Verdis Troubadour ist wohl heute kaum noch rollendeckend zu besetzen, leider auch nicht in Hamburg

Giuseppe Verdi, Il Trovatore  Staatsoper Hamburg, 17. März 2024 PREMIERE

Alexander Roslavets (Ferrando), Elena Maximova (Azucena), Gwyn Hughes Jones (Manrico), Guanqun Yu (Leonora), Aleksei Isaev (Luna) Olivia Boen (Inez) (Foto: RW)

Im Vordergrund steht der Gesang. Einen über jeden Zweifel erhabenen Troubador-Cast wird heute wohl kaum ein Opernhaus auf der Welt stemmen können, aber zumindest zwei der vier Hauptpartien sollten schon spitzenmäßig und die anderen zumindest gut besetzt sein. Und das war bei der Premiere in der Hamburgischen Staatsoper nicht der Fall.

Il Trovatore, Oper in vier Teilen von Giuseppe Verdi

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg,
musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti

Chorleitung: Christian Günther

Inszenierung: Immo Karaman, Bühne: Alex Eales, Kostüme: Herbert Barz-Murauer

Staatsoper Hamburg, 17. März 2024 PREMIERE

von Dr. Ralf Wegner

Wenn ich nur eine italienische Oper auszuwählen hätte, wäre es Verdis Troubadour. Die Handlung ist zwar konfus, die Musik erklärt aber alles: Die Liebe eines Mannes (Luna) zu einer Frau (Leonora), die einem anderen hinterherläuft (Manrico), der sich mehr um seine psychisch geschädigte Mutter (Azucena) sorgt, als um die Geliebte. Wissen sollte man noch, dass Azucena aus Rache ein Kind entführte und in ihrem blinden Hass versehentlich ihr eigenes statt des geraubten Knaben in ein Feuer warf.

Was Verdi vor allem auszeichnet ist seine Gabe, nahezu alle Stimmgattungen mit herrlichen Arien zu beschenken, vor allem im Troubadour. Regie und Inszenierung sind da fast nebensächlich, nicht jedoch die Personenführung.

Im Vordergrund steht aber der Gesang. Einen über jeden Zweifel erhabenen Cast wird heute wohl kaum ein Opernhaus auf der Welt stemmen können, aber zumindest zwei der vier Hauptpartien sollten schon spitzenmäßig und die anderen zumindest gut besetzt sein. Und das war bei der Premiere in der Hamburgischen Staatsoper nicht der Fall (allerdings auch nicht bei von mir in den letzten Jahren in München, Wien oder Paris gesehenen Aufführungen).

Einzig der Bariton Aleksei Isaev verfügte als Luna über ein raumfüllendes Organ, während die Azucena  von Elena Maximova in den dramatischen Phasen ihrer Partie schlichtweg überfordert war. Ihr Kerkerarioso Ai nostri monti am Ende der Oper gelang ihr zwar schönstimmig, war aber eigentlich nur dank des sehr auf die Sängerinnen und Sänger Rücksicht nehmenden musikalischen Leiters Giampaolo Bisanti deutlich zu hören. Ihr Auftritt mit Stride la vampa geriet fast zum Fiasko, weder loderten stimmlich die Flammen, noch war die Mezzosopranistin in der Lage, mit ihrer Stimme genügend in den Raum zu dringen. Die Töne der Canzone klangen anfangs verschliffen, um nicht zu sagen breiig. Außerdem fehlte der Sängerin jene darstellerische Aura, welche für diese zentrale Rolle notwendig ist. Man muss nicht so schönstimmig sein wie die früheren Bühnenvorgängerinnen Fiorenza Cossotto oder Jelena Obraszowa, aber allein was die stimmlich an diese Kategorie nicht ganz heranreichende Elisabetta Fiorillo in den 1990er-Jahren mittels dramatischer Gestaltung erreichte, ging unmittelbar unter die Haut und ließ ihre Leistung unvergessen bleiben.

Guanqun Yu hat hier zuletzt eine wunderbare Liù gesungen, für die Leonora fehlt ihrer in allen Lagen schön klingenden Stimme aber noch die raumgreifende Opulenz und ein auch in der Tief vorhandener Glutkern. Bei den Gesangsbögen ab dolci sudiro e flebili… in Leonoras erster Arie Tacea la notte placida muss die Sonne aufgehen, so dass kein Zuschauerherz von dieser Liebessehnsucht unberührt bleibt. Das gelingt der Sopranistin nicht, man hört den Schöngesang, und bleibt kalt. Auch klingt Yus Stimme für die dramatischen Ausbrüche am Ende der Oper vor allem in der Höhe zu hell und einfarbig, wenngleich zum Glück nicht grell oder scharf. Die Sopranistin legt die Partie deswegen überwiegend verhalten an, was aber der Größe des Hamburger Hauses nicht ganz angemessen ist, zumindest nicht bei einer Troubadour-Leonora.

