„Auch wenn mir nur wenige persönliche Treffen mit ihr vergönnt waren, so fehlt sie mir sehr. Es vergehen nur wenige Tage, an denen mir nicht irgendein Satz von ihr durch den Kopf geht.“
von Kirsten Liese
Meine Kolumne feiert heute Jubiläum. Zur 50-sten muss es etwas Besonderes sein.
In Zeiten, in denen Linksextremisten Denkmäler zerstören, geniale Denker wie Immanuel Kant als Kolonialisten verdammen, auf der europäischen Hochkultur herumtrampeln und daran arbeiten, Geschichte auszulöschen, ist mir danach, ein Denkmal zu errichten. Ich setze es der Sängerin, die ich unter allen wohl am meisten verehre: Elisabeth Schwarzkopf, bis heute unübertroffen für ihre Interpretationen von Mozart, Strauss und Hugo Wolf.
Gerade zeigt Arte sie anlässlich des Salzburg-Jubiläums noch einmal in ihrer Paraderolle als Marschallin in Paul Czinners Rosenkavalier-Film aus dem Jahr 1960, mit dem Herbert von Karajan das Große Festspielhaus damals eröffnete.
Der Film wurde leider im Playback-Verfahren aufgenommen, offenbart aber alles, was dieses geniale Rollenporträt ausmacht: Schwarzkopfs Marschallin ist schön, vornehm, weise und überlegen. Und das nicht nur in den beiden Monologen „Kann mich auch an ein Mädel erinnern“ und „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ und im Terzett „Hab‘ mir’s gelobt, ihn lieb zu haben“, sondern auch in jeder noch so kurzen Replik und Phrase. Am Rande ihrer letzten Meisterklassen in der Villa Schindler sagte mir die Grande Dame entsprechend auch: „Mit der Marschallin können Sie nicht auftrumpfen. Sie hat keine großen Arien zu singen, Sie müssen das Publikum rühren.“
Eben darin lag ihre Meisterschaft. „Ein halb mal lustig, ein halb mal traurig“ ist ihre Figur, ideal hält sie die Balance zwischen Melancholie und Leichtlebigkeit. Ihre Begegnung mit Baron Ochs kommt herrlich verschmitzt daher („Der Vetter ist, ich seh‘, kein Kostverächter“), und in ihrem finalen Seufzer „Ja, ja“ liegt die ganze Lebensweisheit dieser wunderbaren Frau.
Es gibt noch eine andere Video-Aufzeichnung mit Schwarzkopf in dieser Partie, von 1961 aus Wiesbaden, die ich atmosphärisch und wegen synchroner Lippenbewegungen noch besser finde. Aber wie ich in einer anderen Klassikwelt schon schrieb: Diese Aufnahme darf ich aus lizenzrechtlichen Gründen leider nicht veröffentlichen, mithin bleibt der Czinner-Film das einzige Dokument in Bild und Ton mit Schwarzkopf in ihrer Paraderolle. Und das ist zum Glück immer noch einzigartig genug!
An Tondokumenten mangelt es zum Glück ja nicht, allein schon ihr Ehemann, der legendäre EMI-Plattenproduzent Walter Legge, machte unzählige Aufnahmen von ihr.
In ihren jungen Jahren sang Elisabeth Schwarzkopf auch ausgewählte Rollen aus Wagners Musikdramen und italienischen Opern, besonders gern das Evchen in den Meistersingern sowie die Elsa im Lohengrin, die Elisabeth im Tannhäuser, die Alice Ford im Falstaff und besonders oft an der Wiener Staatsoper, wie ihr der damalige Intendant Ioan Holender einmal vorrechnete, die Violetta in La Traviata. Und das, wie alte Tondokumente bezeugen, fulminant. Aber nachdem sie ihre Freundin Maria Callas als Violetta gehört hatte, stand für die selbstkritische Perfektionistin fest, dass sie diese Rolle nicht mehr singen würde. Am Ende reduzierte Elisabeth Schwarzkopf ihr Repertoire auf wenige Partien, mit denen sie Maßstäbe gesetzt hatte: Neben der Marschallin waren dies die Gräfinnen in Mozarts Figaro und in Strauss‘ Capriccio sowie die Donna Elvira im Don Giovanni, festgehalten in einer Aufführung aus den fünfziger Jahren unter Wilhelm Furtwängler in der Salzburger Felsenreitschule, sowie die Fiordiligi in Così fan tutte.
Mehr noch als der Oper verpflichtete sich die Sopranistin dem deutschen Kunstlied. Mir fällt es schwer, unter den vielen Liedern von Wolf, Strauss, Schubert, Brahms, Mozart und Mahler, die sie interpretierte, einzelne Titel hervorzuheben, und wenn ich es an dieser Stelle doch wage, dann orientiert sich die Auswahl wohl an den Liedern, die ich seitens der Komposition besonders liebe: den zart versponnenen, melancholisch angehauchten Morgen sowie die Vier letzten Lieder von Strauss, An die Musik von Schubert, Im Schatten meiner Locken von Hugo Wolf oder das Vergebliche Ständchen von Johannes Brahms.
