"Jonas Kaufmann fehlt alles zum Otello" – "er ist international die erste Wahl": Der Star-Tenor spaltet die Gemüter

Jonas Kaufmann spaltet die Gemüter, der Tenor als Verdis Otello  klassik-begeistert.de

Foto: Jonas-Kaufmann ©Gregor Hohenberg

Der Sänger Jonas Kaufmann, seine aktuelle Otello-CD, seine Gesangstechnik und seine gesangliche Anmutung spalten die Leser von klassik-begeistert.de. Was kann er (noch) singen, und was kann er nicht (mehr) singen? Zahlreiche Kommentare gingen beim Nr.-1-Klassik-Blog in Deutschland, Österreich und der Schweiz (google-Ranking) nach dem Beitrag unseres Stockholmer Autoren Yehya Alazem ein: „Jonas Kaufmann hat keine Otello-Stimme“, lautete Alazems Fazit.

Die Mehrheit der klassik-begeistert.de-Leser empfindet, dass Kaufmann den Zenit seines Schaffens schon seit längerem überschritten habe. Die Minderheit empfindet, dass Kaufmann unverändert ein Jahrhundertsänger sei, der zu unrecht kritisiert werde.

Giuseppe Verdi: Otello, Jonas Kaufmann, Federica Lombardi, Carlos Álvarez, Antonio Pappano CD-Besprechung

Wir veröffentlichen die vier ausführlichsten Kommentare:

Robert Frost: Anmerkungen zu Otello, zum Otello in München der Amelie Niermeyer, zu Kaufmann…

Man bewahre uns vor weiteren Inszenierungen der Frau Niermeyer. In Verdis Otello ist keine Note zu viel, keine zu wenig komponiert. Das fantastische Libretto von Boito nach Shakespeare, (der u. a. schon bei Holinshed fündig wurde), jede Regieanweisung, einfach alles sitzt an der richtigen Stelle und bestimmt, was zu geschehen hat. Niemand braucht die Überlegungen von Frau Niermeyer, die als Regisseurin dieser kompositorischen Großtat wie Otello völlig versagt hat. Esultate im Schlafzimmer, mon dieu, Desdemona apathisch hingelagert, Otello, ein Handlungsreisender ohne Erfolg …
Natürlich, wollte man die Oper den stimmlichen Möglichkeiten eines Herrn Kaufmann anpassen, so hätte das Ganze noch eine Erklärung, aber keine Legitimation. Kaufmann fehlt alles zum Otello, squillo, attaca, piani auf brustgestützter lyrischer Linie, vehemente Ausbrüche, silbrige Höhen wie im Liebesduett. Stattdessen alles Mau, alles Unvermögen, eingedunkelte, viril aufgespritze Töne, gutturales Singen, Atemlosigkeit, manirierte, falsche Piani, unkorrekte Intonationen … Atmen an völlig falschen Stellen … Dass Frau Harteros, die ich schätze, die jedoch inzwischen leichte Schärfen zeigt, diesen Schmarrn mitmachte, begreife ich nicht.

Ich lobe mir einen Regisseur wie Giancarlo DelMonaco, der, obwohl er sich stets am Gewollten orientiert, immer neu wirkt und nie den Komponisten verrät. Ich erinnere mich an zwei seiner Otello-Inszenierungen, zwei Chéniers, zwei Toscas, Fanciulla etc. DelMonaco kann natürlich Partituren lesen und beherrscht 120 Partien in Ton und Text, die er ansingen kann. Jeder x-beliebigen Gilda kann er genau zeigen, was musikalisch gewollt ist. Und er kann mit der Masse Mensch umgehen, (Chor), sodass dort jeder als geführt erscheint. Eine Seltenheit.

Kommt jemand auf die Idee den Zauberberg umzuschreiben und in einer Pizzeria in Klosters stattfinden zulassen, mit Diabetes II-Patienten statt Lungenkranken? Würde Oskar in der Blechtrommel zwei Meter groß sein und im Allgäu Geige spielen? Bei Frau Niermeyer hielte ich das alles für möglich.

