Schuberts Winterreise auf Abwegen in Hamburg

Hans Zender, Schuberts »Winterreise«, Ian Bostridge,  Laeiszhalle Hamburg

Foto: Daniel Dittus (c)
Laeiszhalle Hamburg, 26. März 2018
Hans Zender, Schuberts »Winterreise«. Eine komponierte Interpretation für Tenor und kleines Orchester
Ian Bostridge Tenor
Remix Ensemble Casa da Música
Dirigent Peter Rundel

von Leon Battran

Liederabend mal anders, im Großen Saal der Laeiszhalle Hamburg und mit Orchester. Thema ist ein Klassiker des Repertoires: Schuberts Winterreise, genauer eine moderne Bearbeitung Hans Zenders für Tenor und Orchester, die der Komponist selber „eine komponierte Interpretation“ nennt. Dabei wird Schuberts Liederzyklus harsch verfremdet und zerpflückt. Diese „Interpretation“ hinterlässt so manches Fragezeichen.

Es geht um verlorene Liebe, um Tod und Verzweiflung in den 24 schmerzerfüllten Gedichten Wilhelm Müllers, die Schubert zu einem schaurigen Liederzyklus zusammengefügt hat. Aber auch die Vergangenheit schimmert wie ein lichter Traum durch das finstere Gewebe hindurch, hoffnungslos und verklärt. Es gibt keine Erlösung für Schuberts irrenden Protagonisten. Sogar der Tod bleibt ihm als Ausweg aus seinem Martyrium versagt.

Das erste Lied Gute Nacht beginnt in Zenders Version der Winterreise mit perkussiven Klängen. Gleichmäßige Schritte ohne Richtung. Plötzlich verstummen sie, setzen erneut an. Bald sind auch die vertrauten Mollakkorde im Klavier vernehmlich. Die Melodie, ein musikalisches Herniedersinken, liegt in der Klarinette. Der Spieler wandert vom hinteren Teil des Saals auf die Bühne, gefolgt von weiteren Holzbläsern, die gegeneinander versetzt und immer etwas neben dem Versmaß mit der Melodie echoen.

Auf seinem Stuhl zur Linken des Dirigenten Peter Rundel sitzt Ian Bostridge: ausgezeichneter Tenor, promovierter Historiker, Schubert-Experte. Ein Sachbuch über die Winterreise ist vor wenigen Jahren aus seiner Feder erschienen. In diesem Moment sieht Bostridge ein bisschen so aus, als habe er sich in der Tür geirrt, wenn er wartet, bis die wandernden Spieler ihre Plätze auf der Bühne gefunden haben.

Das Remix Ensemble ist das Kammerorchester der Konzerthalle Casa da Música in Porto. Neben dem üblichen Orchesterinstrumentarium sind auch Gitarre, Akkordeon, Harmonika, Saxofon und diverses Schlagwerk auf der Bühne versammelt. Zusammen mit seinem Leiter Peter Rundel hat sich das Ensemble auf die Aufführung von Neuer Musik spezialisiert.

Und auch Schubert scheint in seiner Winterreise manchmal auf die Avantgarde zu zeigen. Hans Zender greift diese Tendenzen in seiner kompositorischen Auseinandersetzung auf und sucht sie zu verstärken. An die Stelle von Schuberts Klaviersatz tritt ein Orchesterpart, der mit so mancher Kuriosität aufwartet.

Da ist viel Improvisation und Spiel mit dem Original dabei, auch viel Gepolter und Geschepper. Zenders Bearbeitung liefert eine sehr plakative Deutung von Schuberts frostigen Liedern. Stellenweise wird die Tonalität verwischt, Glissandi und perkussive Spieltechniken prägen das Klangbild. Zender komponiert Geknatsche als Vorspiel zum Vorspiel. Das Orchester macht viel Tamtam, Becken werden zusammengeschlagen, Windmaschinen heulen.

