Craig Taborn: ein freies Tier am Klavier

Klavierjazz mit Craig Taborn,  Laeiszhalle Hamburg, Kleiner Saal, 12. Februar 2019

Craig Taborn © Daniel Dittus
Kleiner Saal der Laeiszhalle Hamburg
, 12. Februar 2019
Klavierjazz mit Craig Taborn

von Teresa Grodzinska

Der Kleine Saal der ehrwürdigen Laeiszhalle erinnert sehr an ein karges Kirchenschiff. Auf der Empore suche ich vergebens die Kirchenorgel. Alles sehr nüchtern, obwohl warmes Holz und eine Menge Spots tun, was sie können…

Der Altersdurchschnitt viel niedriger als sonst abends, deutlich mehr Männer als Frauen, ein paar Jünglinge, die sehr neugierig und kompetent miteinander fachsimpeln. Frauen allein – Mangelware. Dresscode – keiner. Männer – überwiegend Brillenträger, überwiegend in Schwarz. Man liest es den Herren von der Stirn ab: keine Krawatte! Kein Anzug! Ich bin frei und darf es sein. Viel amerikanisches Englisch ist zu hören.

Craig Taborn, 49, stürmt – pünktlich! – auf die Bühne. Graues, zu enges Sakko, schwarze Hose, schwarze Stiefel. Er wirkt wie ein Riesenbaby in diese konventionelle Kleidung gezwängt. Gut eine Minute sitzt er am Klavier und sammelt sich. Wir sammeln uns auch, der Saal wird ruhig, noch ruhiger, ganz still.

Die ersten 10 Minuten improvisiert er sich warm. Kein Anbiedern an das Publikum. Ein mehrmals wiederholter einzelner Ton der rechten Hand wird mit der Linken in eine Struktur umhüllt, die chaotisch anmutet, aber wahrlich kein Chaos ist. Wie immer hängt über den Köpfen der Hörer der Satz “das könnte ich auch” wie in einer Abstrakten-Kunst Ausstellung. Scheinbar willkürlich gesetzte Töne wie Farbkleckse sind für Klassik begeisterte Ohren ein kleiner Schock. Bis auf ein paar Herren vor mir, die gleich mit den Köpfen wippen. Sie sind in ihrem Element.

Craig Taborn erst recht. Jetzt erwacht sein Körper; mächtige Muskeln unter den Sakkoärmeln spielen mit. Er unterbricht nur, um Wasser zu trinken. Unser Applaus wird mit einer barschen Geste unterbrochen, Zeitverschwendung… “Ich hab hier Musik zu spielen.“ Die Impros werden länger, die Tonstärke … unbeschreiblich stark. Es ist die Stärke des Anschlags, die dem Steinway ungewöhnliche Klänge und Brummtöne entlockt. Die Schnelligkeit – atemberaubend. Seine Hände, nein, seine Pranken fliegen. Und treffen immer. Kein einziger Fehler; neunzig Minuten kein falscher Ton. Die Kakophonien sind gewollt, aus Versehen geschieht hier nichts.  

Nach der zweiten Flasche Wasser wird unser Applaus immer herzlicher und lauter; Taborn schnappt sich ein Mikro und kommt nach vorne. Wieder ist er ein Riesenbaby, rosig, schüchtern, zu groß für dieses graue Jäckchen. Kurze Begrüßung und eine Einladung, nach dem Konzert die Signierstunde zu besuchen – “nicht nur, um CDs zu kaufen, auch um mir ein Lächeln zu schenken”. Man glaubt ihm das.

Keine Pause, aber der Ton wird milder, deutet an, wie sein Spiel wohl vor Jahren klang. Wir merken Ansätze von Boogie Woogie, von Blues, von Swing, Kneipenmusik.

Sein Temperament, die Ungeduld mit dem “alten” Jazz treibt ihn sehr schnell wieder in sein Verständnis des Klavierjazz, der streckenweise an Trommeln erinnert. Die Virtuosität der “traditionellen” Momente der nächsten Stücke lässt ahnen, welch langer Weg Taborn zu diesem freien Jazz geführt hat. Faszinierend scheinbar ewige Repetitionen der einzelnen Phrasen. Ist er in diesem Moment in einer anderen, nur wenigen zugänglichen Dimension? Er kehrt zurück, aber eher ungern, war mein Eindruck. 

Die Luft ist zum Schneiden dick; die 90 Minuten sind um. Taborn flüchtet förmlich von der Bühne. Bravo-Rufe, ehrlicher, warmer Applaus. Die Zugabe ist ein absolut erstaunliches Stück. “Love in outer space” von  seinem Helden (my very hero) Sun Ra. Ein breiter, langer Dreivierteltakt, streckenweise ein echter Walzer, fleischig, ganz anders  als seine Musik, mit einem kleinen Witz am Ende. Tosender Applaus. Die hinteren Reihen werden fluchtartig verlassen. Gutes Timing für das letzte, sehr tiefe Verbeugen.

Tschüss Craig. Komm bald wieder…!

Noch ein kleiner Tipp: Auf YouTube gibt es ein einstündiges Konzert von Taborn mit Kris Davis für zwei Klaviere. Kris Davis ist eine Frau, eine Free-Jazz-Komponistin.

https://www.youtube.com/watch?v=I4Eu80jR9Kk&t=2887s

Klavierjazz im Kleinen Saal gibt es noch am 21.03. und 16.04.2019.

Teresa Grodzinska, 13. Februar 2019 für
klassik-begeistert, 

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