Die Diskussion über den braunen Otello ist auch überflüssig. Schon bei Holinshed ist es der Moro, das maghrebinische Gesicht, ja warum denn nicht, es ist die Grundlage des Außenseitertums, des ganzen Dramas. Die Heirat mit einer venezianischen Adeligen, ja warum denn nicht, ist doch völlig out in jenen Zeiten. Da spielt Otello, da hat ihn Shakespeare hingestellt. Nichts rechtfertigt Frau Niermeyes Unvermögen.

Übrigens: Die Zweitbesetzung in London, Gregory Kunde, war bei weitem die viel bessere Besetzung. Ich habe beide gehört Kunde, zu der Zeit 63, sang Kaufmann in jeder Hinsicht an die Wand.

Robert Frost

© Gregor Hohenberg / Sony Classical:
Jonas Kaufmann, Studio Session 2019

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Klara Ziehm: Ich kann sehr wohl nachvollziehen, was mit „keine Otello-Stimme“ gemeint ist und trotzdem ist mir Ihre Kritik zum Teil negativ aufgefallen. Dies hat weniger mit Ihren Äußerungen bezüglich der stimmlichen Qualitäten und der Interpretation des Herrn Kaufmann zu tun, sondern mit Ihren Formulierungen in der Einleitung.

Die Absagen des Herrn Kaufmann werden weltweit durch die Presse gejagt und sind auch mir bekannt, aber die Aussage, dass er „eine jährliche Stimmkrise durchmachte“ wird von Ihnen hier ohne jede Basis und Begründung als Behauptung eingestellt. Genauso fehlinterpretieren Sie nach meiner Meinung den Zeitpunkt. Diese CD wurde nicht „gleich nach seiner Tosca-Absage in Paris“ aufgenommen. Die Absage für Paris erfolgte am 10. Mai mit einer Begründung, die eine kleinere Pause rechtfertigte. Die nächsten offiziellen Termine ab ca. 21. Juni (also 6 Wochen später) nahm der Tenor wahr. Auch fand die CD-Aufnahme ab dem 25. Juni nicht „genau vor seinen abgesagten Vorstellungen von Otello und Die Meistersinger von Nürnberg während der Münchner Opernfestspiele im Juli“ statt, sondern Herr Kaufmann nahm auch nach der CD-Aufnahme noch Termine wahr. Allerdings stimme ich Ihnen zu, dass die Absagen im Sommer 2019 für jeden Kartenbesitzer ein Ärgernis darstellten.

Weiter sind mir Ihre Äußerung zu den bisherigen CD-Aufnahmen bei Sony als seltsam aufgefallen. „Seine Aufnahmen bei Sony sind nicht ganz so erfolgreich gewesen; sowohl „Dolce Vita“ als auch „Wien“ waren zwei Katastrophen, …“ Beziehen Sie sich hier auf den Verkaufserfolg (nicht erfolgreich) oder auf den Inhalt? Aus dem Textzusammenhang schließe ich, dass Ihnen beide CDs nicht zugesagt haben. An dieser Stelle finde ich solche nicht von Argumenten unterfütterten Andeutungen unpassend, ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Sie mühsam Argumente zusammengesucht haben, um die Leser von Ihrer negativen CD-Kritik zu überzeugen.

Was aber gar nicht erforderlich ist, denn Ihre Meinung zu der Otello CD selber haben sie argumentativ ausreichend unterfüttert. Stimmlich nehmen Sie Kaufmann als unfrei und an der Grenze zur Havarie wahr, interpretatorisch fehlt Ihnen Leidenschaft, Gefühlstiefe, Brutalität, Wärme und Natürlichkeit.
Für die anderen Sänger der CD finden Sie nicht viele Worte, stellen lediglich fest, dass sie „stimmlich viel überzeugender als Kaufmann, aber ohne eine besonders interessante Interpretation“ sind.

Über Geschmack lässt sich (nicht) streiten, aber genau dies ist eine Erklärung, warum es so viele Menschen gibt, die bezüglich Kaufmanns Otello eine eher positive Meinung haben. Kaufmann bietet nämlich genau das: etwas Neues, Modernes, Ungewöhnliches, eine „interessante Interpretation“.

