Der Festspielchor singt am 25. Juli 2024 am Grab von Richard Wagner; Foto: Jolanta Łada-Zielke
Am Eröffnungstag der Wagner-Festspiele pflegt der Festspielchor jedes Jahr einen schönen Brauch, um den Meister zu ehren. Am 25. Juli um 10 Uhr singt er ein zehnminütiges Programm am Grab des Komponisten, auf der Rückseite der Villa Wahnfried, begleitet von einigen Musikern des Orchesters. Zuvor legen beide Ensembles dort Blumenkränze nieder. Niemand weiß, wann genau diese Tradition entstanden ist, und sie ist auch nicht allgemein bekannt. Aber diejenigen, die davon wissen, kommen dann in den Wahnfried-Park, um dem Ensemble zuzuhören.
von Jolanta Łada-Zielke
Dieses Jahr bin auch ich da. Bereits zwanzig Minuten vor zehn ist die Grabstätte von Richard und Cosima Wagner von einer Menschenmenge umgeben. Schließlich erscheint der Chor mit seinem Leiter Eberhard Friedrich, der ihn auf einem Klappstuhl stehend dirigiert.
Ich erwarte wenigstens „Wach auf, es nahet gen den Tag“ oder den Pilgerchor aus „Tannhäuser“. Stattdessen höre ich – nach einer instrumentalen Einleitung von drei Posaunisten – Bruckners „Locus iste“. Dieses Stück haben im Repertoire viele Ensembles, ebenso Laienchöre. Deshalb bin ich etwas enttäuscht. Jemand aus dem Publikum bemerkt, dass der Chor unterbesetzt sei und deshalb ein so dünnes Programm präsentiert. Dieses Jahr wurde die Zahl der Sänger von 134 auf 121 reduziert.
Nach der Ehrung des Komponisten mischen sich die Sänger unter die Besucher und fangen an sich mit ihnen zu unterhalten. Es sind einige Chormitglieder hierhergekommen, die dieses Jahr auf dem Grünen Hügel nicht mitsingen, aber ihre Kolleginnen und Kollegen sehen wollten. Diejenigen, die das Glück gehabt haben, den Job zu bekommen, sind sich einig, dass es schön wäre, wieder in der früheren, größeren Besetzung singen zu können.
Der Festspielchor ist seit einigen Jahren vom Pech verfolgt. 2021 hat man ihn wegen der Coronavirus-Pandemie und jetzt aus finanziellen Gründen verkleinert. Während der Pandemie war diese Maßnahme aus Sicherheitsgründen verständlich, aber jetzt?
Schließlich sind dies Sängerinnen und Sänger, die die Opernfestspiele schaffen. „Tannhäuser“ und „Der fliegende Holländer“, die in dieser Saison im Programm stehen, erfordern einen entsprechend großen gemischten Chor. Jetzt klingt das Ensemble im „Tannhäuser“ schön und überzeugend nur in den A-cappella- und Pianissimo-Passagen abseits der Bühne. Wenn das Orchester dazu kommt, hat der Chor nicht mehr die frühere Durchschlagskraft. Als Sängerin mit langjähriger Chorerfahrung füge ich noch hinzu, dass solche Personalkürzungen die Moral eines Ensembles schwächen.
Anstatt den 13 Sängern das Brot wegzunehmen, könnte man die Bühnenausstattung reduzieren, zum Beispiel im II und III Akt von „Tristan und Isolde“. Die Bühne ist dort überladen mit vielen Gegenständen, die nichts zum Inhalt beitragen, und das Publikum in den letzten Reihen kann sie sowieso nicht gut sehen. Im Fall des Festspielchors hat man am falschen Ende gespart.
Mit Vergnügen habe ich Tobias Kratzers „Tannhäuser“ wieder gesehen, weil ich diese Produktion sehr gerne mag. Man aktualisiert ständig das dabei laufende Video, und dieses Jahr wurde es um eine Hommage an Stephen Gould erweitert. Im zweiten Akt, als sich Venus und ihre Clique ins Festspielhaus schleichen, ändert Le Gateau Chocolat die Inschrift auf der Tafel „Dirigenten-Gang“ in „DirigentInnen-Gang“, weil bereits drei Damen auf dem Grünen Hügel hinter dem Dirigentenpult stehen. Ich bin keine Verfechterin der Gendersprache, aber in diesem Kontext ist diese Form akzeptabel.
Zur Besetzung dieser Produktion gehört außerdem ein echter Diamant: der südafrikanische Tenor Siyabonga Maqungo (Walther von der Vogelweide).
Bei seinem Duett mit Klaus Florian Vogt im zweiten Akt habe ich für einen Moment die Augen zugemacht und festgestellt, dass ich keinen Unterschied in der Stimmenfarbe der beiden Sänger höre; nur die Ausdruckkraft ist bei jedem von ihnen anders. Es lohnt sich, diesen Diamanten zu pflegen und ihm eine größere Rolle zu geben, damit er in vollem Glanz erstrahlen kann.
Ein weiteres Juwel dieser Produktion ist die Dirigentin Nathalie Stutzmann. Man spürt, dass sie auch Sängerin ist, weil sie beim Dirigieren gemeinsam mit den Solisten einatmet. Unter ihrer Leitung fühlen sich alle Musiker sehr wohl.
Beim „Einzug der Gäste“ habe ich (stimmlos) folgendes mitgesungen:
Traurig begrüßen wir die edle Halle
wo Kunst und Frieden stößt auf Sparsamkeit,
Wie lange noch der Ruf erschalle:
„Bayreuther Festspielchor muss wieder völlig sein!“
Vielleicht sollten Venus, Oskar und Le Gateau Chocolat ein Banner mit solch einem Wortlaut auf dem Balkon des Festspielhauses aufhängen?
Jolanta Łada-Zielke, 29. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Parsifal Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2024
Richard Wagner, Parsifal, Andreas Schager, Georg Zeppenfeld Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2024
Richard Wagner (1813 – 1883) „Parsifal“ Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2024
Der Chor hat dieses Jahr keine 121, sondern nur 113 Mitglieder, leider.
Marina
Der Festspiel-Chor wurde auf 113 Mitglieder dieses Jahr reduziert. Im Tannhäuser singt der Aufstockungschor mit 8 Mitgliedern.
Martina
Liebe Martina und Marina,
ich habe die Sängerinnen und Sänger des Chors auf der Website der Bayreuther Festspiele unter „Mitwirkende“ gezählt. Hier steht: 32 Soprane (20 I und 12 II), 22 Alti (je 11 Sängerinnen), 36 Tenöre (22 I und 14 II) und 31 Bässe (16 I und 15 II). Das alles ergibt 121 Personen. Bei jeder Stimme gibt es noch eine freie Stelle als N.N. bezeichnet. Aber wenn diese Zahlen nicht stimmen, dann tut es mir umso mehr leid für den Festspielchor…
VG, Jolanta
Auf der Webseite stehen 121 Namen der Sängerinnen und Sänger, ohne Unterscheidung zwischen dem Haupt- und Aufstockungschor 🙂
Jolanta Łada-Zielke
Liebe Jolanta,
ja, irgendetwas ist da vor Monaten durch die Medien gegeistert. Beim Festspielchor müsse man Einsparungen in Kauf nehmen, hat es von offizieller Seite geheißen. Inwieweit sich das in nackten Zahlen ausgewirkt hat, ist mir aber nicht bekannt.
Wenn man nicht mal der Homepage trauen kann, wem dann?! Auf irgendwelche Quellen müssen „wir“ uns ja berufen. Sollte somit schon passen.
Liebe Grüße
Jürgen