Klassik vom Feinsten: Die 25 meistgelesenen Beiträge auf Klassik begeistert (21)
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21 – Großes Interview mit der Mezzosopranistin Elina Garanča,
von Andreas Schmidt
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Elina Garanča (* 16. September 1976 in Riga, damals Lettische Sozialistische Sowjetrepublik) steht auf dem Gipfel ihrer Schaffenskraft. Im großen Interview mit klassik-begeistert.de verrät die bedeutendste Mezzosopranistin unserer Zeit, dass sie gerne die Kundry aus Richard Wagners „Parsifal“ in Bayreuth singen würde und Verdis Aida an der Mailänder Scala.
klassik-begeistert.de: Frau Garanča, Sie sind in der wunderschönen Stadt Riga in Lettland groß geworden, die ich 1993 gemeinsam mit meinem besten Freund mit dem Fahrrad auf dem Weg von Hamburg nach St. Petersburg besucht habe. Ihr Vater ist Chordirigent, Ihre leider viel zu früh verstorbene Mutter Anita Garanca war Professorin für Gesang an der Lettischen Musikakademie und Vokalpädagogin an der Lettischen Nationaloper in Riga. Sie haben auch bei ihr Gesang studiert. Wenn Sie heute geboren wären, würden Sie dann immer noch so musikalisch aufwachsen und schließlich die Karriere als Mezzosopranistin einschlagen?
Elina Garanča: Das weiß ich nicht. Aber ich wollte immer auf die Bühne, anfangs als Schauspielerin, was nicht geklappt hat. Weil ich aber seit dem sechsten Lebensjahr eine musikalische Ausbildung genossen und als Teenager bei Papa im Chor gesungen habe, war Singen auch etwas ganz Natürliches für mich. Ich hatte eben das Glück, dass mir eine Stimme geschenkt wurde, die ich weiter ausbilden konnte.
Wie wichtig war Ihre Mutter für Ihre musikalische Erziehung? Was haben Sie ihr vor allem zu verdanken?
Elina Garanča: Dass man unglaublich viel Geduld braucht und dass man als Künstler nie „fertig“ ist. Es gibt immer Phrasen, Arien und Lieder, die wir besser interpretieren können, sodass sie das Publikum immer mehr berühren. Und meine Mutter hat mir immer gesagt, dass wir nur eine Stimme haben, und die muss gehütet werden. Umtauschmöglichkeiten gibt es nicht!
Wären Sie ohne Ihre Mutter wohl Sängerin geworden?
Elina Garanča: Sie hat alles versucht, dass ich es nicht werde, wohl selber wissend, dass der Beruf nicht immer nur Blumen und Ovationen bietet. Aber sie hat mir immer verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten gezeigt und mich auf die Welt aufmerksam gemacht. Es war aber meine alleinige Entscheidung, dass ich Sängerin werden will. Sie hat mich danach, wo sie konnte, immer unterstützt.
Und was haben Sie Ihrem Vater vor allem zu verdanken?
Elina Garanča: Wenig reden, besser tun! Er hat wie mein Mann eine Elefanten-Geduld. Die ist bei mir nicht so ausgeprägt und war es bei meiner Mutter auch nicht. Und mein Vater hat immer gesagt: „Ein technisch perfekter Sänger ist nach 10 Minuten langweilig“. Finde Dein „Ich“!
Frau Garanča, Ihr Solo-Abend in der Philharmonie Berlin am 1. Februar 2017 unter dem Dirigat Ihres Ehemannes Karel Mark Chichon und mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz war schlicht und ergreifend umwerfend. Es war das wohl intensivste und berauschendste Konzert, das der Herausgeber von klassik-begeistert.de jemals gehört hat. Sie haben wie von einem anderen Stern gesungen. Der Beifall des Publikums wollte nicht enden. Auch die folgenden Konzerte in Baden-Baden, München, Frankfurt, Düsseldorf, Wien, Graz, Köln und Mannheim waren ein großartiger Erfolg. Woher schöpfen Sie die Kraft und Seelenruhe, das Publikum mit Ihrem Gesang in eine andere Welt zu führen?
Elina Garanča: Das weiß ich nicht. Für mich ist es ein Glücksmoment, wenn ich spüre, dass ich das Publikum mit meiner Stimme und dem, was ich sagen will, ansprechen kann. Und dass das Publikum mit mir kommt und sich führen lässt! Wenn ich das spüre, habe ich unendliche Energie, die ich sofort zurückgeben will. Das ist dann wie ein Fluss, der den Berg hinunterrinnt – er wird immer größer und breiter!
Tausende Ihrer Fans können Ihre Auftritte nicht live verfolgen, weil die seltenen Abende mit Ihnen fast immer ausverkauft sind. Wie würden Sie diesen Fans, die Sie leider nicht hören und sehen können, Ihre Stimme mit Ihren Worten beschreiben? Wie hört sie sich an?
