Unweigerlich habe ich mich gefragt, ob sich nicht bei Flugzug-Passagieren das Gefühl einstellt, für blöd verkauft zu werden. Und was wohl einem Kino- oder Theaterbetreiber bei solchen Impressionen so durch den Kopf gehen mag. Für mich jedenfalls war das eine Farce.
von Kirsten Liese
(Foto von Kirsten Liese aus dem Lufthansa-Flugzeug zwischen Berlin und Frankfurt am Main, aufgenommen vor wenigen Tagen)
Langsam erwacht die Kultur wieder zum Leben. Die Auflagen zum Infektionsschutz allerdings, die das sachte Hochfahren des Betriebs bedingen, sind nicht ohne, und deshalb können bislang noch sehr wenige Menschen daran teilhaben. Neben einer von Land zu Land differierenden, festgelegten Zuschauerzahl, die nicht überschritten werden darf, macht Theatern und Konzerthäusern vor allem der geforderte Sicherheitsabstand von 1,50 Meter zu schaffen. Denn das bedeutet, dass sie ihre Platzkapazitäten, insbesondere in geschlossenen Räumen, nicht ausschöpfen können, mithin also viele, viele Stühle – wenn nicht ganze Sitzreihen – leer bleiben müssen. Eine schwierige logistische Herausforderung.
Für die renommierten Salzburger Festspiele im Jahr ihres hundertjährigen Bestehens bedeutet das, dass weniger als ein Drittel der vorgesehenen Vorstellungen stattfinden können. Mit einer Zulässigkeit von 1000 Besuchern geht es den Österreichern dabei vergleichsweise noch gut, bedenkt man, dass in Italien nur maximal 250 Zuschauer zulässig sind. Umso mehr bewundere ich den Mut und die Innovation zweier Festivals wie Ravenna und Pesaro, die auf ganz unterschiedliche Weise das Beste aus dieser Situation herausholen: Ravenna weicht auf die Festung Rocca Brancaleone und damit eine Location unter freiem Himmel aus, das Rossini Opernfestival in Pesaro baut sein entzückendes Teatro Rossini dergestalt um, dass das Orchester im Parkett des Saals Platz nimmt und das Publikum voneinander getrennt in den Logen, damit den Abstandsregelungen entsprochen werden kann.
All diese Klimmzüge erscheinen mir allerdings fraglich, wenn ich beobachte, wie es vergleichsweise in der Luftfahrt zugeht. Einer meiner ersten Flüge nach langer Zeit vor wenigen Tagen, bei dem ich auch ein bisschen investigativ unterwegs war, förderte jedenfalls Befremdlichkeiten zutage.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich selbst fliege gerne, bin darauf auch aus beruflichen Gründen angewiesen und könnte viele meiner dienstlichen Reisen anders gar nicht gestalten. Es wäre von daher mitnichten mein Interesse, dass keine Flieger mehr an den Start gehen.
Mein kurzer Trip auf der Strecke von Berlin nach Frankfurt und retour glich jedenfalls einer Art Schmierentheater. Das fing schon bei der Security an. Dort darf man neuerdings nur ein einziges Gepäckstück mit sich führen, selbst eine zusätzliche kleine Handtasche darf nicht über der Schulter hängen, sondern muss noch in den Koffer. Warum konnte mir niemand beantworten. Außerdem muss neuerdings jeder vor dem Ganzkörper-Scanner seine Schuhe ausziehen. Wie ernst aber soll man bitteschön sogenannte Hygieneregeln nehmen, wenn einem zugemutet wird, auf Socken oder barfuß durch den Security-Bereich zu laufen, wo vor einem schon Hunderte anderer Passagiere womöglich mit Fußpilzen langgegangen sind? Was ist das für ein Verständnis von „Hygiene“? Ich wollte mich damit nicht abfinden und bestand darauf, wenigstens meine hauchdünnen Hotelhausschuhe anzuziehen, was mir erst nach einigen Auseinandersetzungen genehmigt wurde.
Aber das Beste kommt noch. Auf dem Terminal und vor dem Gate erreichten mich gefühlt im zehn Minuten-Takt Lautsprecherdurchsagen, in denen mantra-artig auf den erforderlichen Mund-Nasen-Schutz und das Abstandsgebot hingewiesen wurde. In Frankfurt wurde direkt am Gate nochmal kurz vor dem Einstieg ordentlich Stress aufgebaut mit dem Hinweis, wenn wir zu dicht beieinander stünden, würde gleich die Bundespolizei vorbeikommen. Bei den ohnehin schon spärlichen Sitzgelegenheiten war jeder zweite Sitz mit einem Band abgesperrt.
Aber kaum erreichte ich die Kabine, war alles anders – Normalzustand wie vor Corona-Zeiten. Notgedrungen stand man nun dicht an dicht, um zu seinem Platz vorzudringen. Vor allem aber sollte ich mich gewaltig täuschen, was die Platzierung betrifft. Natürlich ging ich davon aus, dass zumindest die Mittelplätze frei gehalten würden. Aber weit gefehlt. Sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückflug war die Maschine knackevoll, wir saßen dicht beieinander und sahen wohl alle mit unseren Masken aus wie eine Herde von Gespenstern. Wäre ich ein ängstlicher Mensch, ich hätte mich wohl sehr unwohl gefühlt.
Wie meine Recherchen ergeben, haben andere Medien auf diese Missstände schon im März hingewiesen, aber geändert hat sich offenbar nichts.
