Drama im Nationaltheater: Die Münchner Opernfestspiele präsentieren einen beeindruckenden Otello mit dem letzten Operntoten im Werk Giuseppe Verdis

Giuseppe Verdi, Otello  Nationaltheater München, Münchner Opernfestspiele, 21. Juli 2021

So wie Jago uneingeschränkt böse ist, ist Desdemona eine reine Lichtgestalt. Anja Harteros mimt sie als starke Persönlichkeit. Weltklasse ihre gesangliche Leistung, ihre reife, kraftvolle Stimme bewegt sich scheinbar mühelos durch sämtliche Register. Harteros beherrscht die komplette Klaviatur der menschlichen Emotionen. Stets wirkt sie dabei ihrem im Krieg traumatisierten Gatten überlegen. Aus heutiger Sicht mag man sich fragen, warum diese Powerfrau sich ohne große Gegenwehr meucheln lässt. Man würde erwarten, dass sie ihrem Gatten den Laufpass gibt oder ihn zumindest zum Psychiater schleift. Aber andere Zeiten, andere Sitten.

Nationaltheater München, Münchner Opernfestspiele, 21. Juli 2021

Otello, Oper in vier Akten – 1887
Komponist Giuseppe Verdi

Otello: Anja Harteros (Desdemona). Foto: W. Hösl.

Libretto von Arrigo Boito nach dem gleichnamigen Schauspiel „Othello“ von William Shakespeare – in italienischer Sprache

von Dr. Petra Spelzhaus

Vorhang auf. Furiose Fortissimoklänge des von Asher Fisch emotional und stets auf Augenhöhe mit den Sängern dirigierten Orchesters durchdringen das Nationaltheater. Es tobt ein orkanartiges Gewitter. In einem grauen Schlafgemach mit schwarzem Bett, Sessel und Kamin treibt sich unruhig und verzweifelt Desdemona (wunderbar dargestellt von Anja Harteros) umher und wartet auf die Heimkehr ihres Mannes und Heerführers Otello von einer Seeschlacht gegen die Türken. In der Dunkelheit unterhalb des Zimmers kristallisiert sich langsam der ganz in Schwarz gekleidete Chor heraus. Durch die Nacht hallen dramatische Gesänge und schrille Schreie, die in ihrer Wucht an das „Dies irae“ aus Verdis Requiem erinnern. Dann die erlösende Nachricht: Otellos Schiff hat nach siegreicher Mission den Weg in den Hafen Zyperns gefunden und ist gerettet. Ein geschwächter, vom Krieg gezeichneter Feldherr, dargestellt vom armenischen Tenor Arsen Soghomonian, betritt das Schlafgemach. Sein „Esultate“ klingt etwas weniger triumphal als man es von anderen Aufführungen kennt.

Das Schlafzimmer dient in der Inszenierung Amélie Niermeyers aus dem Jahre 2018 während der gesamten vier Akte als Kulisse. Die dunkle Version des Raums wird von Otello genutzt, die helle dient als Refugium für Desdemona. Im Laufe der Handlung werden die Gemächer in verschiedensten Perspektiven gezeigt, zwischenzeitlich auch als bewegte Videoinstallation.

Das vielbeachtete Spätwerk „Otello“ hat Giuseppe Verdi in geheimer Mission mit seinem kongenialen Librettisten Arrigo Boito nach der Vorlage von Shakespeares Schauspiel komponiert. Der Maestro wollte sich bereits nach der Uraufführung der „Aida“ im Jahr 1871 in Kairo zur Ruhe setzen. 16 Jahre später feierte die – anders als Verdis frühere Werke – dramatisch durchkomponierte Oper „Otello“ in der Mailänder Scala eine bejubelte Premiere.

Die Handlung spielt Ende des 15. Jahrhunderts in einer Hafenstadt auf Zypern. Als Otello, ein venezianischer Heerführer maurischer Abstammung, siegreich von der Seeschlacht heimkehrt, taumelt das Volk vor Freude, im Gegensatz zu seinem Fähnrich Jago und des edlen Venezianers Rodrigo. Jago fühlt sich bei einer Beförderung übergangen, hat doch der hochgeborene Cassio den ihm zustehenden Rang als Hauptmann ergattert. Rodrigo hingegen hat ein Auge auf Otellos Frau Desdemona geworfen. Jago startet mit Hilfe Rodrigos seine Intrige. Cassio wird betrunken gemacht, von Rodrigo provoziert, er verletzt den schlichtenden ehemaligen Statthalter und wird von Otello degradiert. Jago motiviert Cassio, bei Desdemona vorzusprechen, die ein gutes Wort für ihn einlegen soll. Diese setzt sich bei ihrem Gatten vehement für ihn ein. Derweil gelingt es Jago, Otello Glauben zu machen, dass seine Frau ihn mit Cassio betrügt. Als Beweis dient ein Taschentuch, ein Geschenk Otellos an Desdemona, das der Bösewicht jedoch entwendet und Cassio zusteckt. Otello wird vom gefeierten Feldherrn zur wilden Furie und erdrosselt seine geliebte Gemahlin. Als Jagos Intrige auffliegt, flieht dieser und Otello rammt sich einen Dolch ins Herz.