Bei dem Manrico von Gwyn Hughes Jones von einem Fiasko zu sprechen, wäre wohl zuviel gesagt. Sein Tenor klingt angenehm, sofern sich in seinen Vortrag nicht immer wieder schluchzerartige Tontrübungen einschleichen würden. Seine beiden hohen C’s versemmelte er, anders lässt es sich nicht beschreiben. Die Stretta Di quella pira sang er, was nicht immer üblich ist, zweimal; beim ersten Mal regulär ohne die hohe Note, beim zweiten Mal nach madre infelice, corro a salvarti o teco almeno mit einem mich aufschreckenden Ton, der jedenfalls kein mit der Bruststimme gesungenes hohes C war. Auch das angesteuerte hohe C am Ende beim Aufruf seiner Mannen, allar – – – – mi, klang merkwürdig. Dafür erhielt der Tenor etliche Buh-Rufe.

Alexander Roslavets sang einen guten Ferrando, ebenso beeindruckten als Mitglieder des internationalen Opernstudios Olivia Boen (Inez) und Aaron Godfrey-Mayes (Ruiz). Warum Alexei Isaev am Ende neben Gwyn Hughes Jones und Elena Maximova ebenfalls etliche Buh-Rufe ertragen musste, blieb mir unverständlich. Von den vier Hauptprotagonisten war er derjenige, der den Intentionen des Komponisten noch am ehesten nahekam. Sicher, die Arie Il balen del suo sorriso, eine der schönsten für Bariton komponierten überhaupt, hätte glänzender, gefühlvoller klingen können. Man wird sehen bzw. hören, ob George Petean, der in der nächsten Saison als Luna besetzt ist, mehr Glück beim Publikum hat.

Vielleicht hätte Isaev auch besser beim Publikum abgeschnitten, wenn die Regie (Inszenierung Immo Karaman) ihm nicht eine abstoßende Vergewaltigungsszene (an einer Hausangestellten, vor der versammelten Mannschaft) auf den Leib geschrieben hätte. Jedenfalls gab es danach auch etliche Buhs im Publikum.

Bühnenbild zu Il Trovatore, in der Mitte der Dirigent Giampaolo Bisanti (Foto: RW)

Zu verstehen war diese sexualisierte Gewalt (auf die im Programmzettel ausdrücklich hingewiesen wurde) nicht. Zumindest sagt die Musik das Gegenteil. Luna ist ein Liebender, vielleicht ein Betrogener, aber kein hirn- und herzloser Vergewaltiger. Auch warum Leonora hochschwanger in den Tod geht, erschließt sich nicht. So eine Schwangerschaft (nachvollziehbar von Manrico) dauert ja doch länger als es die Opernhandlung vorgibt. Und Luna hätte sich am Ende bestimmt nicht von Leonora zum Ehegelöbnis verführen lassen, um das Kind seines Widersachers im Hause zu dulden.

Das Bühnenbild (Alex Eales) unterschied sich nicht wesentlich von jenem der während der Coronazeit prämiierten Lucia di Lammermoor. Auch hier handelt es sich um ein Einheitsbühnenbild, und zwar um die Eingangshalle eines neobarock-klassizistischen Anwesens. Warum sich auch der Coro di Zingari in diesem Gebäude aufhält (der Opernzettel warnt hier vor diskriminierender Sprache) und das berühmte Vedi! le fosche notturne spoglie (Seht! wie die Wolken am Himmel ziehen) singt, bleibt unklar und lässt sich auch nicht sinnfällig dem Programmheft entnehmen. Angeblich sei das Haus der Grafen von Luna der surreale Schauplatz der Tragödie, in der Azucena (als Hausangestellte) und mit ihr alle weiteren Figuren gefangen seien. Wie dem auch sei, der Troubadour ist praktisch uninszenierbar, so dass man die Bühne und die Inszenierung notgedrungen akzeptieren kann. Nur die Vergewaltigungsszene sollte schleunigst gestrichen werden. Es würde mich wundern, wenn sich George Petean dafür instrumentalisieren lässt.

Dr. Ralf Wegner, 18. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Il Trovatore Royal Opera Covent Garden, London, 5. Juni 2023

Giuseppe Verdi, IL TROVATORE Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper), 3. November 2021

Meine Lieblingsoper, Teil 2:“Il trovatore“ („Der Troubadour“) von Giuseppe Verdi klassik-begeistert.de

Giuseppe Verdi, Il trovatore, Wiener Staatsoper, 25. September 2019

Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, Il Trovatore
Staatsoper Hamburg, 17. März 2024 PREMIERE“

  1. Ich war begeistert von dieser Aufführung des „Troubadours“, für mich musikalisch die schönste Verdi-Oper, die leider sehr selten gespielt wird. Die Vergewaltigungsszene fand ich nicht so schockierend wie andere Besucher. Da gab es 2008 unter der Regie von Calixto Bieito in der Komischen Oper Berlin ausgerechnet in Mozarts menschenfreundlichen Oper „Die Entführung aus dem Serail“ erheblich Schlimmeres zu sehen.
    Vielleicht stand das Ganze hier unter dem Kontext: „Butscha oder auch Israel/ Gaza ist überall“? Schließlich lässt der Regisseur die Oper im spanischen Bürgerkrieg spielen. Die Geschichte ist außerdem auch in der Originalversion extrem grausam.
    Außer Gwyn Hughes Jones, der teilweise ziemlich „knödelte“ während seiner Gesangsvorträge, haben mir alle Sängerinnen und Sänger sehr gut gefallen, besonders die zauberhafte Guanqun Yu als Leonora. Warum diese am Schluss hochschwanger war, hat sich mir allerdings nicht erschlossen.

    Barbara Heinken

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