„Ich liebe es, starke Frauen zu spielen“

„Ich liebe es, starke Frauen zu spielen“: Gespräch mit Sopranistin Freja Sandkamm

Freja Sandkamm. Foto: © Claudia Adolphs

„Ich liebe es, starke Frauen zu spielen“

Ein Gespräch mit der Sopranistin Freja Sandkamm, die gerade den Rolf-Mares-Theaterpreis erhalten hat.

Ich freue mich für die Künstler, die in dieser schwierigen Zeit etwas Wertvolles tun; umso mehr, wenn sie dafür geschätzt werden. Der diesjährige Theaterpreis Rolf Mares wurde an alle Theater Hamburgs überreicht, die während der Pandemie ihre Produktionen dem Publikum per Live-Streaming angeboten haben. Eine der PreisträgerInnen ist die Sopranistin Freja Sandkamm, die für ihre hervorragende Violetta-Darstellung in „La Traviata“ auf der Bühne des Opernlofts ausgezeichnet wurde. „Stimmlich absolut überzeugend, ausdrucksvoll und in den Höhen sehr klar – ließ sie uns mitfeiern, -fiebern und -leiden“ – so begründete die Jury ihre Entscheidung.

In Dänemark geboren lebt Freja Sandkamm seit 2011 in Deutschland. 2017 absolvierte sie den Studiengang Master Oper an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Dort sang sie bereits in vielen Operninszenierungen, zuletzt als 1. Dame in der „Zauberflöte“, Cathleen in „Riders to the Sea“ von Vaughan Williams sowie die Titelpartien in Purcells „Dido and Aeneas“ und Händels „Alcina“ in der Opera Stabile. Sie ist ebenfalls als Konzertsängerin tätig und trat in der Laeiszhalle und im Hamburger Michel auf. Die Sängerin unternahm Konzertreisen nach China, Indien und Dänemark.

Seit 2018 ist Freja Sandkamm beim Opernloft engagiert. Neben der Violetta singt sie dort unter anderem regelmäßig im so genannten „Opern-Slam“, einem besonderen für das Opernloft entwickelten Bühnenformat. Gerade probt sie Gounods „Faust“, wo sie Margarete verkörpert. Wir unterhielten uns während ihrer Pause beim Kaffeetrinken in der Kantine des Opernlofts.

von Jolanta Łada-Zielke

Liebe Freja, ich freue mich über Deinen Erfolg. Die offizielle Preisverleihung konnte wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden, aber die Medienberichte darüber erschienen sofort. Wer hat Dir als erster gratuliert?

Ich habe einen Anruf von zwei leitenden Personen vom Opernloft bekommen: von der „La Traviata“- Regisseurin Inken Rahardt und von unserer künstlerischen Betriebsleiterin Susann Oberacker. Von ihnen habe ich überhaupt erfahren, dass ich diesen Preis bekommen habe. Die nächste war meine Mama, die mir gratuliert hat.

Ist das für Dich wie ein Sonnenstrahl am Ende dieses grauen Corona-Jahres?

Das war ein hartes Jahr, und diese Auszeichnung ist für mich eine schöne Überraschung. Ich wusste, dass unsere Produktion von „La Traviata“ zu dem Theaterpreis Rolf Mares nominiert wurde und habe mich gefreut, dass unsere Fassung so ein großes Interesse geweckt hat. Ich habe jedoch nicht erwartet, dass ich den Preis gewinne.

Freja Sandkamm als Violetta in „La Traviata“. Foto: Inken Rahardt

Du hast die Jury mit Deiner Darstellung der Violetta begeistert. Was hältst Du von dieser Figur, die in Eurer Vorstellung als selbstbewusste Businesswoman agiert?

Wir haben die Oper ein bisschen anders als die originale Geschichte inszeniert. Die Handlung spielt im Casino und nicht Violetta, sondern Alfredo ist krank, weil er während der Vorstellung spielsüchtig wird. Das Hauptthema ist aber eigentlich nach wie vor die unmögliche Liebe zwischen den beiden. Violetta leidet darunter. Es war meine Aufgabe, diesen Schmerz durch Musik, durch Singen auszudrücken. Wir haben sie in unserer Produktion nicht als kleine und schwache, sondern als eine moderne und starke Frau dargestellt. Aber Violettas inneres Feuer und ihre Lebensfreude bleiben gleich wie bei Verdi.

Ist das eine Herausforderung, alle diese Eigenschaften und Emotionen mit der Stimme zu zeigen: das Selbstbewusstsein, die Lebensfreude, aber auch die durch die Liebe verursachte Zerbrechlichkeit?

