Nolwenn Bargin Flute, Photo: Marco Borggreve
Interview mit Nolwenn Bargin von Birgit Koß
Ich treffe Nolwenn Bargin in Berlin, wo sie im Piano Salon Christophori ihre neue CD „Philippe Gaubert Chamber Music“ vorstellt.
klassik-begeistert: Frau Bargin, eine CD zu dem Komponisten Philippe Gaubert zu veröffentlichen, er ist ja sozusagen ein Landsmann von Ihnen, auch wenn Sie als gebürtige Bretonin inzwischen eine Schweizerin geworden sind, war das schon länger Ihr Wunsch?
Nolwenn Bargin: Ja, die erste Begegnung mit Kompositionen von Gaubert war mit der „Fantaisie“; die habe ich sehr früh, ich glaube im Alter von fünfzehn, sechzehn kennengelernt. In dem gleichen Alter hatte ich – vielleicht ist das deutsche Wort nicht ganz richtig – einen Schock. Ich war bei ,,Pelléas et Mélisande“ von Debussy in der Opéra comique de Paris. Das Stück war dort seit dreißig Jahren nicht mehr aufgeführt worden und dann hörte ich diese Musik. Es war wunderbar, ich spürte, das ist etwas für mich. Doch erst kürzlich, ich war am Suchen nach Kammermusik mit Geige, habe ich „Médailles antiques“ von Gaubert mit Geige entdeckt. Ich hatte mich immer gewundert, dass es da so wenig Kammermusik-Stücke mit Geigegibt, denn ich liebe Geige. Damit hat es begonnen. Dann habe ich weiter gesucht, denn ich wollte nicht diese ewigen Flötensonaten spielen – wie alle Flötisten. Ich habe geschaut, was es für verschiedene Facetten von Gaubert gibt, um damit zu zeigen, dass dieser Komponist es verdient hat, bekannter zu werden. Ich liebe die Musik von Philippe Gaubert.
klassik-begeistert: Philippe Gaubert (1879 – 1941) steht ein wenig im Schatten von Claude Debussy. Er hat bei dem großem Flötisten Paul Taffanel schon sehr jung mit dem Unterricht begonnen und mit 14 Jahren am Pariser Konservatorium studiert. Später lehrte er selber und war Mitherausgeber einer fortschrittlichen Flötenschule, die bis heute zum Standardwerk gehört.
Nolwenn Bargin: Ich habe mit diesem Buch von Taffanal und Gaubert angefangen.
klassik-begeistert: Das heißt, er ist unter Flötistinnen und Flötisten sehr bekannt, aber dem breiten Publikum eher nicht? Haben Sie eine Erklärung dafür?
Nolwenn Bargin: Ich denke, so viel hat Gaubert nicht komponiert und was in seinem Werk fehlt, sind große Kompositionen für Orchester, die wirklich beeindruckend sind wie bei Debussy, Ravel oder Fauré. Er hat nicht genug Zeit gehabt, das ist ganz klar, weil er zu früh gestorben ist. Er hätte noch lange leben können. Den Anfang seiner Karriere hat er wirklich der Flöte gewidmet, Konzertreisen, Lehren und Dirigieren. Und jeder weiß, wenn man dirigiert, dann hat man keine Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit drei Fächern welt berühmt sein kann. Er war schon virtuos an der Flöte und als Dirigent, dann ist es klar, dass er als Komponist nicht so bekannt sein kann.
klassik-begeistert: Als Komponist der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Gaubert vom Impressionismus geprägt. Der Maler Claude Monet ist berühmt für sein zartes Farbspiel. Wie bekommen Sie, Frau Bargin, die Farbe in Ihre Musik?
Nolwenn Bargin: Wenn man mich schon früh gefragt hätte, wer ist dein Lieblingsmaler, hätte ich gesagt – Claude Monet. Ich hatte immer meine Mutter gebeten, dass ich so oft wie möglich in die Orangerie gehen durfte, um zu schauen und ich war sehr inspiriert. Meine Mutter erzählt, man konnte mich nicht losreißen, ich stand immer sehr lange vor den einzelnen Bildern. Sie war sehr zufrieden, dass ich diese Begeisterung hatte. Und wenn ich mich dem Bild näherte, dann habe ich gesehen, es gibt zwar dieses Blau, aber ganz aus der Nähe sind die Punkte auch gelb und grün.