Instrumentatorisch wird Schuberts Komposition bis auf die Knochen seziert. Häufig wechseln die spielenden Instrumente taktweise, manchmal sogar mit jedem Akkord. So erscheint die Winterreise zwar ständig getaucht in neue Farben, es entsteht aber auch eine Unruhe, die vom Eigentlichen, dem musikalischen Gedankenfluss, ablenkt. Zudem spazieren ständig Musiker auf der Bühne und im Saal umher.

Das erinnert teilweise an eine Schulklasse, die auf allen Instrumenten spielt, die der Musikraum hergibt. Zu viel Geschehen, zu viel Drumherum, als dass man sich wirklich auf die Musik einlassen könnte.

Es gibt aber auch zahlreiche Beispiele für gelungene Instrumentationen, wie die in Gitarre und Harfe verlegten Akkordfigurationen im Lindenbaum oder den messerscharfen Blechbläsersatz mit dröhnenden Bässen in Auf dem Flusse. Trotzdem stellt man sich die Frage, ob Zenders Arrangement nicht am Ende Schuberts Lieder mehr unter sich begräbt als es ihnen hinzufügt.

Hinzu kommt, dass das instrumentatorische Chaos auf Kosten des Vortrags geht. Die Spieler sind meistens mit sich selbst beschäftigt, Timing und Sauberkeit lassen zu wünschen übrig. Es fehlt an der kammermusikalischen Feinabstimmung.

Ian Bostridge, obwohl gesundheitlich angeschlagen, singt eine sehr gute Winterreise. Mit einer sehr wandlungsfähigen Tenorstimme; mal wärmer, mal kälter gefärbt, aber immer überaus klangschön interpretierte der Brite die Lieder mit genau der richtigen Balance zwischen schäumender Emotion und Resignation.

Der Applaus am Ende ist geradezu stürmisch. Mit stehenden Ovationen wird hier ein Solist gefeiert, so manche Dürftigkeit in Komposition und Interpretation verziehen.

Leon Battran, 27. März 2018, für
klassik-begeistert.de

 

Ein Gedanke zu „Hans Zender, Schuberts »Winterreise«, Ian Bostridge,
Laeiszhalle Hamburg“

  1. „Stellt man sich die Frage, ob Zenders Arrangement nicht am Ende Schuberts Lieder mehr unter sich begräbt als es ihnen hinzufügt.“, „An die Stelle von Schuberts Klaviersatz tritt ein Orchesterpart, der mit so mancher Kuriosität aufwartet.“, „Das Orchester macht viel Tamtam“:

    So ist es. Herr Battran bringt es mit dieser Kritik auf den Punkt!

    Dieser „Remix“ ist eine Totalpleite! Häufig regen sich Opernliebhaber über die Ideen (oder Nicht-Ideen) von Regisseuren auf, die musikalische Gesamtkunstwerke zerstören: Hier bei dieser „komponierten Interpretation“ wurde auch ohne Bühnenbild und szenische Ideen, rein mit Musik, ein musikalisches Werk komplett seiner Seele und seines Zaubers beraubt.

    Diese Orchestrierung ist oft nett gemacht, bunt, überaus abwechslungsreich und irgendwie lebendig, … sie hat auch zwei ganz gelungene Stellen

    … doch sie ist total oberflächlich und hat mit Schuberts Winterreise NICHTS zu tun!

    Diese Orchestrierung hat Stellen, die gut zur musikalischen Untermalung von bewegten Bildern taugen. … Doch sie ist ein Verbrechen an der Musik Schuberts!

    Der Generalintendant der Elbphilharmonie und der Laeiszhalle mit seinem unfassbar glücklichen Händchen war auch vor Ort: Ich denke mal, dass er es ähnlich sieht, und so etwas nicht ein zweites Mal auf seine Bühnen lässt.

    Es tut mir leid für den guten Ian Bostridge, der zwischendurch sogar mit Mikrophon und Megaphon ~singen~ musste.

    Diese fehlgeleitete Konzeption war nicht nur ein Diebstahl an meiner Zeit und Aufmerksamkeit, sondern eine ungehörige Verschwendung des Talents von Ian Bostridge.

    Sebastian Koik

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