Köln: Wer kann noch so feiern, wie die Luxemburger?

Luxembourg Philharmonic Orchestra, Gustavo Gimeno  Kölner Philharmonie, 27. Oktober 2024

Orchestre Philharmonique du Luxembourg © Johann Sebastian

Luxembourg Philharmonic Orchestra
Gustavo Gimeno, Dirigent
Iveta Apkalna, Orgel

Claude Lenners – „out of the blue“ für großes Sinfonieorchester – deutsche Erstaufführung
Ottorino Respighi – Feste romane P 157 – Poema sinfonico für Orchester
Francis Poulenc – Konzert für Orgel, Streicher und Pauken g-Moll FP 93
Ottorino Respighi – Feste romane P 157 – Poema sinfonico für Orchester

Kölner Philharmonie, 27. Oktober 2024

von Daniel Janz

Man kann nicht behaupten, dass Poulenc oder Respighi zu häufig gespielt würden. Zumindest in Köln machen diese Komponisten eher Ausnahmen aus. Widmet sich ein Orchester also ihnen, anstatt allseits bekannten Klassikern, dann verdient diese Entscheidung Lob für ihren Mut. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Gäste handelt. Denn Erfolg ist bei solchen Geheimtipps nie sicher. So gesehen war die Aufführung der Luxembourg Philharmonics bereits im Vorfeld mit Spannung zu erwarten.

Als erstes Stück erklingt jedoch eine Neukomposition inklusive Deutschlandpremiere. Leider aber vereint „out of the blue“ von Claude Lenners einmal wieder alle Klischees der Moderne in sich. Erklärungsarme Klangbrei-Gemische brechen ohne erkennbare Melodie, Dramatik oder Geschichte, dafür aber mit viel Effekthascherei übereinander herein. Die Instrumentenbehandlung trieft vor Originalität. Es finden sich neben auslandendem Schlagzeug auch Kuriositäten, wie Akkordeon oder Melodica.

Die Erklärungen vom Komponisten helfen auch kaum. Ihm zufolge ist das hier ein „Aufeinanderfolgen von wilden Kaskaden und Klangexplosionen mit abrupten Öffnungen zu weiten akustischen Räumen mit nervösen und aufgeregten Strudelbewegungen“. So viele Adjektive kann man auch als Warnsignal deuten.

Beim Anhören sehnt man sich jedenfalls nach Zeiten, in denen Musik mehr als nur Tonexperiment sein wollte. Wenn ein Werk so sehr kalt lässt, dass man in Gedanken durchspielt, was man Besseres in der Zeit hätte machen können, hat der Komponist dann nicht versagt? Spätestens der matte Schlussapplaus stellt klar: Für die Musiker zahlt sich diese Fleißarbeit wenig aus. Trotz ein paar Anhängern, die Lenners und sein Werk gut finden, sind die Resonanzen am Rest des Abends spürbar euphorischer.

So auch bei Francis Poulencs Konzert für Orgel, Streicher und Pauken. Poulenc komponierte damit eine Studie über das imposante Kircheninstrument, die heute energisch von der lettischen Solistin Iveta Apkalana (47) dargeboten wird. Neben der Möglichkeit, ihre Fingerfertigkeit am Instrument zu beweisen, kann man hier auch die imposante Orgel dieses Konzertsaals endlich einmal in verschiedenen Registrierungen und Stimmlagen genießen. Die Folge: egal, ob Apkalna majestätisch mächtig in die Tasten haut oder gefühlt durch das Stück tanzt, es beeindruckt!

© Astrid Ackermann

Die Aufführung dieser szenischen Musik wirkt ansonsten etwas interpretationsarm. Gerade die Streicher vermitteln den Eindruck, als würden sie ihre Klangteppiche nur routiniert vom Blatt runterspielen. Trotzdem verzückt die Gesamtdarbietung genug, dass Apkalna sich zu einer Zugabe hinreißen lässt und mit Charles-Marie Widors Finaltoccata (aus dessen fünfter Sinfonie) den Saal zum Tosen bringt.

Die wahren Höhepunkte des Abends sind die beiden Werke von Ottorino Respighi. Den Anfang machen die Luxemburger mit „die Feste von Rom“, die in so einer Pracht und Klarheit erklingen, wie man sie sonst wohl noch nicht gehört hat. Klangscharfe Trompetenfanfaren skizzieren in einer dramatischen Szene den Einblick ins römische Kolosseum, in dem christliche Märtyrer gegen Wildtiere ankämpfen. Wahnsinn, wie die Klanggewalt dieser Szene unmittelbar an die Grenzen des Erfassbaren geht.

Ebenso beeindruckend bietet das Orchester die Szenen „Jubeljahr“ (Il Giubileo) und das Oktoberfest (L’Ottobrata) dar. Ein klares Hornsolo sticht zu Glockenschlägen hervor, während Glöckchen und Tamburin das Streichertanzen anfachen. Eine Ballade in anmutigen Lautenklängen bildet rührselige Kontraste zum zarten Solocello. Das ganze endet in fulminantem, fast schon in Chaos übergehendem Treiben, als in Szene 4 die Dreikönigsnacht (La Befana) regelrecht zelebriert wird. Es stampft und brummt, donnert und trällert… Diese Szene ist so voller Eindrücke, das muss man selber gehört haben! Ein wahnsinniges Stück, das am Ende für furiosen Beifall sorgt.

Gustavo Gimeno, conductor © Marco Borggreve

Und trotz dieser beeindruckenden Leistung gelingt den Luxemburgern noch eine Steigerung. Die „Pinien von Rom“ – ebenfalls von Respighi – wurden konzeptionell eigentlich vor die „Feste von Rom“ gestellt, sind musikalisch jedoch mindestens ebenso beeindruckend. Die Kontraste stechen hier sogar noch deutlicher hervor.

Auch diese sinfonische Dichtung unterteilt sich in 4 Szenen, von denen die erste die Schillerndste ist und heute bis auf wenige Ausnahmen (das ein oder andere Solo war etwas matt) wunderbar gelingt. Besonders lobenswert erscheint die Celesta, die selbst bei vollem Orchestertrubel hörbar bleibt. Das herauszuarbeiten verdeutlichen, wie viel Augenmerk dieses Orchester unter seinem spanischen Chefdirigent Gustavo Gimeno (48) auf die Details von Respighis beiden postromantischen Werken lenkt.

Diese Klarheit kommt auch der fahl mit Hornstößen begleiteten Katakombenszene oder den wunderbar vom Klavier perlenden Klängen zum Janiculum zugute. Auch das lyrisch einsame Klarinettensolo zum Janiculum hinterlässt Eindruck. Und Mensch – was haben die Luxemburger für starke Trompeter in ihrem Fernorchester! Schon bei den Katakomben brilliert deren Stimmführer. Als sich in der Szene 4 aber das römische Heer auf der Via Appia Richtung Kapitol marschiert, wozu die Fanfaren auf der Empore mitsamt Orgel losdonnern, gleicht das einem triumphalen Siegeszug.

Es ist selbsterklärend, dass hiernach das Publikum fast geschlossen zum fulminanten Abschlussapplaus aufsteht. Und zum Dank schickt das Orchester mit Nino Rotas „Controdanza“ noch ein Kleinod der Filmmusik hinterher. Den Dank kann man nur zurückgeben! Wenn seltene Juwelen der Orchesterkunst so überzeugend gespielt werden, dann kann man aber auch nur jubeln!

Daniel Janz, 30. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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