Ja, das ist eine große stimmtechnische Herausforderung. Die Partie der Violetta ist lang, schwer und mit vielen unterschiedlichen Aspekten der Stimme verbunden, mit denen man richtig umgehen muss. Man muss mal lyrisch, mal dramatisch singen, in der hohen, tiefen, mittleren Lage, und Koloraturen gut beherrschen. Ich liebe diesen Wechsel und die Vielschichtigkeit der Figur, in ihrem schauspielerischen und in dem sängerischen Aspekt. Das Darstellen der Violetta hat mir viel Freude und Spaß gemacht.

Foto: Inken Rahardt

Das Team des Opernlofts hat die Nachricht von Deinem Erfolg auf die Homepage gesetzt. Man hat den Eindruck, ihr alle seid wie eine Familie.

Ja, auf jeden Fall. Viele Sänger am Haus sind gute Freunde von mir, man kennt mittlerweile auch die Leute im Büro. Ich habe schon drei Inszenierungen mit Inken Rahardt gemacht und wir verstehen uns sehr gut. Das Opernloft ist für uns wie ein zweites Zuhause, wo man sich wohl fühlt. Das ist das Schöne in kleinen Theatern.

Magst Du so eine kleine Bühne lieber als eine größere wie in der Staatsoper?

Ich finde es auch toll, mit einem großen Orchester auf einer großen Bühne zu singen. Aber hier, im Opernloft, sind wir näher am Publikum und können interaktive Vorstellungen machen. Wenn Du in dem Raum singst, spürst du sehr intensiv diese Energie, diese Schwingung, die von den Zuschauern zu dir kommt. Wenn es kein Corona gäbe, hätte auch ein Teil des Publikums in der sogenannten VIP-Sektion mitspielen können. Die tollsten Momente sind für mich diejenigen, wenn ich merke, dass das Publikum in meine Geschichte einsteigt, an sie glaubt und die Emotionen teilt, die ich gerade zeige. Das kann nicht nur in der Oper, sondern auch in einer Kirche sein. Ich würde ungerne sagen, dass ich eine große oder eine kleine Bühne besser finde. Beides hat unterschiedliche Vorteile und ich würde gerne auf beiden auftreten.

Foto: Silke Heyer

Ich habe noch gemerkt, dass im Opernloft „Frauen-Power“ herrscht. Die Damen übernehmen am häufigsten die Regie und die musikalische Leitung der Vorstellungen.

Absolut! Genau deswegen verwenden wir dieses Erscheinungsbild von Frauen nicht mehr, das in der alten Opernwelt herrscht. Wir porträtieren starke Frauen und interpretieren sie auf moderne Art und Weise. Ich mache jetzt den „Faust“ als meine vierte Produktion hier. Meine Margarete ist auch stark, zumindest am Anfang. Leider wird sie zu einem Manipulationsobjekt von Faust und Mephisto, die sie am Ende total kaputt machen. Aber bevor das passiert, zeigt sie ihre Kraft, mit der sie das alles aushält. Das ist eine spezielle Corona-Produktion. Wir wollen einen philosophischen Aspekt des „Faust“ zeigen, laut dem ein Mephisto in uns allen steckt. Ich spiele auch teilweise Mephisto. Es gibt einen ständigen Wechsel zwischen den beiden Figuren, und das ist auch eine große Herausforderung, neben der sensiblen Margarete den berechnenden und total emotionslosen Teufel darzustellen.

„Le voici!“ Mephisto ist eine Bass-Bariton-Partie. Sprichst Du nur die Rolle, oder singst du auch einige Fragmente?

Ich spreche den Großteil davon. Es gibt ein paar Einsätze, die ich singe. Das mache ich zum Beispiel in der Kirchenszene, die etwas „schizophren“ ist… aber mehr verrate ich jetzt nicht. Hoffentlich kommt es zu der Premiere am 23. Januar 2021, zu der ich alle Leser im Namen unseres Teams herzlich einladen möchte.

Freja Sandkamm, und Ljuban Zivanovic in „Faust“. Foto: Inken Rahardt

Dein Publikum freut sich schon darauf, Dich in der „Juwelenarie“ zu hören. Und wie hast Du eine andere Opernheroin – die Dido – interpretiert, die aus einer früheren Epoche stammt?

