Die Walküre – Ensemble; Foto Patrik Klein
Im Rahmen des internationalen Musikfest Hamburg gibt das Dresdner Festspielorchester, das Concerto Köln und eine kleine Schar gut disponierter Sänger einen umjubelten Abend in der Elbphilharmonie Hamburg.
Draußen war es sommerlich warm, auf den Terrassen an der Elbe tummelten sich hunderte sonnenhungrige Besucher in T-Shirts und kurzen Hosen. Man hatte schon fast ein ungutes Gefühl beim Hochfahren auf der Tube in den Großen Saal des restlos ausverkauften Hauses. Wäre man vielleicht doch besser zu Hause im warmen Sonnengarten geblieben und hätte eine Bratwurst auf den Grill gelegt?
Der Wagnerfreund ist ja leidensfähig, wenn er denn jedes Jahr nach Bayreuth pilgert und eingezwängt in Frack und Holzbänke stundenlang geduldig des Meisters Klänge erträgt. Musste man sich also heute am späten Nachmittag eine Walküre dirigiert von Kent Nagano wirklich antun? Nach den vielen Wagnerabenden in der Staatsoper Hamburg, wo beim Lohengrin, Tannhäuser, Parsifal oder Tristan nicht viel mehr als gepflegte Langeweile aus dem Graben kam, durfte man also schon ein gewisses Maß an Skepsis mitbringen. Doch weit gefehlt: es wurde musikalisch eine der besten Walküren hier in Hamburg überhaupt, an die ich mich erinnern konnte.
Man musste sich nun folgerichtig die Frage stellen, woran das lag. In einem Forschungsprojekt begleitet von namhaften Musikwissenschaftlern ging man der Frage nach, wie eigentlich zu Wagners Zeiten seine Musik klang. Man kam zu dem Ergebnis, dass an Sprache und Musik sich bis heute Vieles weiterentwickelt hat, was damals scheinbar anders gewesen ist.
Das Orchester war deutlich tiefer gestimmt als heute, die Musikinstrumente hatten weitestgehend Darmsaiten und Blech war verpönt bis auf die Trompeten, Posaunen und Wagnertuben. Auch wurde der Einsatz von Naturhörnern und Sprachrohr damals gepflegt. Das hatte einen weicheren und deutlich abgeschwächten Klang zur Folge, was dem abgedeckelten Bayreuther Graben ähnelte und den Solisten eine deutlich stärkere Durchschlagskraft bescherte. Zudem wurde der Gesang analysiert, neue Aussprachen und Phrasen entwickelt, die an die damalige Gesangsweise stärker angelehnt sein sollten.
An des Hörers Ohren gelangten also neue und zum Teil ungewohnte Klänge. Das groß besetzte Orchester mit u.a. sieben Kontrabässen, sechs Harfen, Wagnertuben, Hörnern, Trompeten, Posaunen, Holzflöten und Schlagwerk wurde spannungsgeladen, wie ich es selten hörte durch die Partitur geführt. Da vernahm man viel Transparenz und Details, die man noch nicht oder so noch nicht gehört hatte. Kam noch der erste Aufzug eher verhalten daher, konnten die Spannungsbögen ab dem zweiten Aufzug kaum aufregender sein. Beim Walkürenritt sprühte und funkelte es nur so vom Podium, die Todesankündigung Sieglindes gelang aufwühlend und das Finale gipfelte in einer Zartheit, dass man mit den Tränen ringen musste.
Das Solistenensemble musste von der wohl in die jeweilige DNS gestanzten Rolle Abschied nehmen und in die neu recherchierten Sprech- und Gesangsweisen mutieren, was für den gebannt lauschenden Zuhörer ein an Textdeutlichkeit kaum zu überbietendes Ergebnis brachte. Die Übertitel waren völlig überflüssig, was man in Oberfranken nicht immer sagen kann.
Derek Weltons Wotan fehlte es zwar etwas an Schwärze in den tiefen Lagen und Strahlkraft in den Höhen, aber seine Rolle als Göttervater geriet in den leisen Klangwolken des Orchesters im Finale zu einem lyrischen Glanzpunkt. Åsa Jäger gab eine besonders im zweiten Aufzug dezente Brünnhilde, die sich dann aber im dritten Aufzug zu höchstdramatischen Gipfeln aufmachte. Sarah Wegener und Maximilian Schmitt gaben als Wälsungengeschwister Sieglinde und Siegmund ein ideales Paar ab. Voller Farben und mit vielen lyrisch-dramatischen Momenten geriet ihre verbotene Liebe zu einem absoluten Höhepunkt der Aufführung. Claude Eichenberger stand als Fricka ihrem undankbaren Ehemann in herrlichem Keif-Moll mahnend und richtend gegenüber. Patrick Zielckes Hunding kam mit dezenter Schwärze aber kraftvollem Bass daher. Ganz wunderbar wurde das Ensemble auch durch die acht Walküren komplettiert.
Das Publikum honorierte den Abend mit tosendem, lang anhaltendem Applaus – zu Recht!
Richard Wagner
Die Walküre / Oper in drei Aufzügen WWV 86B
Konzertante Aufführung in deutscher Sprache
Dresdner Festspielorchester
Concerto Köln
Derek Welton Wotan
Åsa Jäger Brünnhilde
Sarah Wegener Sieglinde
Maximilian Schmitt Siegmund
Patrick Zielke Hunding
Claude Eichenberger Fricka
Natalie Karl Helmwige
Chelsea Zurflüh Gerhilde
Karola Schmid Ortlinde
Ulrike Malotta Waltraute
Ida Aldrian Siegrune
Marie-Luise Dreßen Roßweiße
Eva Vogel Grimgerde
Jasmin Etminan Schwertleite
Dirigent Kent Nagano
Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!
Klein beleuchtet kurz Nr 30: Im Kräutergarten der Percussion klassik-begeistert.de, 25. April 2024