Eine penible Sorgfalt im Umgang mit der Sprache bis in kleinste Nuancen von Vokalen und Konsonanten hinein, ein großes Farbenspektrum und die genaue Übereinstimmung von Text und Klang zeichneten diese Interpretationen aus. Zu ihren Meisterschülern höre ich sie noch sagen: Farben, Farben, Farben. Und: Fantasie, Fantasie, Fantasie. Und: „Wenn ihr bei Strauss keine Farben singt, ist der ganze Strauss im Eimer“.
Elisabeth Schwarzkopf war jedoch nicht nur eine Jahrhundertsängerin. Sie sah – wie es gerade auch eine noch junge Kollegin wie Anna Prohaska in einer aktuellen Dokumentation sagt, eine Schönheit, die in ihren jungen Jahren mit hohlen Wangenknochen an Marlene Dietrich erinnert. Wie schön sie, die sich selbst auch als einen „Augenmenschen“ beschrieb war, offenbaren auch Fotografien in meinem 2006 erschienenen Bildband „Elisabeth Schwarzkopf – Vom Blumenmädchen zur Marschallin“.
Den Menschen Elisabeth Schwarzkopf erlebte ich persönlich als ausgesprochen großzügig, liebenswert und humorvoll. Vielen jungen Sängerinnen und Sängern gab sie kostenlos Unterricht.
Ich hatte das Glück, sie wenige Jahre vor ihrem Tod kennenzulernen, als sie im intimen, familiären Kreis in der Villa Schindler ihre letzten Meisterklassen gab, in entspannter Atmosphäre ohne Anwesenheit eines Fernsehteams.
Dass sie streng sein konnte, wofür sie in früheren Meisterklassen gefürchtet und angegriffen wurde, blieb einem nicht verborgen. Aber wenn jemand im harten Betrieb hoch hinaus will, erscheint das nicht umgänglich. In der Villa Schindler haben sich die Elevinnen und Eleven daran nicht gestört. Im Gegenteil, sie waren froh drum, dass sie endlich jemand einmal herausforderte und hohe Ansprüche an sie stellte. Nur so kann man über sich hinauswachsen.
Da freilich kam ein wenig der preußische Wesenszug der Künstlerin zum Ausdruck, die zwar 1915 in Jarotschin in Posen geboren wurde, ihre jungen Jahre aber in Berlin verlebte und sich über die vielen Jahre, die sie schließlich in Österreich verlebte, ein wenig den Wiener Dialekt zu eigen machte. Es wurde gleichwohl in ihrem Unterricht viel gelacht und mithin ein ideales Arbeitsklima gegeben. Zum Glück hat Annemarie Schindler das alles mit ihrer Videokamera festgehalten.
Elisabeth Schwarzkopf Die letzten Meisterklassen in Telfs – Rezension-2
Über die falschen politischen Anschuldigungen, die Elisabeth Schwarzkopf zeit ihres Lebens als angebliche NS-Mitläuferin über sich ergehen lassen musste, hatte ich bereits in einer früheren Klassikwelt „Skandale“ ausführlich geschrieben.
Am 3. August vor vierzehn Jahren starb sie. Auch wenn mir nur wenige persönliche Treffen mit ihr vergönnt waren, so fehlt sie mir sehr. Es vergehen nur wenige Tage, an denen mir nicht irgendein Satz von ihr durch den Kopf geht. Bekanntlich fand Schwarzkopf – und das aus meiner Sicht völlig zurecht – scharfe Worte für viele zeitgenössische Inszenierungen. Bei solchen scheußlichen Produktionen, wie sie Tobias Kratzer mit seinem Tannhäuser zuletzt in Bayreuth ablieferte, hätte sich ihr wohl der Magen umgedreht. Wiewohl mit Thomas Hampson in der Titelpartie einer ihrer Schüler zu erleben war, sagte sie ja schon über den von Martin Kusej 2004 inszenierten Don Giovanni in Salzburg, sie habe es „mit knapper Not zur Pause geschafft“.
Aber es gibt noch einen gewichtigeren Satz, der mir aktuell in diesen politisch verrückten Zeiten fast täglich durch den Kopf geht: „Standhalten im Strom!“
Kirsten Liese, 28. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Samstag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Sophies Welt (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .
Beitragsbild: Von Max Albert Wyss – Stiftung Fotodokumentation Kanton Luzern, CC BY 2.5 ch, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15903505
Sehr geehrte Frau Liese, toller Bericht über Elisabeth Schwarzkopf. Wissen Sie, ob irgendjemand eine Biografie schreibt, wo nach neuen Kenntnissen mal die angeblichen politischen Verwicklungen von der Sängerin ins richtige Licht gesetzt werden?
Mit besten Grüßen
Susanne Holtze
Sehr geehrte Frau Holtze,
danke für Ihr Interesse.