Dido ist die Königin, die Herrscherin. Da spielt die Schlüsselrolle ihr wahnsinniges Verantwortungsgefühl für ihre Untertanen, was die anderen zwei Hauptheldinnen nicht haben. Nur Margarete ist für ihr noch ungeborenes Kind verantwortlich. Im Fall Didos ist das eine andere Art der Stärke, die sie zeigen muss.

Du bist auch Gesangslehrerin. Wenn man Gesang unterrichtet, kann man dabei auch etwas lernen, stimmt das?

Absolut, auf jeden Fall. Ich habe einige Privatschüler und wenn ich sie beim Unterricht beobachte, kann ich auch etwas für mich selbst rausholen. Meine Schüler sind vor allem Laiensänger, obwohl ich auch ein paar habe, die schon studieren oder einen Bachelor im Gesangsstudium abgeschlossen haben. Mein technischer Weg war sehr uneinheitlich, ich hatte viele unterschiedliche Gesangslehrer. Ich habe auch einige Sachen falsch gemacht und in einem Moment musste ich meinen Lernprozess von vorne anfangen. Aber mit der Erfahrung ist es für mich jetzt leichter, jemandem Gesang beizubringen.

Gut, dass Du so etwas eingestehst. Viele andere Sänger erzählen lieber von ihren Erfolgen als von ihren Schwierigkeiten…

Naja, wir sind sehr unterschiedlich. Es gibt Natursänger, und wir gehören zu dem ganzen Rest, der Gesang erlernen muss. Man kann lange Zeit oder sogar sein ganzes Leben von einem einzigen Lehrer begleitet werden. Andere wechseln ihre Lehrer. Ich finde es immer gut, wenn man von jedem etwas erhalten kann, was man für seine eigene Entwicklung braucht. Man muss oft „balancieren“ und wissen, was man wählt, um nicht verwirrt zu werden. Eine solche Gefahr besteht, wenn du unterschiedliche Lehrer hast, die dich in verschiedene Richtungen ziehen. Man muss darauf achten, dass man auf einem guten, gesunden Weg bleibt, was auch für die Stimmtechnik wichtig ist. Während des Studiums habe ich zweimal die Professoren gewechselt. Der erste hat mich als Mezzosopran geführt, dann habe ich mich Richtung Sopran entwickelt und bei jemand anderem neu angefangen. Die Beziehung mit einem Gesangslehrer ist sehr persönlich; er oder sie kann sich beleidigt fühlen, wenn man nicht mehr bei ihm/ihr lernen möchte. Das hängt von dem Menschen ab. Mein letzter Gesangsprofessor an der Musikhochschule in Hamburg war damit einverstanden, dass ich nebenbei mit Michaela Schuster gearbeitet habe. Ich bin ihre private Schülerin seit vier Jahren. Mein Professor war sogar dankbar für diesen Input von außen, was mir auch immer sehr geholfen hat. Ich meine, so sollten alle Lehrer sein und ihren Studenten etwas Freiheit lassen. Ich habe jedoch auch solche getroffen, die versuchten mich zu lehren, wie ich mich benehmen, anziehen und sogar schminken sollte! Mit solchen muss man sehr diplomatisch umgehen, aber auch die Grenzen aufzeigen.

Foto: Inken Rahardt

Bist Du Dir jetzt Deiner Fähigkeiten so bewusst, dass Du keinen Lehrer mehr brauchst?

Gesang ist eigentlich eine ewige Arbeit an der Stimme. Ich bilde mir nicht ein, dass ich irgendwann damit fertig bin. Wenn sich meine Stimme noch ein Stück öffnet oder nachwächst, brauche ich eine Kontrolle von außen. Ein guter Lehrer ist wie ein Spiegel, der dir deine Stärken und Schwächen aufzeigt; dann weißt du, was zu tun ist – was man nicht immer selber merkt.

Du machst auch Stimmbildung für Chorsänger. Ich habe Dich bewundert, als Du im August dem Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor erklärt hast, wie man mit lange zu haltenden Tönen umgehen soll. Hast Du auch Chorerfahrung?