Elina Garanča: Ooh, ich glaube, dass ich das überhaupt nicht kann! Zum einen hören wir Sänger uns anders als das Publikum. Und zum anderen bin ich eine Perfektionistin und höre nicht nur das, was gut ist, sondern auch das, was mir noch nicht so gelungen ist… Eine Stimme ist auch Geschmackssache. Der eine mag Mezzosopran, der andere nur Tenor. Keiner ist falsch. Ich kann auch die Größe meiner Stimme nicht einschätzen, weil ich sie selbst noch nie live im Saal gehört habe. Also, meine Stimme zu beschreiben, überlasse ich lieber dem Publikum. Nur eines will ich noch dazu sagen – ich glaube meine Stimme liebt große Räume, weil sie sich dort am besten entfaltet. Vielleicht auch, weil ich mich in einem großen Raum freier fühle. Ich brauche einen weiten Horizont vor mir!
Sie haushalten im Gegensatz zu vielen anderen Weltklassesängern offenbar gut mit Ihren Kräften. Ihr Jahresprogramm ist nicht so vollgestopft wie etwa das des Tenors Jonas Kaufmann, der sich zwischen August und Mitte Januar aufgrund einer Krankheit für ein halbes Jahr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Fällt es Ihnen leicht, auf Auftritte, auf Öffentlichkeit zu verzichten?
Elina Garanča: Ich glaube, ich kann meine Kräfte gut einschätzen, weil ich auch nicht den öffentlichen Druck eines Tenors oder des Soprans einer Prima Donna habe und ihn auch nie haben wollte! Ich habe ziemlich früh in meiner Karriere meine Grenzen kennengelernt. Auch ich werde krank, auch mir kann Unerwartetes passieren. Wir Sänger sind Sportler und sehr von der Außenwelt abhängig. Für mich ist es wichtig, dass ich meine Auftritte nicht als Routine erlebe, sondern dass ich für jeden Auftritt mein Bestes geben kann, weil ich Lust habe auf die Bühne zu gehen. Ich weiß aus Erfahrung, dass mir nach einer gewissen Anzahl von Auftritten im Jahr die Inspiration fehlt. Ich will mein Publikum nicht belügen. Ich bin ehrlich, manchmal vielleicht zu sehr… Ich bin auch Mutter zweier Töchter, die mich mit ihren knapp drei und fünf Jahren brauchen. Und auch ich brauche die Zeit mit ihnen.
Eine Ihrer Paraderollen ist die Charlotte im Werther von Jules Massenet. klassikbegeistert.de hat Sie im November 2015 an der Wiener Staatsoper gehört. Ich hatte einen sehr schlechten vorderen Logenplatz im 1. Rang – in der zweiten Reihe, habe Sie kaum gesehen und war trotzdem von Ihrem traumhaften Mezzo gefangen. Die Charlotte ist eine sehr emotionale Rolle. Was schätzen Sie an dieser Figur des deutschen Dichter-Genies Johann Wolfgang von Goethe? Entspricht diese Rolle Ihrem Wesen? Sie scheinen in der Figur vollkommen aufzugehen, wenn Sie singen und spielen. Was an dieser Rolle berührt und beschäftigt Sie besonders?
Elina Garanča: Ich finde, dass bei diesen „Paar-Opern“ wie Massenets „Werther“, Bizets „Carmen“ und „Samson et Dalila“ von Camille Saint-Saëns die einzelnen Charaktere sehr interessant sind, weil sie von den anderen Menschen sehr beeinflusst werden. Als Einzelgängerin ist die Charlotte gar nicht so interessant – aber die Beziehung zu und mit Werther macht sie interessant. Ich finde, dass die beiden in emotionaler Sicht fast eine „Sado-Maso“-Beziehung führen. Mit abwechselndem Rollenspiel. Und meine Charlotte, so wie auch Carmen verändert sich, wenn ich einen anderen Partner habe. Nach vielen Jahren fällt es mir etwas schwieriger, die ersten zwei Akte zu spielen. Dafür aber glaube ich die zwei letzten besser zu verstehen. Und wenn ich einen Partner habe, der nicht nur singt, sondern auch zuhört, dann erlebt man bei dieser Oper sehr besondere Emotionen auch als Darsteller.
Ja, die Carmen von Georges Bizet ist ja auch eine Ihrer Paraderollen. Wie sieht es da mit Ihrer persönlichen Identifikation aus?
Elina Garanča: Wenn ich ab und zu Carmen im Kalender habe, sagt mein Mann nach ein paar Wochen Proben, dass er wieder Elina zu Hause haben will und nicht die Carmen! Carmen ist getrieben von ihrer eigenen Phantasie der Weltgerechtigkeit. Sie ist wie eine Katze: Die kann sich zwei Meter von dir entfernt hinsetzen und auf dich schauen, während du sie ganz verrückt rufst, lockst und zu dir holen willst. Sie wird kommen, aber nur, weil sie es will! So bin ich teilweise auch. Und wir langweilen uns beide schnell und brauchen Bewegung. Ich bin ein Wanderer. Zu lange an einem Ort, und ich werde unruhig.
