Lieses Klassikwelt 8 / 2019: Skandale

Lieses Klassikwelt 8 / 2019  klassik-begeistert.de

Auch im Lebenslauf der genialen Mozart- und Strauss-Sängerin Elisabeth Schwarzkopf gibt es Dinge richtig zu stellen: Dass sie 1942 Mitglied der NSDAP wurde, hatte nichts mit persönlichem Ehrgeiz oder menschlicher Kälte und am allerwenigsten mit Antisemitismus zu tun, sondern resultierte aus einer von Verzweiflung und Repressionen geprägten Situation.

von Kirsten Liese

So manche Operngänger suchen das Event. Sie wollen miterleben, was für Verrücktheiten sich Regisseure einfallen lassen und wie sie am Ende dafür ausgebuht werden.

Mittlerweile scheint sich aber das Publikum weniger stark davon beeindrucken zu lassen, die Provokation um der Provokation willen zieht nicht mehr. Oder war die jüngste Premiere von „Die Macht des Schicksals“ an der Deutschen Oper Berlin, bei der Zuschauer  „Verdi, Verdi“  riefen, nachdem auf der Bühne zusätzliche, werkfremde Texte ins Spiel kamen, doch ein Skandal?

Was ist eigentlich ein Skandal? Manch einer ist erst künstlich zu einem gemacht worden wie im Fall von Maria Callas. So brachte Tom Wolfs großartiger Dokumentarfilm „Maria by Callas“  ans Licht, dass die Diva 1958 eine Gala-Vorstellung der „Norma“  in Rom abbrach, weil sie an einer schwerwiegenden Bronchitis litt, die ihre Stimme gefährdete und nicht wegen Allüren, wie es von der Presse kolportiert wurde.

Auch im Lebenslauf der genialen Mozart- und Strauss-Sängerin Elisabeth Schwarzkopf gibt es Dinge richtig zu stellen: Dass sie 1942 Mitglied der NSDAP wurde, hatte nichts mit persönlichem Ehrgeiz oder menschlicher Kälte und am allerwenigsten mit Antisemitismus zu tun, sondern resultierte aus einer von Verzweiflung und Repressionen geprägten Situation. Im schriftlichen Nachlass der Sopranistin tauchten wichtige Dokumente auf, die das belegen. Als überzeugter Antifaschist hatte ihr Vater einiges an Widerstand gegen die Nazis riskiert, das brachte mit sich, dass er mehrfach Anstellungen als Studienrat verloren hatte und die Familie vielerorts denunziert und stigmatisiert wurde. Deshalb blieb seiner Tochter Elisabeth nichts anderes übrig, als schließlich auf Vaters Drängen hin der Partei beizutreten, sofern sie sich und ihre Familie nicht in noch größere Schwierigkeiten bringen wollte.

Erfahren hatte ich 2008 von den Briefen, Protokollen und Schriftstücken dank einer großen Schwarzkopf-Verehrerin, die sie in einer Ausstellung in Hohenems entdeckte, fotografierte und mir ihre Ablichtungen zuschickte. Ich erkannte die Brisanz und kontaktierte den Schubertiade-Leiter Gerd Nachbauer mit der Bitte, mir diese wichtigen Dokumente vorzulegen.

Es geschah das Unfassbare: Nachbauer verweigerte mir die gewünschten Einsichten.  Er schaltete auch dann noch auf stur, als sich Schwarzkopfs Tonmeister Johann-Nikolaus Matthes, den ich darüber in Kenntnis setzte, einschaltete – auch ihm wollte Nachbauer diesen wichtigen Fund nicht vorlegen.

Der Streit eskalierte, plötzlich verstieg sich Nachbauer sogar zu der Lüge, der Nachlass wäre sein Eigentum. Dabei war Tonmeister Matthes als Zeuge dabei, wie ihm die Dokumente als Dauerleihgabe übergeben wurden – eine Entscheidung, die Matthes als Verantwortlicher sogar mitgetragen hatte, was er bitter bereute.

Als fadenscheinige Begründung gab Nachbauer an, er müsse angeblich erst den gesamten Nachlass aufarbeiten, bevor man ihn vorlegen und veröffentlichen könne, einen Zeitpunkt dafür wollte er aber nicht nennen. Zudem stand die Aussage im Widerspruch dazu, dass er einige Dokumente schon in einer eigenen Ausstellung gezeigt hatte und ich ohnehin daran interessiert war, sämtliche Dokumente zu studieren.

Als Nachbauer dann in Schwarzenberg wenige Jahre später ein neues Schwarzkopf-Museum eröffnete, wo er weitere Dokumente öffentlich präsentierte, war ich natürlich zur Stelle. Zum Glück lange genug ungestört, so dass ich alles Wichtige abschreiben konnte. Denn plötzlich stürzte Nachbauer auf mich, als hätte ich etwas Illegales getan, verbot mir Notizen zu machen, versuchte sogar, mir meinen Block gewaltsam zu entreißen und erteilte mir Hausverbot. Konnte er mich nicht leiden? Aber wieso? Ich hatte ihm nichts getan. Hasste er mich dafür, dass ich einen viel beachteten Bildband über die Sängerin veröffentlicht hatte? Wollte er nicht, dass die Wahrheit bekannt wird?

Das werde ich wohl nie erfahren.

Es war  das erste und einzige Mal, dass meine Pressefreiheit verletzt wurde und eine der übelsten Erfahrungen in meiner langen journalistischen Laufbahn überhaupt.

Selbstverständlich habe ich das damals alles im Radio und in zwei Fachzeitschriften veröffentlicht, sowohl die wichtigen Hintergründe, Zitate und Fakten zur Causa Schwarzkopf, als auch das impertinente, unprofessionelle Gebaren dieses Querulanten.

Aber leider blieb ich die einzige, die darüber berichtete. So etwas nenne ich auch einen Skandal.

Eine Pointe gibt es auch noch: Vor einiger Zeit schickte mir eine Bekannte einen Artikel aus einer Vorarlberger Regionalzeitung, ein Interview mit Nachbauers Vater. Der bringt  zum Ausdruck, wie sehr ihn der Nachlass von Elisabeth Schwarzkopf, den er offenbar akribisch studierte, erschüttert habe, weil ihm klar wurde, wie unrecht man ihr Zeit ihres Lebens in dieser politischen Hinsicht getan hatte. Dafür macht er auch und vor allem Journalisten verantwortlich, weil die sich für diese wichtige Korrespondenz nicht interessiert hätten. Er kennt wohl seinen Sohn recht schlecht.

Kirsten Liese, 15. November 2019, für
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

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