Ob sich nun, wie hier und da behauptet wird, das Virus weniger verbreitet, wenn sich die Maschine in der Luft befindet, kann ich zwar nicht beurteilen. Aber alleine am Boden vor dem Start saß ich in der Kabine mindestens eine gute halbe Stunde, auf dem Rückflug sogar noch länger, weil zwei Passagiere nicht gekommen waren und ihre Koffer entladen werden mussten. Und besonders lustig wird es, wenn das Bordpersonal einen kleinen Snack und Wasser austeilt. Spätestens dann nämlich fallen bei den Passagieren auch die Masken, über deren Nützlichkeit die Meinungen freilich weit auseinander gehen.
Unweigerlich habe ich mich gefragt, ob sich nicht bei Passagieren das Gefühl einstellt, für blöd verkauft zu werden. Und was wohl einem Kino- oder Theaterbetreiber bei solchen Impressionen so durch den Kopf gehen mag. Für mich jedenfalls war das eine Farce.
Kirsten Liese, 5. Juni, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .
Ich bin gespannt, wie es mir gehen wird. Ich fliege am 18.06. das erste Mal seit dem Lockdown wieder. ZRH-TXL (der ja jetzt doch noch offen bleibt…). Herzlichen Dank für den Bericht.
Alexander Seidel
Man wird ja sehen, ob die Effizienz der Lüftungsanlagen an Bord als Risikovorsorge der Airlines ausreicht. Für Opern- und Konzerthäuser, in denen ich 50-mal mehr Zeit verbringe, wünsche ich mir allerdings größere Sicherheit! In meinem 70. Lebensjahr entspreche ich vermutlich dem Alterdurchschnitt des Klassikpublikums, welches eine Risikogruppe für schwere Krankheitsverläufe darstellt. Die Vorsicht, mit der man sich jetzt wieder an den Spielbetrieb herantastet, halte ich für angebracht, so sehr ich jetzt schon drei Monate lang das live-Erlebnis vermisst habe!
Lorenz Kerscher
Sehr geehrter Herr Kerscher,
bei allem Verständnis für Ihre Situation, so ist sie doch eine persönliche. Es mag andere geben, die als Geschäftsreisende drei mal in der Woche oder häufiger mit dem Flieger unterwegs sind und seltener ins Konzerte oder in die Oper gehen. Deshalb sollten im öffentlichen Leben allgemeine Standards gelten, zumal die Passagierzahlen in der Luftfahrt gerade auch enorm wieder zunehmen, was einer der Gründe ist, warum uns Berlinern – glücklicherweise !- der Flughafen Tegel nun doch erhalten bleibt. Zudem wurde ja doch in all den Wochen des Lockdowns immer der Schutz jedes einzelnen gefordert. Das sollte dann auch für Fluggäste gelten. Zudem begründet Ihr Einwand nicht, warum Flugreisende am Gate angehalten werden, den Abstand einzuhalten, wenn er in der Kabine nicht gilt. Das ist doch nun wirklich witzlos, finden Sie nicht?
Kirsten Liese
Sehr geehrte Frau Liese,
ich bin zu demütig, um meine persönliche Sicht zu einem allgemeinen Dogma aufzublasen. Zu sehr hat sich mir Helmut Quatltingers Zitat eingeprägt: „Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.“
Die Airlines argumentieren damit, dass die Lüftungsanlagen an Bord Reinraumbedingungen schaffen. Für mich als Biochemiker, der einen Teil seiner Experimente unter sterilen Bedingungen durchführen musste, ist das nachvollziehbar. Am Gate sind die Bedingungen wohl weniger klar beschreibbar, also ist es nicht falsch, dort auf Nummer sicher zu gehen.
Mein Wunsch ist, dass passend zur Situation möglichst wirkungsvolle Standards gelten mögen. Wenn unser Chor zu 80 Personen bei geschlossenen Fenstern in einem Klassenzimmer probt und der Nachbar einem fast auf dem Schoß sitzt, ist es etwas ganz anderes, als wenn die Leute in einem gut gelüfteten Flieger sitzen, Maske tragen und Klappe halten.
Herzliche Grüße, Lorenz Kerscher
Sehr geehrter Herr Kerscher,
von „wirkungsvollen Standards“ sind wir wohl sehr weit entfernt. Jedes Land und jedes Bundesland hat andere, Thüringen hat gerade das Kontaktverbot aufgehoben, Neuseeland den Virus für tot erklärt und ist zum Normalzustand zurückgekehrt, Schweden hat ganz auf einen Lockdown verzichtet. Die einen Experten wollen an der Maskenpflicht festhalten, weil sie angeblich etwas bewirken soll, die anderen sagen genau das Gegenteil. Österreich hebt am 15. Juni die Maskenpflicht auf, bei uns müssen wir weiter mit einem Maulkorb herumlaufen. Im Freien vor den Einkaufsläden finden sich Markierungen zum Abstandsgebot, auf Demos stehen 15.000 Menschen in vielen Metropolen ohne Maske dicht an dicht. Ob die Belüftungsanlagen in den Airlines etwas bewirken, ist nicht erwiesen. Zudem hockt man auch an Boden lange Zeit dicht nebeneinander vor dem Start. Da die Infektionszahlen gleichwohl nicht in die Höhe schnellen, könnte man vielleicht auch zu dem Schluss kommen, dass der Virus weniger gefährlich ist als ursprünglich angenommen.
Beste Grüße, Kirsten Liese