Ich muss sicher nicht betonen, dass ich eher zu den Kaufmann-Begeisterten gehöre, auch ich habe seine Otello Darbietungen in London und München live gehört. Ich habe wahrgenommen, dass er sich die Rolle in London zunächst konditionsmäßig noch ein wenig zurechtlegen musste. Aber bereits hier habe ich ein lebendiges und sehr überzeugendes Rollenportrait von außergewöhnlicher Tiefe erlebt. Beim Otello in München wurde ihm seitens der Regie ein direkt von Anfang an „gebrochener Europäer“ ohne Fallhöhe vorgegeben, für viele bewundernswert, wie bedingungslos und glaubwürdig er sich unter dieses Konzept gestellt hat. Bei den Wiederaufnahmen konnte ich erleben, wie er sich in Abwesenheit der Regisseurin davon wieder etwas befreien durfte und seine eigene Interpretation dieser Rolle immer weiter vertiefte. [… und nein, Kaufmann ist nicht der einzige Otello-Darsteller, den ich live erlebt habe].

Da ich kein professioneller Kritiker bin, muss ich bis zum Erscheinen der CD noch ein wenig warten und kann deshalb keine endgültige Aussage über deren Inhalt machen.
Aber bezüglich Ihrer Überschrift „keine Otello-Stimme“ erlauben Sie, dass ich indirekt Jonas Kaufmann persönlich zitiere.

Financial Times, Richard Fairman 01. June 2020
https://www.ft.com/content/419bad3c-a0f2-11ea-b65d-489c67b0d85d#comments-anchor
>> Both in London and Munich, there was one criticism of Kaufmann’s Otello that stuck. This was that his voice was not big enough — a criticism that he half acknowledges by citing the arguments against, especially that singers in the composer’s day had less hefty voices. “When Verdi wrote Otello, there was nothing comparable to this. Over time, different types of voices have [come forward] and unfortunately we have got rid of a lot of beauty. The same thing has happened in the German repertoire, including Wagner, where early tenors were anything but heroic.”
He describes his own voice succinctly — “I have a German passport and an Italian sound” — and this touches on an interesting issue. Although there have been German singers who tackled Otello in the past, they generally sang it in German translation and only in Germany. Now, Kaufmann is the number one choice, not just at home, but internationally. <<

Ich würde den letzten Satz allerdings ändern, Kaufmann ist international die erste Wahl, allerdings nicht in seinem Heimatland, hier gibt es oft negative Kritiken.
Schade, wie ich persönlich finde.

Klara Ziehm

© Sony Music Entertainment Harald Hoffmann

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Dr. Eva Arts: Das Ärgerliche an dieser sogenannten Kritik ist, dass sie sich an einem jahrzehntealten Otello-Bild (das zu hinterfragen wäre und das die Inflexibilität mancher Opernfans verrät) orientiert, statt sich auf eine neue Interpretation einzulassen, garniert mit Kaufmann-Bashing, weil‘s dazu gehört.

1. Die Bemerkung über „eine jährliche Stimmkrise“ ist tratschjournalistisches Stochern im Nebel und hat in einer seriösen Kritik nichts verloren.

2. Wieso waren DV und WIEN „nicht ganz so erfolgreich“ und „Katastrophen“? Meint Vf. damit, dass ihm ital. Schlager und Wienerlieder nicht gefallen? O.k., persönlicher Geschmack, hat aber nichts mit Erfolg zu tun. Mangelnden Verkaufserfolg kann er nicht meinen. Und bei den Kritiken waren, wie immer bei solch populären Sachen, die Puristen unter den Klassikfans pikiert (ging auch Wunderlich mit seinen Wienerliedern so; und ich kenne keinen Operntenor, der nicht diese ital. Lieder gesungen hätte, aber meist mit riesiger Opernstimme und wenig Charme). Was mit „erstaunlich wie er … herausgegeben haben“ gemeint ist, verstehe ich nicht. Ist die Art und Weise der Herausgabe gemeint (Werbung, Aufmachung etc.) oder wieso die Alben herausgegeben worden sind? (ganz einfach: weil K. diese Musik liebt).