Am 11. Januar 2017 hat die Elbphilharmonie in Hamburg eröffnet. Mehr als 220.000 Menschen aus 73 Nationen hatten sich für Karten beworben. In diesem Jahr haben hier schon Cecilia Bartoli, Bryn Terfel und Philippe Jaroussky gesungen. Wann werden Sie einmal in diesem Konzertsaal der akustischen wie architektonischen Extraklasse zu hören sein?
Elina Garanča: Ich hoffe schon sehr bald. Es würde für mich eine große Ehre sein. Aber es muss eine Einladung kommen, alleine kann ich mich dorthin nicht buchen (lacht).
Wenn Sie die letzten fünf Jahre zurückblicken: Was sind Ihre schönsten Momente, an die Sie gerne zurückdenken? Gibt es etwas, an das Sie sich gar nicht gerne erinnern? Wie fällt Ihre persönliche Bilanz aus?
Elina Garanča: Ich bin dankbar für jede Vorstellung, für jeden Erfolg, für jeden Preis und jedes Interesse für mich als Sängerin. Ich bin glücklich, dass ich bald 20 Jahre auf der Bühne bin und das Interesse nicht nachgelassen hat. Im Gegenteil: Weil ich das Glück habe, dass meine Stimme sich weiterentwickelt und ich ein neues Repertoire erarbeiten kann. Ich habe eine gewisse Ruhe gefunden und werde auch mit kleineren Rollen zufrieden sein. Es muss nicht immer der ganze Kuchen sein, es reicht mir ein kleineres Stück.
Ihre Stimme ist derzeit vielleicht auf dem Höhepunkt Ihrer Schaffenskraft: Wie lange möchten Sie die Menschen mit Ihrem einzigartigen Timbre noch verzaubern?
Elina Garanča: Ich glaube, zu 100 Prozent habe ich den Höhepunkt noch nicht erreicht, aber ich komme ihm immer näher (lacht). Ich bin Realistin: Eine sehr erfolgreiche Karriere dauert so 25 bis 30 Jahre. Alles darüber hinaus sind Ausnahmen! Ich wünsche mir die 30 Jahre zu schaffen, und danach sehen wir, wie meine Stimme noch ist.
Sie stoßen derzeit vom lyrischen ins dramatischere Mezzo-Fach vor. In den nächsten Jahren haben Sie noch viel vor – Ihre Auftritte sind gespickt mit Debüts wie der Rolle der Santuzza in der „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni, Ihrer ersten Eboli in „Don Carlo“ von Giuseppe Verdi oder der Amneris in der Verdi-Oper „Aida“…
Elina Garanča: … ja, es sind die Partien wie Amneris, Dalila oder Kundry im „Parsifal“ von Richard Wagner, die vor mir stehen, und ich wünsche mir, dass ich sie erfolgreich an den besten Theatern singen werde. Für mich ist es wunderbar,dass ich das erst jetzt tun kann – so mache ich auch eine Entwicklung durch, so wie die Musik selbst: Barock, Romantik, Verismo! Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich die Frauen verstehe und nicht die Mädchen, die Frauen sein wollen. Und so glaube ich, dass Amneris oder Dalila oder Santuzza mir näher kommen. Ich kann mit ihnen auf einer anderen Ebene kommunizieren, auf der Rache oder Eifersucht nicht nur Kaprizen sind. Ja, es sind Orte wie Bayreuth, von denen ich träume – eine Kundry dort eines Tages zu singen, wäre die absolute Krönung! Oder Aida in der Mailänder Scala! Wann ich den Vertrag habe, weiß ich nicht… zwar plane ich gerne, weil mir das Sicherheit und Überblick gibt, aber wer soll wohl wissen, was mit uns allen in zehn Jahren passiert…
Frau Garanča, Sie feiern am 16. September 2017 ihren 41. Geburtstag. Was wünschen Sie sich zu diesem Freudentag? Gibt es Opern, die Sie noch unbedingt singen möchten? Gibt es Orte, an denen Sie noch auftreten möchten? Und was sind Ihre drei größten persönlichen Wünsche für diesen Geburtstag?
Elina Garanča: Das allerwichtigste ist Gesundheit! Das wünsche ich mir als Sängerin, als Mutter, als Frau als erstes! Ich war im Januar 2017 in Mexico, und mir hat das Land sehr gut gefallen. Ich wünsche mir, dass ich die Welt weiter bereisen kann und mal nach Argentinien, Peru, Australien komme, wenn möglich auch mit meinem Gesang. Ich hoffe, dass das neue Jahr und die neuen Partien vom Publikum genauso liebevoll aufgenommen
werden, wie die Partien, die ich bis jetzt gesungen habe! Und ich wünsche, dass die Welt sich endlich einigt – mit Gott oder ohne Gott: alle von uns haben das Recht auf Leben!
Interview: Andreas Schmidt, 8. März 2017, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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