Ladas Klassikwelt 15: „Gott ist die Liebe“ von Georg Anton Benda – Entdeckung des Unbekannten

Ladas Klassikwelt 15  klassik-begeistert.de

Foto: Kantorei Sankt Barbara Krakau

von Jolanta Lada-Zielke

Ein Sommerabend Ende Mai 2007, die Sankt Markus Kirche in Krakau. Unser Chor, die Kantorei Sankt Barbara, am Altar versammelt, nimmt mit dem Orchester L‘Estate Armonico unter der Leitung von Wiesław Delimat vier Kantaten von Georg Anton Benda (1722-1795) auf. Die Aufnahme dauert bis spät in die Nacht. Wir sind müde, aber wir strengen uns bis zum letzten Stück an. Das Singen macht uns unglaublich Spaß, besonders die Kantate „Gott ist die Liebe“. Die Leichtigkeit und Lebhaftigkeit dieser Musik hat etwas Optimistisches.

Wie viele Künstler seiner Zeit war Georg Anton Benda oft auf Reisen. Sein Lebensweg führte zunächst von Böhmen nach Berlin, wo er am Hof von Friedrich II. tätig war, dann nach Gotha, München, Florenz, Neapel, Hamburg, Mannheim und Wien.

Während meiner Jahre in Krakau sang ich in vier verschiedenen Kammerchören. Der Chor der deutschsprachigen Gemeinde Kantorei Sankt Barbara war die letzte Station vor meinem Umzug nach Deutschland. Ich halte ihn bis heute für meinen „Traumchor“, dort fand ich alles, wonach ich mich gesehnt hatte: eine kleine Besetzung, musikalisch ausgebildete Mitsänger und als Schwerpunkt Barockmusik. Mir gefiel besonders, dass wir unbekannte, neu entdeckte Werke dem breiteren Publikum präsentierten, darunter Georg Anton Bendas Kantate „Gott ist die Liebe“, die sich früher in der Sammlung der Singakademie zu Berlin befand.

Wiesław Delimat

„Die Singakademie enthielt viele Manuskripte und Noten von der Renaissance bis zur romantischen Musik „, erzählt der Chor- und Orchesterleiter Wiesław Delimat. „Während des Zweiten Weltkriegs stellte sie ihren Betrieb ein. 1945 befand sich der Hauptsitz der Singakademie in der sowjetischen Besatzungszone. Die Russen nahmen alle ihre Sammlungen in die Sowjetunion mit und erst 2001 wurden sie im Konservatorium in Kiew gefunden. Viele Exemplare waren überhaupt nicht aus den versiegelten Kisten ausgeladen. Nach Vereinbarungen über die Rückgabe geraubter Bibliotheksbestände aus Berlin kehrten sie im selben Jahr dorthin zurück. Infolgedessen wurde die Singakademie zu Berlin reaktiviert. Ihr Leiter wurde 2002 Professor Joshard Daus, mit dem ich bereits im Rahmen der Europa-Chor-Akademie zusammengearbeitet habe. Der Professor und seine Mitarbeiter entdeckten die wiederhergestellten Werke Stück für Stück. Darunter waren bekannte Kompositionen, wie die Kopien der ersten Exemplare der Matthäus-Passion von J. S. Bach. Es gab aber auch viele Unikate, wie z. B. eine Sammlung einiger Kantaten von Georg Anton Benda. Ich fragte Professor Daus, ob ich sie in einer zeitgenössischen Partitur abschreiben und sie dann auf einer CD aufnehmen könne. Er stimmte gerne zu. Diese vier Stücke waren das Thema meiner Habilitation. Neben der „Weihnachtsmusik“ wurden erstmals drei weitere aufgeführt: „Gott ist die Liebe“, „Der Glaube kann Gott den Allmächtigen zwingen“ und „Man singet mit Freude“. Einige von diesen Werken befanden sich auch in anderen Privatsammlungen, es gab jedoch keine Exemplare von „Gott ist die Liebe“. Unsere Aufnahme dieser Kantate war eigentlich ihre Uraufführung. “

Von diesen vier Kompositionen ist „Gott ist die Liebe“ musikalisch am geschicktesten geschrieben. Sie dauert nur einige Minuten, hat eine interessante rhythmische und melodische Schicht und die Zuhörer mögen sie. Abgesehen von den Streichinstrumenten klingen nur Hörner dazu, so dass es keine größeren Besetzungsprobleme gibt.

Georg Anton Benda

Die Kantorei Sankt Barbara sang das Stück seitdem oftmals mit verschiedenen Solisten, darunter mit der Krakauer Sopranistin Jolanta Kowalska. Die Aufnahme ihrer Partie ist auf YouTube gelandet und wurde von Marc Minkowski entdeckt, der gerade nach einer Sopranistin für seine Projekte suchte. Dank ihrer Teilnahme an der Aufführung dieser Kantate hat Frau Kowalska dann mehrere Jahre mit Marc Minkowski zusammengearbeitet.