3. Zu Otello: „keine Otello-Stimme“ ist kein Argument , da bloß ein subjektiver Geschmackseindruck, der nicht belegbar ist. Übrigens wurde auch Domingo vorgehalten, dass Atlantov mit seinem hellen, metallischen Heldentenor die bessere Otello-Stimme habe.
Wenn Vf. die musikalischen Intentionen, denen K. genau zu folgen versucht, anspricht, kann er aber nicht die Partitur meinen, sondern tenorale Tradition seit Jahrzehnten. Das Dauerforte von MDM und Nachfolgern hat Verdi nie so komponiert (ein Blick in die Noten und die Briefe kann heilsam sein!), die angeblich übertriebenen Piano-Stellen stehen genau so in der Partitur. K. war und ist einer der ganz wenigen Sänger, die genau den Willen das Komponisten umsetzen und dazu auch in die Handschriften schauen, weil sich gar manche Schlamperei in die gedruckte Überlieferung eingeschlichen hat.

Ebenso ist es mit der Rolleninterpretation. „Wie Verdi selbst … Autorität passiert.“ Widerspruch innerhalb von 3 Sätzen! Hängt mit der Klischee-Vorstellung eines brüllenden, Augen rollenden und über die Bühne tobenden Wilden zusammen, die weder mit Shakespeare, dem Libretto oder der Komposition zusammenstimmt. Freiheit, Kraft, Autorität, Temperament und Vitalität werden hier K. abgesprochen, sind aber eben auch nicht jene Eigenschaften, die eine Otello-Figur psychologisch stimmig ins Stück fügen. Hätte er diese Eigenschaften, würde er Jago schon nach den ersten albernen Andeutungen als anmaßend zum Teufel schicken. O. ist ein siegreicher Feldherr und damit hat sich‘s. Mit Autorität tritt er nur im 1.Akt auf, aber schon beim 2. Auftritt ist seine Wendung an „onesto Jago“ nicht wirklich souverän. Und die Liebesbeteuerung „ E tu m’amavi per le mie sventure ed io t’amavo per la tua pietà.“ klingt nicht nach der sichersten Basis und passt auch nicht zu obengenannten Eigenschaften. In der Figur steckt schon von Anfang an die Schwäche, und das ist nicht primär die Hautfarbe. „Forse perchè gl’inganni d’arguto amor non tendo, forse perchè discendo nella valle degli anni, forse perchè ho sul viso quest’atro tenebror.“ Sein ganzes Prestige hängt für ihn an dieser Frau. Verzweiflung, Unsicherheit, Wut, Minderwertigkeit, also alle Emotionen unterdrückt er mit zusammengebissenen Zähnen, bis er explodiert. Das erfordert eine differenzierte psychologische Gestaltung (auch stimmlich!), so wie ich sie schon viele Male auf der Theaterbühne gesehen habe.

Kein Schauspieler würde einen Otello auf die Bühne stellen wie ihn offensichtlich viele Opernfans als richtig erwarten oder hinnehmen! Die berühmte Fallhöhe, die gerne zitiert wird, hat hier gar nichts verloren. Die gehört in die antike Tragödie, wo der Mensch im Spannungsfeld von Transzendenz und irdischem Schicksal steht, und nicht zu der differenzierten psychologischen Menschengestaltung eines Shakespeare, die Verdi so faszinierte. Ganz abgesehen davon, dass sich die Gestaltungsästhetik im Laufe von Jahrzehnten so wie unsere Welt und damit auch das Publikum ändert. Dass Jahrzehnte lang Opernsänger (bes. Tenöre) sich herzlich wenig um Noten und Libretto kümmerten und manche Rollen als Vehikel der Selbstdarstellung benützten, kann doch nicht heute noch als Standard der Darstellung genommen werden. Manchmal würde vom geschätzten Besucher schon ein genauer Blick ins Libretto reichen, wenn man schon nicht imstande ist, eine Partitur zu lesen.

Zu den angeblichen gravierenden Mängeln der Stimme möchte ich noch nichts sagen; in den bisher erschienen Kritiken (renommierter und verlässlicher Leute) war davon nichts zu lesen.

