María Dueñas © Tam Lan Truong
Meisterkonzert im wahrsten Wortsinn: Das City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) spielt unter Kazuki Yamada in der Kölner Philharmonie meisterlich auf. Und María Dueñas lässt uns Beethovens Violinkonzert völlig neu hören. Klingende Glut!
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Violinkonzert D-Dur, op. 61
Hector Berlioz (1803-1869) –Symphonie fantastique op. 14
María Dueñas, Violine
Kazuki Yamada, Dirigent
City of Birmingham Symphony Orchestra
Kölner Philharmonie , 11. März 2024
von Brian Cooper, Bonn
Da sind sie wieder, die alten Freunde, länger nicht gehört, das vorletzte Mal mit Oramo, das letzte Mal mit Mirga. Und die ersten Auftritte unter Simon Rattle bei der MusikTriennale in den Neunzigern bleiben ohnehin unvergessen: John Adams’ Lollapalooza, Bartóks drei Klavierkonzerte mit András Schiff… Und Eduardo Vassallo, der immer noch irgendwie aussieht wie Jesus, ist noch immer Solocellist. Alte Freunde eben. Gute Freunde. Man sieht sie nicht unbedingt oft (Stichwort Jesus), aber wenn, dann ist’s wie gestern.
Die erste Tournee mit dem neuen Chef Kazuki Yamada führte das CBSO in des Dirigenten Heimatland Japan. Nun also die erste Europatournee des – vom jungen Simon Rattle fast 20 Jahre lang geleiteten und zur Weltspitze geführten – Orchesters aus den Midlands. Köln ist die dritte Station, die Westdeutsche Konzertdirektion feiert 111-jähriges Bestehen, ein jeckes Jubiläum, alles ist angerichtet. Und dann sowas. Es wird nicht nur sehr gut. Es wird ein Abend, an den man sehr, sehr lange zurückdenken wird.
Hatten Sie mal das Glück, mit einem Lebensmenschen – bitte jetzt nicht an Jörg Haider denken, lieber an Thomas Bernhard – am Kamin zu sitzen, bei einem großen Glas schweren Rotweins, und bis tief in die Nacht ein langes, vertrauensvolles, intimes Gespräch zu führen? Irgendwann hat einer von Ihnen ein baumstammartiges Holzscheit nachgelegt, und danach hat man schlicht vergessen, mehr nachzulegen, so intensiv ist man aufeinander konzentriert. Das riesenhafte Teil glüht stundenlang vor sich hin, versprüht bisweilen leise Funken, es ist kein Lodern, aber es ist unglaublich warm.
So ungefähr spielt María Dueñas Fernández Violine. Es ist kein nassforsches „Hier bin ich, mach ma Platz!“, sondern sie beginnt – nach beeindruckender Introduktion durch das Orchester – fast zaghaft, bevor sie aufblüht, und das ist so intensiv und so klangschön wie ein Gedicht von Antonio Machado, dessen andalusische Herkunft sie teilt.
Dieses Beethoven-Violinkonzert ist nichts weniger als ein Ereignis. Man hat es oft gehört, und oft sehr gut gehört. Aber, wie mein Ruhrpott-Bekannter „Wotan“ zur Pause bemerkte (und meine gedachten Worte bestätigte): Man hat es neu gehört. Sein Begleiter stimmt zu, stimmt ein, Vergleiche mit der jungen Anne-Sophie Mutter drängen sich auf, und des vorzüglichen Dirigenten Charisma und Eleganz der Bewegungen erinnern uns alle an den kürzlich verstorbenen Seiji Ozawa.