Der CPE-Bach-Chor engagiert mich fürs Einsingen und für die Stimmbildung. Ich mag es, mit diesem Ensemble zu arbeiten, weil die Sänger sehr diszipliniert, engagiert und ehrgeizig sind. Die Proben mit diesem Chor sind sehr professionell. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe in einem Kirchenchor in Dänemark angefangen. Aber meine echte Erfahrung mit der klassischen Chormusik habe ich in den USA gemacht, wo ich ein Jahr nach dem Abi als Au-Pair-Mädchen gearbeitet habe. Dort habe ich auch teilweise studiert und bei den National Philharmonic Singers bei DC und beim National Philharmonic Choral gesungen, der 16 Mitglieder zählte. Damals hatte ich meine ersten großen Soloauftritte in „Hör mein Bitte“ von Mendelssohn. Dort waren auch einige Lehrer anwesend, die bereits ein großes Potenzial in mir gesehen haben, obwohl ich noch nicht ausgebildet war. Dank dieser Erfahrung habe ich einen Teil des großen klassischen Chorrepertoires kennen gelernt, wie den „Messias“ und die „Carmina Burana“. Eigentlich komme ich nicht aus einem Klassik-Hintergrund, ich habe drei Jahre lang in einer Rock-Band gesungen und viele Jahre Gitarre gespielt.

Das ist eigentlich nichts Außergewöhnliches, mein jetziger Gesangslehrer in Krakau machte das auch als Teenie. Wie hast Du zur klassischen Musik gefunden?

Meine Schwester hat mich zu dem Kirchenchor mitgeschleppt, in dem sie gesungen hat. Zunächst habe ich mich für Kirchenmusik nicht interessiert. Trotzdem habe ich in diesem Chor angefangen und ein Jahr lang dort gesungen. Ich mochte sehr das physische Gefühl, wenn der Körper für den Ton und die Musik komplett offen ist und habe das sehr genossen. Das war damals eher ein künstlerisches als ein religiöses Erlebnis für mich, obwohl ich weiß, dass man sich mit Gott durch diese Musik verbinden kann. Dann habe ich meinen Wohnort gewechselt und bin zu meinem Vater gezogen, der Volksmusiker ist und Klavier sowie Akkordeon spielt. Er sagte, wenn ich Gesang erlernen möchte, zahlt er den Unterricht für mich. Dann habe ich meine erste klassische Gesangslehrerin gefunden.

Foto: Inken Rahardt

Du kommst also aus einer musikalischen Familie?

Mein Opa ist Organist, meine Mutter ist Dänisch-, Deutsch- und Musiklehrerin. Meine Schwester ist Physikerin, singt aber sehr schön und hat zehn Jahre nebenbei als Organistin gearbeitet, um ihr Studium zu finanzieren. Die Mitglieder meiner Familie sind musikalisch, haben aber wenig mit klassischer Musik zu tun. Ich bin nur quasi das „schwarze Schaf“. (lacht)

Ich glaube, sie sind alle jetzt stolz auf Dich. Jetzt, während der Corona-Pandemie, wird Sologesang während der Gottesdienste erlaubt. Machst Du das auch mit?

Ich singe in Sankt Michaelis in Hamburg, wo ich sozusagen ein „Haussopran“ bin. Im September hatte ich dort zwei Auftritte, und am 26. Dezember werde ich noch in Saint-Saëns‘ „Weihnachtsoratorium“ singen.

Was ist Deine Traumrolle, die Du gerne noch singen möchtest?

Ich muss noch 10-15 Jahre abwarten, aber das wäre die Salome von Richard Strauss, die ich wahnsinnig gerne singen würde. Meine Stimme passt generell gut zu Strauss und die Vielfältigkeit und Vielseitigkeit dieser Figur faszinieren mich sehr. Dieser totale Wahnsinn in der Schlussszene, wenn sie den Kopf von Johannes dem Täufer auf einem Tablett bekommt… das würde ich gerne zumindest ein einziges Mal im Leben spielen.

Ich wünsche Dir vom ganzen Herzen, dass Du die Salome viele Male singst. Vielen Dank für das Gespräch.

Jolanta Lada-Zielke, 9. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

2 Gedanken zu „„Ich liebe es, starke Frauen zu spielen“: Gespräch mit Sopranistin Freja Sandkamm“

  1. Ich bin sehr angetan von Freja Sandkamm, die ich sehr schätze. Als meine Gesangslehrerin habe ich sehr viel bei Ihr gelernt und meine Stimme verbessert. Auch als Mensch strahlt sie eine natürliche Art heraus, die mich sehr bewegt. Ich sehe es als Auszeichnung, mit ihr zusammen zu arbeiten. Darüber freue ich mich sehr.

    Heinrich Beck

  2. Ich bin sehr angetan von Freja Sandkamm, die ich sehr schätze. Als meine Gesangslehrerin habe ich sehr viel bei ihr gelernt und meine Stimme verbessert. Auch als Mensch strahlt sie eine natürliche Art heraus, die mich sehr bewegt. Ich sehe es als Auszeichnung, mit ihr zusammen zu arbeiten. Darüber freue ich mich sehr.
    Heinrich Beck

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