Dr. Eva Arts

© Gregor Hohenberg Sony Classical, Jonas Kaufmann Palais Garnier, Paris

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Ich bin fast völlig d’accord mit dem Autoren Yehya Alazem, Otello betreffend. Ich gehe sogar soweit zu sagen: diese Aufnahme hätte niemand gebraucht. Kaufmann war nie ein Otello und wird es nie werden. Es genügt nicht, etwas unbedingt zu wollen, man muss es auch können bzw, die Stimme muss dafür geeignet sein.
Sein früher Mozart war ausgezeichnet. Den hat er  sträflich in der Folge vernachlässigt. Einzig mit Werther erreichte er noch einmal Aussergewöhnliches. Statt nun längere Zeit beim Französischen Fach zu bleiben ( er hat eine natürliche, wenn auch oft baritonal vergewaltigte voix mixte) hat er exzessiv den Verismo bedient. Rollen wie Chénier, Manrico, Alvaro etc. haben ihm nur geschadet, und jahrelang die Menge der Auftritte, aber Agenturen wie Zemsky-Green üben starken Druck aus, wenn es um das einträgliche virile Fach geht.
Tristan ist eine Furzidee und Otello hätte Kaufmann bleiben lassen sollen. Über den ‚italienischen‘ Lohengrin hinaus sollte er Wagner meiden, Eric, Stolzing, aber mit Einschränkung. Kaufmann hat nichts von dem was Otello ausmacht. Noch immer ist Ramon Vinay das Maß aller Dinge (Aufnahme Toscanini). Er entspricht vollends dem Außenseiter. Schon Verdi wählte Tamagno womit er die Richtung wies. Und die Piani von Kaufmann sind oft falsche piani, gehaucht, kopfig, maniriert. Alte Damen mögen so etwas. Frau Lombardi ist keinesfalls erste Klasse.
Die Kommentatorin Frau Dr. Arts könnte auch Pressesprecherin für Sony sein.
Franco Bastiano, Paris cinquième Arrondissement

 

Sommereggers Klassikwelt 22: Verachtet mir die „Mohren“ nicht! Sony zeigt den Weltstar Jonas Kaufmann mit nachgedunkeltem Teint auf einer CD klassik-begeistert.de

 

Zusammengestellt von Andreas Schmidt für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at, 5. Juni 2020,

9 Gedanken zu „Jonas Kaufmann spaltet die Gemüter, der Tenor als Verdis Otello
klassik-begeistert.de“

  1. Lieber Herr Schmidt, Nr.-1-Klassikblog (google-Ranking), gibt aber im dt.-sprachigen Raum kaum Konkurrenz (einen ausschließlich auf Berlin konzentrierten, ein sporadischer aus München); kein Vergleich mit den zahlreichen, hochwertigen Klassikblogs in USA, GB, Frankreich, Spanien und Italien. „Die Mehrheit“ der Leser? Woher wissen Sie das? Sie können doch nur nach den Kommentaren urteilen und da sind es nicht gar viele und immer dieselben Namen – und seltsamerweise weisen einige große sprachliche Ähnlichkeiten auf (sehr auffällig der „viril aufgespritzte Tenor“ als nur ein Beispiel).
    Wenn man ein Leben lang mit Sprache zu tun gehabt hat, erkennt man einen individuellen sprl. Duktus sehr schnell, auch wenn unterschiedliche Namen als Vf. stehen. Eine Mail-Adresse für einen erfundenen Namen zu bekommen, ist ja keine Hexerei. Herr Forst und Herrn Bastiano (Paris od. Bologna, mit oder ohne m.a.), der sich so weltmännisch italienisch verabschiedet, rutscht dann eine „Furzidee“ heraus und man begegnet ihm seit vielen Jahren hin und wieder bei Kommentaren an verschiedenen Stellen, ausschließlich gegen JK (offensichtlich ein sehr „fokussiertes“ musikalisches Interesse!) und immer mit demselben Trick, mit seinem (neg.) Vorredner völlig d‘accord zu sein. Und dazu noch ausfällig: „falsche piani … alte Damen mögen so etwas“ – alte Herren mögen laute Schreihälse auf der Bühne (ich entschuldige mich für den Ton, aber auf einen groben Klotz …).
    Über Stimme und Gesang kann man eigentlich nicht diskutieren, man kann alles behaupten und nichts beweisen. Seine „gesangliche Anmutung spalten die Leser“, wie wahr, wenn auch wahrscheinlich etwas anders gemeint. Anmutung bedeutet „emotionale Wirkung von Wahrnehmungen usw. auf den Erlebenden“ (Duden 1996), also etwas Subjektives, natürlich Legitimes, das aber nicht zum allgemein gültigen Maßstab erhoben werden kann. Mich darüber zu unterhalten interessiert mich eigentlich nicht.
    Was mich interessiert, sind unterschiedliche Interpretationsansätze (musikalisch wie darstellerisch), wie ich es schon in meinem obigen Kommentar versucht habe, leider ohne Resonanz. Stattdessen wieder dieselben Ausfälligkeiten von Robert Forst und ziemlich absurde Vergleiche. „Zauberberg“ und „Blechtrommel“ sind Romane, also epische (erzählende) Texte, hermetisch abgeschlossen vom Wortlaut her und für die Einzelrezeption im stillen Kämmerchen gedacht. Da gibt es nichts zu inszenieren, außer sie werden dramatisiert oder verfilmt. Dann aber sind sie in eine andere Textgattung übergeführt worden. Ein Drama (oder Oper mit Libretto etc.) aber ist ein Bühnenstück für eine theatralische Aufführung in der Öffentlichkeit, also für kollektive Rezeption, die ganz anderen Mechanismen unterliegt und zwangsläufig einer Inszenierung bedarf. Diese muss sowohl den Autor als auch die Ästhetik der jeweiligen Zeit (der Aufführung!) und ihres Publikums berücksichtigen. Wagner-Inszenierungen von vor 100 od. 80 Jahren würden doch heute Lachstürme ernten. Bei Verdi „jede Regieanweisung … alles sitzt“ – na, da sollte Herr Frost mal ins Libretto schauen: ausschließlich Bewegungen werden angegeben (kommt hinzu, geht ins Schloss, füllt drei Becher, lässt den Säbel fallen, fällt in Ohnmacht …); da muss einem schon ein bisschen mehr einfallen, da gibt es durchaus Spielraum bei der Interpretation, wobei die Musik vieles vorgibt. Wenn man sich aber weigert, Partitur, Libretto und Dokumente zu einem Werk zu lesen und auf einer einzig richtigen Interpretation beharrt, mag das eine subjektive Vorliebe sein, aber kein gültiger Maßstab. Wenn man nicht bereit ist, Dinge neu zu denken, reduziert man sie. Eindeutig sind nur sehr triviale Texte, große Kunstwerke kann man immer neu ausloten.