Mit der Flöte ist das natürlich sehr schwierig und bei mir kam die Umsetzung eher sehr spät. Ich hab ein wenig ausgeholfen bei den Berliner Philharmonikern vor meiner Stelle in Winterthur und Emmanuel Pahud hat mir immer gesagt, es muss mehr Farben in der Musik geben. Ich habe das mitgenommen. Natürlich habe ich weitergearbeitet mit meinem Lehrer, man muss Technik haben, um diese Farbe zu machen. Aber das ist der Sinn. Wir müssen als Musiker genau diese gelben und grünen Punkte machen – als Farben. Bei uns wird das Timbre genannt. Die Färbung von dem Ton macht die Musik aus. Wenn wir diese verschiedene Punkte machen, erst dann kann das Publikum richtig träumen. Sonst spielt man nur Noten, eine Melodie, aber es muss viel mehr da sein. Ich versuche, diese Malerin zu sein mit meiner Technik an der Flöte.
klassik-begeistert: Was möchte Sie mit ihrer Musik erreichen und wen?
Nolwenn Bargin: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Am Sonntag habe ich gespielt und der Security Guard ist geblieben. Er hat die Probe gehört und ist für das Konzert geblieben, hat sich einen Klappstuhl genommen und gesetzt. Ich will alle berühren können, so das alle nach dem Konzert sagen: Oh das ist tolle Musik, ich kannte Philippe Gaubert nicht, aber ich mag das. Ich habe das Glück, das ich wählen darf, was ich spiele in der Kammermusik. Wenn ich einen Komponisten oder ein Programm wähle, stehe ich zu einhundert Prozent dahinter und ich will, dass die Leute dieses Programm mögen, begeistert sind. Wenn die Leute mir ein Kompliment machen, bin ich natürlich zufrieden, aber das ist nicht so wichtig für mich. Ich möchte nicht hören, „ah du spielst schön Flöte“. Mir ist wichtig, dass die Menschen die Musik mögen, dass sie in das Konzert gehen und etwas entdecken. Es gibt so viel in der Musik zu entdecken– das ist mein höchstes Ziel.
klassik-begeistert: Sie haben 2021 das Ensemble „Chant du Vent“ gegründet. Wie sind Sie auf diesen Namen gekommen?
Nolwenn Bargin: Ich komme aus der Bretagne und habe ein Bild gesucht, und ich war überrascht, wie einfach der Wind ein Bild verändern kann. Ich dachte, vielleicht ist es als Bläserin ganz normal, dass der Wind mich immer begeistert. Wichtig war mir, das Konzertprogramm, ich muss in diesem Ensemble nicht bei jedem Stück spielen. Das ist der Sinn. Ich habe festgestellt: Für dieses Windgefühl braucht es nicht immer ein Blasinstrument – jedes Instrument kann das erzeugen. Es ist der frische Wind in der Musik, der uns mitnimmt.
klassik-begeistert: Wie setzt sich dieses Kammermusikensemble zusammen?
Nolwenn Bargin: Die erste Person, die ich gefragt habe, war die Pianistin Maki Wiederkehr. Wir kennen uns schon ein paar Jahre aus Winterthur. Ich wusste, dass sie schon ein festes Ensemble hatte, aber der Sinn bei mir ist Flexibilität. Es kann auch mal sein, dass das Klavier fehlt, aber meistens ist sie dabei und es geht immer um einen Komponisten. Wenn ich dann weitere Musiker frage, spreche ich es immer mit ihr ab. Sehr schnell hat sich das in Winterthur herumgesprochen. Ich frage nicht, ob ein Musiker mit mir spielen möchte, sondern nach dem Werk und dann kommt häufig die Antwort, oh das kenne ich nicht, aber ich finde es interessant. Und nun gibt es immer mehr Musiker die sich beteiligen möchten.
klassik-begeistert: Gibt es auf der neuen CD ein Stück, das für Sie eine große Herausforderung war?
Nolwenn Bargin: Schwierig war das Trio mit Oboe. Die Oboistin hat das gemeistert, also, sie darf fast nicht atmen – das ganze Stück über. Ich war dankbar, dass ich so eine gute Oboistin hatte. Aber die zwei Klänge Oboe und Flöte; da war es wirklich schwierig, die gute Farbe zu finden. Ich musste bei der CD immer die Farbe anpassen mit dem Instrument, mit dem ich spiele. Bei dem „Divertissement Grec“ mit zwei Flöten war das nicht so schwierig, wir sind es gewöhnt mit zwei Flöten zu spielen im Orchester. Aber mit der Oboe war es kompliziert, ich musste suchen.
klassik-begeistert: Eine sozusagen exotische Note zeigt Philippe Gauberts Liebe zum Fernen Osten mit dem Stück Orientale. Auch Sie zieht es ja in die Ferne, Sie engagieren sich in Bildungsprogrammen in Kolumbien und im Iran. Das sind ja nun beides Länder, in denen die Lebensbedingungen für die Bevölkerung sehr schwierig sind. Was können Sie dort tun?