Während des Weltjugendtags in Krakau, sang der Chor ein Fragment der Kantate am Ende des Kreuzweg-Gottesdienstes, weil sein Text von der Liebe Gottes zu den Menschen im Zusammenhang mit der Aussendung des Heiligen Geistes nach der Auferstehung Christi spricht. Einige Zeit nach der Veröffentlichung des Albums sagte eine der Chorsängerinnen, dass ihre fünfjährige Tochter zu Hause „Gott ist die Liebe“ singt.

2008 begann die Kantorei Sankt Barbara in Krakau eine Konzertreihe „Forgotten Baroque – Living Baroque“, in der sie weniger bekannte oder völlig unbekannte Meisterwerke der Barockmusik präsentiert. Zu Beginn trat der Chor mit allen vier Benda-Kantaten sowie mit Musik von J. S. Bach und dem Krakauer Barock-Komponisten Grzegorz Gerwazy Gorczycki auf. Auf diese Weise verband die Kantorei das Bekannte mit dem völlig Unbekannten, aber auch die deutsche mit der polnischen Musik und der sozusagen Slawisch-Deutschen.

„Ich glaube, dass die Musik von Georg Anton Benda, der kein geborener Deutscher, sondern nach Deutschland ausgewanderter Tscheche ist, viele Merkmale der slawischen Melodie und ein bestimmtes rhythmisches Element aufweist, das für Volksmusik charakteristisch ist „, so Wiesław Delimat. „Später führten wir eine der Messen Bendas auf, die wir auch aus dem Manuskript abgeschrieben haben. Unter unseren Chorsängern sind mehrere Musikwissenschaftler, die die Partituren dieser Stücke entwickelt haben. Als Ergebnis dieser Konzerte entstand unser nächstes Album mit unbekannten Kompositionen des deutschen und tschechischen Barocks, da wir auch Werke von Jan Dismas Zelenka aufgenommen haben.“

Die Mitschnitte der CD mit den von der Kantorei Sankt Barbara aufgenommenen Kantaten von Georg Anton Benda können unter dem folgenden Link angehört werden:

http://de.kantorei.pl/musik/4/

Jolanta Lada Zielke, 19. Januar 2020, für
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© Jolanta Lada-Zielke

Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie aus privaten Gründen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Dreißigern.

Professor Dr. Hab. Wiesław Delimat (* 1966), Absolvent der Krakauer Musikakademie in der Orgel- und Dirigierklasse, derzeit Leiter der Abteilung für Kirchenmusik der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. in Krakau. Als Organist, Kammermusiker und Dirigent spielte er Konzerte in den meisten europäischen Ländern, sowie in den USA, China, Israel und Japan. Er trat mit vielen renommierten Orchester- und Chorensembles auf, darunter mit dem Chor des Polnischen Rundfunks Krakau, den Krakauer Philharmonikern, Capella Cracoviensis, NOSPR und der Europa-Chor-Akademie. 1994-1999 leitete er den Chor der Jagiellonen Universität in Krakau. 2000 gründete er den Kammerchor Kantorei Sankt Barbara und das Orchester L’Estate Armonico, mit denen er viele Vokal- und Instrumentalwerke verschiedener Epochen und Stile im In- und Ausland aufführte und aufzeichnete. Wiesław Delimat ist auch Direktor der Musikschule der Erzdiözese 1. und 2. Grades und Organist der Kirche St. Mark in Krakau. Er hat die Funktion des Vizepräsidenten des polnischen Verbands der Pueri Cantores inne. Für seine pädagogische und künstlerische Tätigkeit erhielt er viele Auszeichnungen. Die wertvollste ist der Orden des Heiligen Silvester, verliehen von Papst Benedikt XVI.

Der Chor Kantorei Sankt Barbara ist mit der Kirche St. Barbara in Krakau verbunden, die von der deutschsprachigen Gemeinde bei den Jesuiten geführt wird. Der Chor führt sowohl Vokal- als auch Instrumentalmusik auf, begleitet von einem Orchester, sowie mit A-Capella-Stücken, hauptsächlich aus dem Barock. Der Chor trat in Polen, Litauen, Ungarn und in den USA und in Israel mit dem Jerusalem Barockorchester auf. Er arbeitete mit renommierten Künstlern wie Michael Gielen, Vladimir Ashkenazy, Krzysztof Penderecki und Plácido Domingo zusammen. Seine Mitglieder beteiligen sich regelmäßig an den Projekten der Europa-Chor-Akademie. Das Ensemble ist Preisträger mehrerer bedeutender Chormusikwettbewerbe und hat mehrere CDs aufgenommen, darunter zwei mit bislang unbekannter Barockmusik.

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