Madoka Sugai und Alessandro Frola (Foto RW)
Madoka Sugai ist in der Lage, ihre perfekte Technik so mit Ausdruck zu füllen, dass die klassischen Petipa-Schritte wie die Spiegelung ihrer inneren Verfassung erscheinen. Der Übergang zu Neumeiers Tanzvokabular gelingt ihr unmerklich. Sugai kann beides, klassisches und modernes Repertoire.
Staatsoper Hamburg, 29. Dezember 2021
Hamburg Ballett
von Dr. Ralf Wegner
Dem erst 21jährigen Gruppentänzer Alessandro Frola vertraute Neumeier die Rolle des Prinzen Désiré an, ihm stand als Dornröschen allerdings eine schon erfahrene Erste Solistin zur Seite. Frola war bereits bei der Premiere in einer Nebenrolle mit herausragender Sprungtechnik aufgefallen. Auch heute brillierte er im Grand Pas de deux mit schnellen, perfekt gestandenen Drehsprüngen. Mit zunehmender Erfahrung wird er auch bei den zahlreichen Soli im ersten Teil über das Erlernbare hinauswachsen und zu einem noch stärkeren Ausdruck gelangen.
Frola hatte mit Madoka Sugai eine herausragende Partnerin. Sugai ist in der Lage, ihre perfekte Technik so mit Ausdruck zu füllen, dass die klassischen Petipa-Schritte wie die Spiegelung ihrer inneren Verfassung erscheinen. Der Übergang zu Neumeiers Tanzvokabular gelingt ihr unmerklich. Sugai kann beides, klassisches und modernes Repertoire. Sie beherrscht mit ihrer tänzerischen Darstellung der Aurora die Bühne. Wie sie ihren Vater (Edvin Revazov) oder auch ihre Großmutter (Patricia Friza) während des Tanzes optisch mit einbezieht, zeugt von der schauspielerisch-tänzerischen Kompetenz dieser Tänzerin. Auch die anfängliche Unsicherheit nach dem Erwachen aus hundertjährigem Schlaf, die Angst vor dem Alleinsein, die Freude, mit Désiré einerseits jemanden gefunden zu haben und andererseits die Furcht vor der Zukunft wird von Sugai exzellent umgesetzt.
Insgesamt war es eine überwältigende Präsentation dieser Tänzerin, die ihre technische Perfektion interpretatorisch mit vollkommener Leichtigkeit so einsetzen kann, wie ich es zuletzt in der Hamburgischen Staatsoper beim Gesang der Sopranistin Julia Lezhneva in ihrer Rolle als Poppea in Händels Oper Agrippina erlebt habe.
Alexandr Trusch tanzte diesmal den Hoftanzmeister Catalabutte, Ida Praetorius die Prinzessin Florine. Beide beeindruckten mit dem Pas de deux Der blaue Vogel. Amors Segen gelang nicht so überzeugend (Matias Oberlin mit Giorgia Giani und Greta Jörgens). Xue Lin hatte es mit ihrer leicht unterkühlten Art schwer, gegen den Eindruck anzukommen, den Hélène Bouchet in der Rolle der guten Fee (Die Rose) hinterlassen hatte. Karen Azatyan war als böse Fee (Der Dorn) ausgezeichnet, auch seine drei Dornengestalten (Nicolas Gläsmann, Atte Kilpinen, Artem Prokopchuk). Bleibt noch Anna Laudere, die ihre Mutterrolle mit tänzerischer Anmut und darstellerischer Überzeugungskraft zum Ausdruck brachte. Das Publikum in ausverkauften Haus war begeistert, großer Jubel galt vor allem Madoka Sugai und Alessandro Frola sowie Alexandr Trusch und Ida Praetorius, aber auch Karen Azatyan; Blumen wurden für Sugai und Frola geworfen.
Noch zum Publikum, in der Pause drängte es sich trotz Corona, meist maskenfrei, im Parkettfoyer. Meines Wissens dürfen Restaurants seit dem 24. Dezember keine Gäste mehr im Stehen bewirten. Warum sich die Hamburgische Staatsoper daran nicht hält bzw. halten muss, ist nicht zu verstehen. 2G reicht sicher nicht aus, um Infektionen, vor allem mit Omikron, zu verhindern. Hätte sich nur ein einziger Infektiöser im Foyer befunden, wären wohl zahlreiche Zuschauerinnen bzw. Zuschauer infiziert worden. Woanders, wie in Wien, sind übrigens FFP2-Masken Pflicht und nicht nur die während der Vorstellung leicht unter die Nase rutschenden sogenannten medizinischen Masken.
Dr. Ralf Wegner, 29. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Hamburg Ballett, John Neumeier, Glasmenagerie 3. November 2021