Mir ist nicht bekannt, dass ein weiteres Buch über Elisabeth Schwarzkopf in Arbeit wäre und da sich der gewisse Herr Nachbauer geweigert hat, mir alle Dokumente vorzulegen – ob er das anderen Autor/innen gegenüber tun würde kann ich nicht einschätzen- kann ich das leider (noch) nicht in Angriff nehmen.
Darüber hinaus habe ich damals schon versucht, andere Journalisten zu motivieren, in Eigenrecherche an das Material heran zu kommen, unter anderem auch eine Kollegin von der FAZ, aber entweder sie waren zu desinteressiert oder nicht mutig genug – jedenfalls fiel meine Anregung leider auf keinen fruchtbaren Boden.
Herzliche Grüße, Kirsten Liese
…dafür gibt es über LISA DELLA CASA (die bekanntlich die Marschallin bei der Eröffnung des Großen Salzburger Festspielhauses 1960 sang) ein neues Buch ( Lisa Della Casa, „Evocation“, von Christophe Capacci, erschienen 2019, in französischer Sprache.) Man kann eine persönliche Meinung nicht zur Maxime erheben, wie es Frau Kirsten Liese in Bezug auf Elisabeth Schwarzkopf (die „Unerreichte“…) stets verkündet.
Frau Della Casa sang in Salzburg sieben( !) Rollen von Richard Strauss, die Schwarzkopf eine einzige(!), und diese wurde wegen der Verfilmung des „Rosenkavaliers“ (die ursprünglich auch Frau Della Casa zugesagt worden war) in die RK Serie von 1960 eingeschoben, um sie als „Dokument“ der Festspiele ausgeben zu können; den Film mit der „Eröffnung“ gleichzusetzen, ist daher schlicht und einfach falsch!
Dass der „geniale“ Walter Legge mit seinem Platten-Imperium und Einfluß der Karriere
Lisa Della Casas (und nicht nur dieser) schadete, liegt auf der Hand (der RK Film war nicht die einzige Intrige); nur an der MET war er machtlos. Dort verkörperte Lisa Delle Casa 11 Partien in 15 Jahren. Sie hat ihr großes Mozart und Strauss Repertoire eine ganze Karriere lang auf der Bühne dargestellt, und trat mit ihrer Glanzrolle, der „Arabella“ (sie allein auf diese Rolle zu reduzieren wäre ebenfalls unrichtig) in der Wiener Oper 1973 ab. Noch in ihrem letzten Lebensjahr, 2012, erhielt sie vom französischen Kultusminister den höchsten Kulturorden des Landes, den „Commandeur de l`ordre des Arts et des Lettres“ verliehen.
Wien, am 27.9.2020
Dr. Alf Gerd Fantur
Sehr geehrter Herr Dr. Fantur,
es freut mich sehr zu lesen, dass Sie Lisa della Casa sehr verehren. Das haben wir gemeinsam! Ich liebe Lisa Della Casa schon seit meiner Kindheit, habe etliche Autogrammkarten von ihr und auch über sie mehrfach schon geschrieben, etwa auch das Buch „Von der Arabella zur Arabellissima“ von Gunna Wendt rezensiert. In der Tat war Della Casa eine wunderbare Marschallin wie auch eine wunderbare Figaro-Gräfin, und ich liebe im Übrigen auch sehr ihre Interpretationen von Händels Arien aus dem „Julius Cäsar“. Mein Gott, singt sie sie schön und klar, da kann- das muss ich leider sagen – die von mir sonst so hoch verehrte Joyce DiDonato, die ich gerade mit dem „Piangeró“ hörte, einpacken. Insofern haben Sie mich gründlich missverstanden, wenn Sie annehmen, ich ließe außer Elisabeth Schwarzkopf niemanden gelten. Dass ich Schwarzkopf persönlich als Marschallin einen minimalen Vorzug gebe, liegt an einer Nuance der Verschmitztheit, die sie für mich in die Rolle einbrachte wie keine andere. Aber Stimmen sind natürlich auch ohnehin immer eine subjektive Angelegenheit. Dass beide Sängerinnen in der Rolle Maßstäbe setzten, steht wohl außer Frage. Nur wurde Lisa Della Casa politisch nie so angegriffen wie Frau Schwarzkopf, weshalb ich mir in den vergangenen Jahren etwas mehr widmete. Beste Grüße, Kirsten Liese
Tja, ja… Stimmen sind in der Tat eine subjektive Angelegenheit…
Rudolf Hartmann, der Regisseur der Salzburger Rosenkavalier-Festspielproduktion (1960) und somit auch des Films, meinte zu der „Umbesetzung“ der Marschallin, dass das eine „undurchsichtige Sache“ war, die LDC nicht verdient hat. „Ihre, so wie die Autoren es wollten, junge und schöne Marschallin wäre für den Film nur eine Bereicherung gewesen.“ (Zitate „DAS GELIEBTE HAUS“ von Rudolf Hartmann)
Alf Gerd Fantur