Sommereggers Klassikwelt 97: 100 Jahre „Pippo“ Giuseppe Di Stefano

Sommereggers Klassikwelt 97: 100 Jahre „Pippo“ Giuseppe Di Stefano

Wenn die Opernwelt in dieser Woche den 100. Geburtstag des Tenors Giuseppe Di Stefano feiert, lohnt ein Rückblick auf ein Leben, das keineswegs nur eine Geschichte von Triumphen und Erfolgen war.

von Peter Sommeregger

Der am 24. Juli 1921 in der Nähe von Catania auf Sizilien geborene Giuseppe besuchte ein Priesterseminar und überlegte ernsthaft, Priester zu werden. Die Freude am Gesang und sein offenkundiges Talent führten aber zielstrebig in Richtung einer Gesangsausbildung. Der Zweite Weltkrieg machte erst einmal alle Pläne zunichte, Giuseppe wurde Soldat, wurde aber schnell für Gesangsauftritte freigestellt, mit denen er die Truppe erfreute. Noch vor Kriegsende floh er in die Schweiz, wo er kurz interniert wurde, danach aber erste erfolgreiche Auftritte im Rundfunk hatte. Danach entwickelte sich seine Karriere geradezu  rasant.

Nach Italien zurückgekehrt debütierte er 1946 am Teatro Municipale von Reggio Emilia als des Grieux in „Manon“ von Massenet, es folgten Auftritte in Bologna und Venedig. 1947 trat  er an der Oper von Rom, 1948 an der Scala di Milano auf. Im gleichen Jahr wurde er bereits an die Metropolitan Opera von New York engagiert, wo er zunächst bis 1952 blieb. In New York traf er auch auf Maria Girolami, die Tochter italienischer Einwanderer, die er 1949 heiratete.

An allen großen europäischen Opernhäusern trat er in der Folge regelmäßig auf. In Wien wurde er zu einem erklärten Liebling des Publikums, das ihn liebevoll „Pippo“ nannte. Sein Mangel an Disziplin führte allerdings auch schon früh zu Krisen. Neben seinem Ruhm wollte Di Stefano auch das Leben in vollen Zügen genießen, was sich mit der Pflege einer empfindlichen Stimme nicht immer vereinen ließ. Bereits ab den frühen 1960er Jahren gab es immer wieder stimmliche Probleme, aber der Sänger erholte sich zumeist schnell wieder.

Ab 1953 war Di Stefano der bevorzugte Partner von Maria Callas an der Mailänder Scala. Die Plattenfirma EMI nahm damals eine größere Zahl von kompletten Opern mit den beiden Stars auf, diese Platten sind bis heute Ikonen der Schallplattengeschichte und haben die Callas wie ihren Partner praktisch unsterblich gemacht. Di Stefano erweiterte sein Fach in Richtung eher dramatischer Partien, sang aber ab 1966 auch  den Prinzen in Lehárs Land des Lächelns, eine Partie mit der er in Deutschland und Österreich rauschende Erfolge feierte.

Während der späten 1960er Jahre war allerdings ein Niedergang seiner Karriere nicht mehr aufzuhalten. Zusammen mit Maria Callas, mit der er damals angeblich auch ein Liebesverhältnis hatte, plante er eine große internationale Tournee, die sein Comeback einleiten sollte. Möglicherweise waren es auch finanzielle Probleme, die ihn zu diesen Auftritten veranlassten. Seine Tochter Luisa war an Leukämie erkrankt und Di Stefano brauchte Geld für ihre kostspielige Behandlung, welche die junge Frau aber leider auch nicht retten konnte – sie starb 1975, was mit zum endgültigen Scheitern seiner Ehe führte.

Die Auftritte mit der Callas in den Jahren 1973 und 1974 sind heute Legende. Fast jedes dieser Konzerte wurde mitgeschnitten, diese Aufnahmen sind traurige Dokumente von den gescheiterten Versuchen bedeutender Sänger an die alte Größe anzuschließen. Es waren die letzten öffentlichen Auftritte der Callas, sie starb 1977 vereinsamt in Paris.

Di Stefano trat in unregelmäßigen Abständen weiter auf, seine letzte Rolle wurde 1992 der Kaiser in Turandot. Während seiner gesamten Karriere hatte Di Stefano massive Konkurrenz von anderen Tenören. In seinen Anfängen musste er noch gegen Giacomo Lauri-Volpi und Beniamino Gigli bestehen, in seiner Generation waren es Carlo Bergonzi und Franco Corelli, die ihn zeitweise überstrahlten. Bergonzi hatte weniger Temperament, war aber zuverlässiger. Corelli verfügte über die größere Stimme und ein reicheres Farbenspektrum. Auch der etwas brachiale Mario Del Monaco war ein ernstzunehmender Konkurrent.

Gegen Ende von Di Stefanos Karriere begann der Stern Luciano Pavarottis zu strahlen.Versucht man, Di Stefanos Stimme zu charakterisieren, so bemerkt man bei aller Kraft und Schönheit des Tons doch eine gewisse Gleichförmigkeit und Mangel an Farben. Seine Konkurrenten hatten ihm eine größere Ausdruckspalette voraus.

Eine zweite Ehe in späteren Jahren brachte wieder Ordnung in sein Privatleben, alles deutete auf einen friedvollen, erfüllten Lebensabend hin, als Di Stefano und seine Frau 2004 in ihrem Haus in Kenia Opfer eines Raubüberfalles wurden. Der Sänger wurde dabei schwer verletzt und erholte sich bis zu seinem Tod im Jahr 2008 nicht mehr von den Spätfolgen seiner Verletzungen.

Seine Schallplatten, speziell die Mailänder Aufnahmen mit Maria Callas, sind bleibende Dokumente einer nicht perfekten, aber trotzdem eindrucksvollen Stimme, die man zu den bedeutenden des mittleren 20. Jahrhunderts zählen muss.

Peter Sommeregger, 20. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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Titelbild: Von Klaus Dolle – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39639763

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