Nolwenn Bargin: Im August konnte ich im Iran eine Zoom Masterklasse abhalten. Das Internet war noch okay. Das ist das erste. Ich habe gesagt, ich kann nicht im Moment dort reisen, aber eine Masterklasse werde ich immer anbieten, wenn es funktioniert. Ich bin dort im Kontakt mit einer Musikschule. Das ist mir wichtig, dass sie wissen, ich bin da. Sie können mir immer schreiben, wenn sie ein Problem mit den Noten haben, ich kann scannen. Ich weiß, es ist schwierig dort an die richtigen Noten zu kommen mit dem richtigen Verlag.
Vor einigen Tagen hat mich ein Student angesprochen: Er würde gern in der Schweiz studieren, aber er kann jetzt nicht kommen, um eine Aufnahmeprüfung zu machen. Ich habe nächste Woche eine Sitzung und finde, man sollte ihm entgegenkommen und die Aufnahmeprüfung per Video ermöglichen. Das meine ich: sich einzusetzen, um Dinge möglich zu machen. Ich habe verstanden, dass es nicht gut ist, mich auf Social Media zu äußern, also habe ich das nicht getan, um dort einfach niemanden zu gefährden. Dort wissen sie am besten, was zu tun ist. Was sie von mir wollen ist, dass ich musikalisch da bin, und ich bin es 24 Stunden am Tag.
Kolumbien ist natürlich leichter. Jetzt bin ich im Gespräch für den Sommer. Vielleicht werde ich dorthin reisen, um auch wieder zu unterrichten. Auch hier geht es um Kooperation wegen der Aufnahmeprüfungen, dass ich dann sagen kann, ich sehe dort Potential, dass wir das dann per Video machen können. Wir können wenigstens eine positive Sache von der Covid-Zeit mitnehmen. Es ist ab und zu möglich, etwas per Video zu machen. Ich finde, es ist unsere Pflicht, den Studenten etwas entgegenzukommen. Wir können nicht sagen, es gibt Aufnahmeprüfungen, da müssen sie persönlich anwesend sein. Sie können nicht einfach kommen, einen Flug und alles bezahlen – für was? – ein Nein und dann ist Schluss, das wäre unmenschlich. Nach Kolumbien zu reisen ist für mich wunderbar, die Leute sind nett und manche wollen nicht weg, sondern brauchen einfach Tipps. Manchmal ist es der Professor, der ein bisschen mehr Kommunikation möchte. Ich bin da, das ist das Wichtigste. Das Unterrichten ist ein zweiter Teil von mir, ich finde, man lernt so viel dadurch.
klassik-begeistert: Letzte Frage, gibt es neue Ziele, neue Projekte?
Nolwenn Bargin: Ich spiele jetzt erstmals mit einer franko-iranischen Pianistin und wir erkunden richtig orientale Musik. Den Orientalismus in der französischen Musik kenne ich bereits. Ja, das ist vielleicht ein neues Ziel für mich. Wir starten mit „L’Egyptienne“ von Debussy und mit „Orientale“ von Gaubert und gehen dann wirklich Richtung Aserbaidschan und Georgien. Ich finde es schön, mit dieser Pianistin den richtigen Blick zu haben. Wir spielen ein Stück von Otar Taktakishvili. Ich kenne viele Leute hier in Europa, die diese Sonate spielen, die „Sonate für Flöte“ von Taktakishvili, und jeder spielt das lustig. Es ist leichte Musik, aber grundsätzlich ist das ein Tanz; das habe ich jetzt erfahren durch diese Arbeit. Sie hat mir gezeigt, was das für ein Tanz ist und natürlich spielt man es anders, wenn man sich besser auskennt. Das ist etwas, was mich interessiert. Ich denke, durch die Begegnung und die Reise in den Iran vor drei Jahren, ist es normal, dass mich das jetzt reizt. Viele Komponisten aus diesen Ländern sind auch gereist, haben in Frankreich studiert. Ich habe nicht gewusst, dass es da so viele Einflüsse gab. Das ist mein neues Ziel im Moment.
Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!
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