    Eva Arts

    1. Liebe Frau Dr. Arts,

      herzlich Dank für Ihren Beitrag.

      Persönlich habe ich in der letzten Zeit von Jonas Kaufmann live und in den Medien überwiegend mit zahlen Mängeln behaftete und
      selten überzeugende Aufführungen miterleben dürfen – und viele Absagen und mediokre CDs. Sie finden ihn großartig, aber
      sind Sie in der Lage, Abweichungen von einem halben oder gar einem viertel Ton zu hören, die Jonas Kaufmann
      sich in letzter Zeit – sogar dokumentiert in den TV-Medien, auch im ORF – immer wieder geleistet hat? Ich wage zu bezweifeln,
      dass er uns vor allem im hohen Register noch länger Freude bereiten wird -, seiner Stimme fehlte es zuletzt immer wieder an Glanz, Strahlkraft, Funkenzauber und Brillanz.Ich freue mich für Ihre Empathie für diesen Sänger, der wahrlich auch schon viele unvergessliche Abende bestritten hat. Als erfahrener Chorsänger in Spitzenchören weiß ich, wie schwer es älteren Sängern fehlt, sich auf das zu beschränken was sie können … oder gar die Partituren in den Schrank zu stellen.

      Herzlich
      Andreas Schmidt,
      Herausgeber

      1. Sehr geehrter Herr Schmidt,
        auch wenn ich nicht konkret angesprochen worden bin, selbstverständlich sind sogar Jonas Kaufmann Fans in der Lage Abweichungen von 1/4 Tönen zu hören und auch unter Jonas Kaufmann Fans gibt es professionelle Sänger.
        Es mag sein, dass Sie in letzter Zeit selten überzeugende Aufführungen live erlebt haben, allerdings irritiert hier doch wieder diese Aussage im direkten Zusammenhang mit der Unterstellung, dass alle Menschen, denen das Gegenteil widerfahren ist, taub sein sollen. Hier wäre interessant zu erfahren, um welche Live-Aufführung konkret es sich gehandelt hat.
        Auch wenn ich Frau Dr. Eva Arts grundsätzlich zustimme, dass man über Stimme und Gesang eigentlich nicht diskutieren, alles behaupten und nichts beweisen kann: Da es nach Ihrer Aussage in den TV-Medien dokumentiert ist, bringen Sie doch bitte ein konkretes Beispiel für die von Ihren Ohren gehörten „falschen“ Töne. Dazu sollten Sie natürlich auch konkrete Angaben zu dem von Ihnen verwendeten Notenmaterial mitliefern, denn ggf. liegt der Grund der Abweichung alleine darin, dass Sie hier andere Quellen verwenden, als Herr Kaufmann.
        Klara Ziehm