Otello: Arsen Soghomonyan (Otello), Anja Harteros (Desdemona). Foto: W. Hösl

Otello ist die anspruchsvollste Tenor-Rolle des Verdi-Repertoires, die Königsdisziplin. Arsen Soghomonyan, der seine Karriere als Bariton startete, bringt mit seiner satt unterfütterten Tenorstimme dafür alle Voraussetzungen mit. Er verkörpert glaubhaft die Metamorphose vom siegreichen Feldherrn zum eifersüchtigen Wüterich. Er spielt dabei einen ruhebedürftigen Protagonisten, dem man stets die durchgemachten Kriegsstrapazen anmerkt. Der berühmte „Sangue, sangue, sangue“-Ruf wird ein wenig vom Orchester verdeckt. Dafür folgt ein wunderschönes Duett mit Finley als Jago, in dem die beiden Stimmen zu einer Einheit verschmelzen.

Jago, der Ausbund des Bösen, wird überzeugend vom kanadischen Bariton Gerald Finley dargestellt. Eine vermeintliche Bagatelle reicht aus, um die teuflische Intrige in Gang zu bringen, die zwei Menschen das Leben kosten soll. Im nihilistischen „Credo“ charakterisiert sich Jago als Dämon, der von Natur aus niederträchtig ist. Finleys Stimme ist fast zu schön für diese durch und durch fiese Figur. Wenn Jago im Cantabile lockt und intrigiert, zeigt sich Finleys warmer Bariton, um dann in den tiefen Lagen und chromatischen Abgängen bedrohlich zu werden. Die Stimme gleitet geschmeidig zwischen Fortissimo und Piano, zwischen Gesang und Deklamation.

So wie Jago uneingeschränkt böse ist, ist Desdemona eine reine Lichtgestalt. Anja Harteros mimt sie als starke Persönlichkeit. Weltklasse ihre gesangliche Leistung, ihre reife, kraftvolle Stimme bewegt sich scheinbar mühelos durch sämtliche Register. Harteros beherrscht die komplette Klaviatur der menschlichen Emotionen. Stets wirkt sie dabei ihrem im Krieg traumatisierten Gatten überlegen. Aus heutiger Sicht mag man sich fragen, warum diese Powerfrau sich ohne große Gegenwehr meucheln lässt. Man würde erwarten, dass sie ihrem Gatten den Laufpass gibt oder ihn zumindest zum Psychiater schleift. Aber andere Zeiten, andere Sitten. Sowohl im Zypern des 15. Jahrhunderts als auch zum Zeitpunkt der Entstehung des Librettos im 19. Jahrhundert herrschte ein anderes Rollenverständnis. Zumindest öffnet die Ermordung Desdemonas die Tür zum letztem Operntod in Verdis opulentem Werk: Die Erdolchung Otellos. Schließlich handelt es sich um die vorletzte Oper des großen italienischen Meisters. Sein letztes Bühnenwerk „Falstaff“ ist bekanntlich eine komische Oper, die ohne Tote auskommt.

Der Vorhang fällt. Das Publikum belohnt die gelungene Aufführung mit einigen „Bravi“ und stampfenden Füßen, bevor es zufrieden bis beglückt in die laue Sommernacht entschwindet.

Dr. Petra Spelzhaus, 22. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Asher Fisch

Inszenierung: Amélie Niermeyer

Bühne: Christian Schmidt

Kostüme: Annelies Vanlaere

Licht: Olaf Winter

Video: Philipp Batereau

Choreographische Mitarbeit: Thomas Wilhelm

Chöre: Stellario Fagone

Dramaturgie: Malte Krasting

Dramaturgie: Rainer Karlitschek

Otello: Arsen Soghomonyan

Jago: Gerald Finley

Cassio: Oleksiy Palchykov

Roderigo: Thomas Atkins

Lodovico: Bálint Szabó

Montano: Patrick Guetti

Ein Herold: Andrew Hamilton

Desdemona: Anja Harteros

Emilia: Katarina Bradić

Bayerisches Staatsorchester

Chor und Kinderchor der Bayerischen Staatsoper

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