jedoch zu einer grotesken Figur, aber Yulia Matochkina verteidigt sie mit ihrem großartigen Gesang. Ihre dichte, sinnliche Mezzosopran-Stimme kommt fließend von der Kopf- zur Brustlage durch. Liana Aleksanyan, die die Titelpartie der Luisa singt, wäre ideal, wenn sie die hohen Töne nicht allzu stark genommen hätte, was in ihrem Gesang zu große dynamische Disproportionen führt. Aber das Gebet „L’ultima preghiera“ in ihrer Darbietung war ein wahres Meisterstück.

Eine interessante Figur schuf Karl Huml als Wurm, der seiner Bassstimme in Intrigenszenen einen scharfen, unangenehmen Klang gegeben hat. Auch die kleinen Darsteller – Kady Evanyshyn als Laura und Collin André Schöning als Contadino  – zeigten sich von ihrer besten Seite. Laura ist interessant inszeniert. In den ersten beiden Akten erscheint sie wie eine Rokoko-Porzellanpuppe. Im dritten betritt sie die Bühne in Unterwäsche, mit zerzausten Haaren und verschmiertem Lippenstift, als Alter Ego der gequälten Luisa.

Dieser Abend könnte ein wahres künstlerisches Fest sein, wäre da nicht das Verhalten eines Teils des Publikums. Nach jeder Arie, jedem Duett oder Ensemble erklangen im Zuschauerraum stürmischer Applaus und laute Schreie „Bravo, bravi, bravissimi!“  Solche Wertschätzung für Künstler ist zwar sehr nett, aber auch irritierend sowohl für sie als auch für die Zuschauer, die die Vorstellung ohne Unterbrechungen genießen möchten. Selbst der letzte Akkord im Orchester durfte nicht verklingen, weil ein paar Enthusiasten zu früh zu klatschen begannen.

Ich würde vorschlagen, zu der Aufforderung am Anfang, die Mobiltelefone auszuschalten, noch eine hinzuzufügen: „Auch wenn der Applaus für unsere Künstler sehr angenehm ist, bewahren Sie ihn bitte für den Schluss. So schonen Sie Ihre Hände und strapazieren nicht die ästhetischen Gefühle der anderen.“

Jolanta Łada-Zielke, 18. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Luisa Miller, Staatsoper Hamburg, 28. September 2018

Giuseppe Verdi, Luisa Miller (Premiere), Oper Wuppertal

 

Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, Luisa Miller,
Staatsoper Hamburg, Mittwoch, 16. Februar 2022“

  1. Sehr gut kommentiert über das Publikum. Ich mag nicht an die kommende vorletzte Aufführung dieser Serie denken mit Joseph Calleja und Nino Machaidze.
    Und die klingelnden Mobiltelefone, das Publikum will doch auch seine Aufmerksamkeit haben!!!
    Hans-Bernd Volmer

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