        1. Zahlreiche Aufführungen in München, London, Hamburg und Wien sowie Aufnahmen, die im ORF liefen…
          Andreas Schmidt

  2. Jetzt lese ich da seit einiger Zeit mit – jetzt reicht es mir.
    Was da an laienhaften musikalischen Behauptungen grassiert, das geht nicht einmal auf Königin Didos Kuhhaut und fordert heftigen professionellen Widerspruch heraus.
    Als Klavierstimmer muss ich sehr genau hören können – zwei bis drei Saiten genau aufeinander abzustimmen. Und ich lasse keinen Amateur an mein Pariser Weltaustellungs 1900er Koch&Korselt.
    Aussagen, wie Kaufmann sänge zu tief, sind einfach lächerlich – er singt entsprechend der Absichten der Komponisten, niedergeschrieben in der Partitur, völlig richtig (incl Lautstärke) – er setzt meist sogar eine minimale Spur zu hoch an.
    Es würde sich im Liedgesang Falschsingen einfach grauslich anhören.
    Sollten solche Aussagen vielleicht daran liegen, dass Sie dieselbe Tonhöhe gespielt von einem Cello und einer Geige nicht als dieselbe erkennen können?
    Und zu Chorsänger – ich kenne viele, die nur in der Chorumgebung halbwegs richtig singen können!

    Emil Katz

    1. Leider habe ich Jonas Kaufmann noch nie live erlebt. Ob er zu hoch, zu tief oder vollkommen richtig singt kann ich also nicht wirklich beurteilen. Wenn es Aufnahmen gibt, wo es deutlich zu hören ist, dass er zu Tief singt, würde mich das aber durchaus interessieren.

      Allerdings habe ich mir vor wenigen Wochen eine Aufzeichnung von Salome aus der Wiener Staatsoper angehört. Da ich gleichzeitig, wie eigentlich immer, auch noch die Partitur mitgelesen habe, konnte ich überraschenderweise feststellen, dass Lise Lindstrom (Salome) tatsächlich die eine oder andere Note nicht ganz korrekt gesungen hat. Es klang zwar, im gesamtmusikalischem Kontext, nie wirklich falsch, da sie an den jeweiligen Stellen immer Noten gesungen hat, die musikalisch dort vollkommen plausibel waren. Aber als Mensch mit absolutem Gehör hat es mich aber trotzdem etwas überrascht. Wie gesagt, ohne die Partitur hätte ich es vermutlich nicht gemerkt. Genau deswegen ist das auch nicht als Kritik an Lise Lindstrom gemeint. Trotzdem: Der einzige, der in dieser Aufnahme alle Noten absolut präzise gesungen hat, war Michael Volle (Jochanaan).

