Foto: © Wiener Staatsoper
Johann Strauß, Die Fledermaus
Wiener Staatsoper Livestream vom 31. Dezember 2020
Gabriel von Eisenstein – Georg Nigl
Rosalinde – Camilla Nylund
Frank – Jochen Schmeckenbecher
Prinz Orlofsky – Okka von der Damerau
Alfred, ein Tenor – Michael Laurenz
Dr. Falke – Martin Häßler
Adele – Regula Mühlemann
Frosch – Peter Simonischek
Dr. Blind – Robert Bartneck
Ida – Ileana Tonca
Iwan – Jaroslav Pehal
Dirigent, Cornelius Meister
von Peter Sommeregger
Man muss der Wiener Staatsoper dankbar sein: Durch den Livestream einer „Fledermaus“ am Nachmittag des 31. Dezembers wendet sie das Undenkbare ab, nämlich an diesem Tag ohne Johann Strauß‘ erfolgreichste und beste Operette auskommen zu müssen.
Die geniale Musik allein kann es nicht sein, die dieses Bühnenwerk so besonders populär gemacht hat. Die eigentlich eher schlicht gestrickte Geschichte aus dem gehobenen Bürgertum des späten 19. Jahrhunderts auch nicht. Deren Höhepunkt, ein opulentes Fest beim russischen Fürsten Orlofsky, sprengt schon eher den Rahmen und gibt Gelegenheit zu einer geradezu orgiastischen Champagner-Seligkeit.
Das Interessanteste an dem Werk ist für mich aber der Subtext, die Entlarvung einer zutiefst korrumpierten Gesellschaft, in der jeder lügt, dass sich die Balken biegen, jeder vorgibt, etwas Besseres zu sein und in einem Gespinst von Unwahrheiten gefangen ist wie in einem Kokon, der dann am verkaterten Morgen danach aufbricht, um nur wieder neuer Verlogenheit den Boden zu bereiten. Johann Strauß hat damit unwissentlich einen verfrühten Abgesang auf die sterbende Donaumonarchie geschrieben, seine Figuren taumeln champagnerselig dem Untergang ihrer Gesellschaftsschicht entgegen.
Das alles vor leerem Haus mit dem notwendigen Esprit umzusetzen war eine schwierige Aufgabe für alle Beteiligten, aber es gelang weitgehend. Die alte, aber immer noch stimmige Inszenierung Otto Schenks bietet zwar keine Überraschungen, ist aber grundsolide und bietet den Darstellern Gelegenheit, sich je nach Temperament zu präsentieren.
Die Besetzung dieser ungewöhnlichen Silvester-Aufführung war für das Haus nicht unbedingt repräsentativ, ließ sich letztlich aber doch zu einem stimmigen Ensemble formen, was nicht zuletzt dem spritzig temperamentvollen Dirigat von Cornelius Meister zu danken ist.
Regula Mühlemann ist ein kokettes Stubenmädel Adele, gesanglich bleiben bei ihr keine Wünsche offen, darstellerisch glaubt man ihr die „Künstlerin Olga“ eher als die Hausangestellte.
Die eher undankbare Tenorpartie des Alfred fand in Michael Laurenz einen ausgesprochen schön singenden Interpreten. Der Auslöser des intriganten Spiels, Dr. Falke, wird von Martin Häßler mit solidem Bariton gegeben, Jochen Schmeckenbechers Gefängnisdirektor Frank besticht mit beweglichem Bariton und Spielfreude. Okka von der Damerau, ein gestandener Mezzosopran, lässt als Prinz Orlofsky ausgesprochen schöne Töne hören, als Figur bleibt sie leider ein wenig blass.
Deutlich über ihrem Zenit scheint die Rosalinde Camilla Nylunds zu sein. Die Sopranistin, deren Omnipräsenz auf internationalen Bühnen und Konzertpodien fast schon an die Existenz von Klons denken lässt, verfügt über keine üppige Stimme mehr. Der berühmte Csárdás, die Gelegenheit dieser Figur, über eine dumme Gans hinaus so etwas wie eine Biographie zu entwickeln, verpufft wirkungslos.
Ein Vergnügen ist der Eisenstein Georg Nigls. Nicht nur, dass er als offenbar einziger Wiener der Besetzung in den Dialogen den originalen Ton trifft, er singt auch jede Phrase seiner Partie aus, bei ihm hört man Töne, die bei anderen Darstellern dieser Rolle häufig unter den Tisch fallen. Chapeau!
Im heiklen Gefängnis-Akt beweist Peter Simonischek einmal mehr, dass sich Humor und Komik auch jenseits von Klamauk realisieren lassen.
Rundum eine geglückte Aufführung, der mit dem fehlenden Publikum im Saal und ausbleibenden Überraschungsgästen bei Orlofsky aber dann doch der letzte atmosphärische Kick fehlte.
Peter Sommeregger, 1. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Eigentlich war für den Abend des 31. Dezember 2020 eine Übertragung der „Fledermaus“ aus der Volksoper Wien geplant. Die sollte im ORF auch wirklich live sein und dafür ist auch schon Wochen davor geprobt worden (vor allem auch, weil es das – zumindest Wiener – Debüt von Mirko Roschkowski als Eisenstein (!) sein sollte.
Und dann hat die Wiener Staatsoper die Volksoper, das kleinere Schwesternhaus, ausgestochen.
Es hat keinen Sinn, über was wäre wenn zu diskutieren. Aber authentischer und in vielen Bereichen stilsicherer wäre die Volksoper zweifellos gewesen – trotz teils weniger glamouröser Namen.
Michael Koling, Wien
„Alfred fand in Michael Laurenz einen ausgesprochen schön singenden Interpreten“ – wie bitte? Das war doch eine Ansammlung von sehr lauten und sehr falschen Tönen (und das ist offensichtlich nicht nur mein Urteil).
Simon Mortena
„Die eher undankbare Tenorpartie des Alfred fand in Michael Laurenz einen ausgesprochen schön singenden Interpreten. “
Sie machen wohl Witze – nur selten habe ich grauenhaftere Töne gehört. Tremolo im Bereich einer kleinen Terz, also nicht einmal Tonartgerecht; also gründlich daneben und schmerzhaft für meine Ohren.
Fazit: ich habe schnell den Sender gewechselt
Emil Katz
Ich verstehe von vornherein nicht, wieso der Alfred eine „undankbare Tenorpartie“ sein soll. Ganz abgesehen davon fand ich das sehr intensive Vibrato von Michael Laurenz nicht unbedingt unschön. Vielmehr fand ich dies als Zeichen dafür, dass Herr Laurenz diese Partie als dramatische, fast schon Heldentenor-Rolle interpretiert hat (wie ich das in meinem Beitrag zu dieser Übertragung erwähnt habe). Diese Interpretation finde ich etwas unpassend; musikalisch geht der Alfred für mich eher in Richtung Tamino. Es gibt Rollen, da würde mir dieses Maß an Vibrato sehr gefallen, z.B. Siegfried oder Tristan. Aber auch Stephen Gould als Alfred könnte ich mir nur sehr schwer vorstellen.
Umso überraschender fand ich es, wie gut Camilla Nylund die Rosalinde gesungen hat. Frau Nylund singt ja auch viele dramatische Rollen sehr, sehr gut.
Johannes Fischer