Endlich eine durch die Bank herausragend besetzte und gespielte Verdioper

Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra  Staatsoper Hamburg, 29. März 2023

Foto: George Petean (Simon Boccanegra), Selene Zanetti (Amelia Grimaldi), Ramón Vargas (Gabriele Adorno), Alexander Vinogradov (Jacopo Fiesco), Daniela Rothsprach (stumme Schauspielerin), Blake Denson (Paolo Albiani) (Foto: RW)

Die erst 34 Jahre alte schlanke und hoch gewachsene Selene Zanetti trat wie aus einem Gemälde Tizians kommend auf die Bühne und sang die Partie der Amelia Grimaldi mit einer Farbpalette, satt und voll, wie sie der berühmte Venezianer auf die Leinwand gebracht hat.

Giuseppe Verdi
Simon Boccanegra

Staatsoper Hamburg, 29. März 2023

von Dr. Ralf Wegner

So eine herausragende Boccanegra-Aufführung habe ich lange nicht erlebt. Das Orchester spielte unter der Leitung von Ivan Repušić hervorragend, mit wunderbaren Streicher- und Bläserklängen, tiefen Emotionen und das der Komposition inne wohnende Gefühl von Sehnsucht nach einer besseren, anderen Welt, voll auskostend.

Die ursprünglich als Amelia Grimaldi angesetzte Saioa Hernández war schon einige Zeit vorher durch die mir bis dahin unbekannte italienische Sängerin Selene Zanetti ersetzt worden. Was für ein Glückstreffer, nie habe ich diese Partie in den letzten Jahren besser gehört, besser selbst als Barbara Frittoli (2015) oder Guanqun Yu (2017). Die erst 34 Jahre alte schlanke und hoch gewachsene Sopranistin trat wie aus einem Gemälde Tizians kommend auf die Bühne und sang mit einer Farbpalette, satt und voll, wie sie der berühmte Venezianer auf die Leinwand gebracht hat.

Von Lorenz Kerscher – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Lorenz Kerscher, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Großes Volumen, feine Dynamikabstufungen und klare, nicht verschliffene Tonbindungen kennzeichneten ihren Gesang, ebenso wie eine blühende Höhe und eine angenehm rund klingende Mittellage, dabei alles ohne jede Schärfe und mit einer Strahlkraft, die ihresgleichen sucht. Hier wächst ein Spinto-Sopran heran, den man sich merken sollte. Schade, dass sie in der nächsten Saison nicht als Leonora im Troubadour, sondern (nur) als Giorgetta und Suor Angelica in Puccinis Trittico besetzt ist. Aber auch darauf kann man sich jetzt schon freuen.

Das Boccanegra-Ensemble (Foto: RW)

Alexander Vinogradov sang einen fabelaften Jacopo Fiesco, sein Legato überzeugte, ebenso seine Strahlkraft und seine mit bis in die Tiefe mit vollem Klang verbundene Spannweite. Blake Denson, der als Verräter Paolo Albiani besetzt war, firmiert als Bariton, klingt aber eher wie ein Bass, jedenfalls hat er einen profunden Tiefenklang in der Stimme, die beeindruckt. Auch der mittlerweile 62jährige mexikanische Tenor Ramón Vargas (Gabriele Adorno) überzeugte mit dem virilen Klang seiner Stimme und immer noch vorhandenem Glanz in der Höhe. Bleibt noch George Petean als Simon Boccanegra. Er sang idiomatisch perfekt mit schöner Tonbildung und -bindung und angenehmen Stimmklang. Was bei der gesanglichen Gestaltung im Vergleich mit dem Vorgänger Franz Grundheber noch etwas prononcierter sein könnte, ist, dem Gefühl des Leides und der Brutalität eines Dogen stimmlich etwas mehr Ausdruck zu verleihen. Insgesamt ist Petean derzeit aber wohl einer der besten, wenn nicht der beste Rollenvertreter seines Fachs.

Das Publikum war von der Sängerin und den Sängern begeistert, ebenso von der Orchesterleistung unter Ivan Repušić. Leider zieht Verdis Boccanegra nicht genügend Publikum ins Haus, es fehlen die Radiohits bzw. die Ohrwürmer, die noch lange nachklingen. Dafür erlebt man aber schönsten Verdi und noch bis zum 10. April in vier weiteren Aufführungen eine gesangliche Spitzenbesetzung, die so leicht nicht wieder auf die Bühne zu bringen sein wird. Also, es gibt noch Karten, man möge diese Aufführungen nicht verpassen.

Dr. Ralf Wegner, 30. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

weitere Termine:

Rising Stars 5: Selene Zanetti, Sopran – bereit für den Absprung

Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra Deutsche Oper Berlin, 29. Januar 2023 PREMIERE

Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra Wiener Staatsoper, 18. September 2020

4 Gedanken zu „Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra
Staatsoper Hamburg, 29. März 2023“

  1. Ich freue mich riesig für Selene Zanetti, die mich vor der Pandemie an der Bayerischen Staatsoper in bedeutenden Rollen überzeugt hat, dann aber nächste Schritte auf der Karriereleiter dem Lockdown opfern musste. Dass die Amelia Grimaldi ihr besonders liegt, kann ich mir sehr gut vorstellen. Im Übrigen empfinde ich Simon Boccanegra als eine der schönsten Opern von Verdi und kann die Vernachlässigung nicht verstehen!

    Dr. Lorenz Kerscher

  2. Leider hat uns Tizian nie mit einer Amelia Grimaldi aus seiner Farbpalette entzückt. Entzückt hat meine Generation von Opernnarren aber über viele Jahre Mirella Freni in der Rolle.

    Fred Keller

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