      Johannes Fischer

  3. …..sehr interessante Diskussionen. Selbst Hobby-Gesangschüler (Bass-Bariton), begegnet mir der Name J. Kaufmann und seine Interpretationen verschiedener Rollen durchaus ambivalent. Nach verschiedenen Versuchen, Stimme und Darstellung verschiedener Charaktere durch den Sänger nahe zu kommen, bin ich mittlerweile davon abgekommen. Es lohnt sich – für mich- nicht. Es geht auf der Opernbühne nicht allein um die Stimme, selbstverständlich. Wer die reine Darstellung sucht, ist im Schauspiel besser aufgehoben. Sie, die Stimme, bleibt jedoch Grundlage jeder Interpretation. Ich stimme, unter Vermeidung der Wiederholung, der Kritik von Herrn Frost zu. Non mi piace. Herrn Kaufmann Italianita zu unterstellen, beschreibt lediglich dessen erfolgreiche Art, deren Fehlen zu kaschieren. „Dolce Vita“ hat mit Italien und/oder Caruso nur optisch zu tun.
    Sein respektabler Erfolg ist m.E. auch darin begründet, daß sich Stimmen und deren Ausbildung in den letzten Jahrzehnten ebenso gewandelt haben, wie das Rezeptionsverhalten des Publikums. Was heute als neuartige und zulässige Rolleninterpretation (Otello) betrachtet wird, hätte zur Goldenen Ära der Gesangskunst nicht für die Bühne genügt. Stimmlich! Oder, wie die SZ einmal sinngemäß schrieb, was andere früher gesungen haben, muß Herr Kaufmann darstellen. Die Stimme „sitzt“ nicht. Ein Ausdruck für die globale vokale Krise im Tenorfach, wenn attraktivem Mittelmaß gehuldigt wird, als wäre der Tenorgesang quasi neu erfunden worden.
    Das Rollenprofil erfordert ständige Veränderung, da die Stimme keine Dauerbelastung im dramatischen Fach verträgt und die lyrischen Passagen nicht (mehr) klingen.

    Im übrigen: Den großen MDM mit „Dauerforte“ zu charakterisieren, weist auf gravierende Wissenslücken in dessen Diskographie hin.

    Ich würde liebend gerne mal (wieder) einen Tenor hören, der mich in den Sitz nagelt, anstatt mir unaufhörlich die gebrochenen Charaktere der Opernwelt darzustellen. In diesem Zusammenhang mag man auch die stimmlichen Mängel, s.H. Frost, von Herr Kaufmann akzeptieren, die sich ja auch in – wirklich bedauerlichen- Stimmerkrankungen geäußert haben. Verwunderlich waren sie nicht.
    Wer den ersten Otello mit 50 und den ersten Tristan Anfang 50 und dann aktweise und konzertant singt, bzw. singen will, belegt lediglich, daß die dafür erforderliche Substanz in der Stimme nicht vorhanden ist. Die historische 1952 (?) Aufnahme in diesem ausgefallenen BT-Sommer auf Bayern-Klassik hat mit Ramon Vinay einen Tristan hören lassen, an dem sich J. Kaufmann nicht messen kann und darf. Große Interpreten dieser unglaublichen Partie würden Herrn Kaufmann raten: Lass es! Andere haben weise auf die Rolle verzichtet.
    Das kleine Wort „Nein“ rettet J. Kaufmann vielleicht noch die Karriere im tieferen Bariton-Fach. Als Tenor ist er bereits über das Optimum seiner Möglichkeiten hinaus.

    Freundliche Grüße
    Konrad Messerer

  4. nun habe ich alle kommentare gelesen. stelle fest, alle von frau arts waren die längsten. heisst das nun, dass sie am meisten ahnung hat oder dass sie vehement ihre meinung durchdrücken will?
    es gab mal einen satz von herrn kesting: unter den blinden ist der einäugige könig.
    ich will damit sagen und er wohl auch; wenn es niemanden gibt, der einen otello oder tristan singen kann, dann ist kaufmann der könig.
    Gerade die cd mit den italienischen liedern hat mir sehr gut gefallen.
    Für mich klingt seine stimme, als würde er stets zu tief singen. Und das seit seiner längeren Krankheit.
    Seien wir froh, dass er n o c h singt und sympatisch ist er auch.
    Wenn die münchner sich nicht dauernd mit lobeshymnen überschlagen würden, käme er vielleicht auch besser weg. ich hab emir die otello cd angehört und nicht gekauft.

    gero Vierich (Schreibweise des Verfassers beibehalten)

  5. Da ich völliger Laie bin was die stimmlich Qualität eines Jonas Kaufmann ausmacht werde ich mich dazu nicht äußern. Trotzdem wage ich mich hier einmal Stellung zu nehmen. Über all diesen Diskussionen wird vergessen dass eine Stimme nicht nur technisch perfekt sein sollte sondern auch auf der emotionalen Ebene etwas zu transportierten hat und sollte. Und das tut J. K. in jedem Fall. Er berührt mit seiner Stimme Menschen wie mich. Das macht ihn für mich zu einem großen Sänger.

    Gabriele Reindell

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