Yamada verleiht dem CBSO eine ganz besondere Klangfarbe, es musiziert prächtig mit der Solistin. Im zweiten Satz gibt es ein Duett zwischen der Geigerin und dem umwerfenden Solofagottisten – man will nicht, dass das jemals aufhört. Die Fragilität dieses so unbeethoven’schen Beethovens wird leider durch eine Handvoll Huster sabotiert, die ihre Armbeuge in diesem Leben nicht mehr finden werden. Ansonsten ist im gesamten Philharmonie-Rund eine geradezu sakral anmutende Aufmerksamkeit spürbar. Ungewöhnlich für Köln. Mit seliger Anspannung lauschen wir den dicht am Steg gespielten Takten vor dem Rondo. Dann geht die Post ab, und schon wieder fällt dieser junge Fagottist positiv auf. (Wie heißt er eigentlich? Namen im Programmheft wären eine schöne Sache.) Yamada dirigiert Einwürfe wie Gesprächsfetzen, es ist ein Fest.
Die Kadenzen sind spannend: War das im ersten Satz Kreisler? Oder gar Dueñas? Sie ist nämlich auch Komponistin, wie ihre zugegebene Beethoven-Hommage beweist: genauso virtuos wie – doch so viel raffinierter als – alle Capricen des sehr nassforschen Niccolò, den sie natürlich auch spielt, dessen Virtuosität jedoch stets Selbstzweck ist. Wie beim meisten Kram von Liszt: viel Aufwand, wenig Ertrag. Dueñas’ Hommage hingegen strotzt vor unzähligen Beethoven-Zitaten, raffiniert eingebaut, darunter das Violinkonzert, eine der beiden Romanzen, irgendeine Violinsonate: Es ist ein heiterer Ratespaß. Und dann bedankt sie sich auch noch bei uns, dass wir gekommen sind. Querida María, wir haben zu danken.
Das Orchester legte nach der Pause eine fulminante Symphonie fantastique aufs Parkett. Grandios, wie Yamada Tempi auskostet, wie weiland Celi bei Bruckner. Nur der Gang zum Richtplatz im vierten Satz ist eher ein Sprint, und gerade dieser Marsch zum Schafott könnte nach meinem Dafürhalten – Lieblingsstelle! – mehr ausgekostet werden.
Überhaupt ist nicht alles perfekt an diesem Abend; es gibt ganz wenige Stellen, die in Zusammenklang bzw. Intonation leicht unpräzise sind. Aber das ist so egal. Diese Glut, die auch im Berlioz da ist, die tatsächlich auflodert, wird zum wortwörtlichen Wahnsinn. Rauschhaft, wahrhaftig berauschend.
Der zweite Satz, der zauberhafte Ball, ist so tänzerisch. Das ist kein Handwerk mehr – das ist wunderbarstes Musizieren. Kazuki Yamada scheint selbst zu tanzen, und er lässt stets die beiden Harfen gut hörbar durchschimmern.
Vor dem dritten Satz klingelt zweimal ein Handy. Der Dirigent bricht ab, bevor er begonnen hat. Nervenaufreibend für die phänomenale Englischhornistin und ihren Kollegen an der Oboe, der auf der Orgelempore postiert ist. Dieser Satz ist Berlioz’ Pastorale (Cluster-Donnergrollen an vier Pauken!) und seine Unanswered Question (die Oboe antwortet zum Ende nicht mehr, wie auch die Liebe des Helden unerwidert bleibt).
Highlights des letzten Satzes – selbstredend neben dem irrsinnig dargebotenen Schluss – sind das kecke, ins Vulgäre abgleitende idée–fixe-Hexensolo der Es-Klarinette, kurz davor das Herunterziehen des Oktavsprungs (portamento, endlich!) in Oboe und Flöten, sowie das tiefe, laute, unendlich lang gehaltene C der Kontrabässe vor dem ersten Glockenschlag, der das Dies irae einläutet. Allein für dieses C würde ich bis nach Antwerpen fahren.
Bleibt zu hoffen, dass der Murks der „Concept Concerts“ schnellstmöglich aufhört. (Bei Überschriften wie „A Bold New Vision“ läuten Alarmglocken.) Ein Orchester, das so spielt wie das CBSO, hat sowas nicht nötig. Das Publikum einfach in die Musik eintauchen lassen, mehr braucht es nicht.
Auch nicht nötig gewesen wäre die Zugabe, Bizets entsetzliche Farandole, die schon Maazel gern schmetternd zugab. Eines der fürchterlichsten Werke der Musikgeschichte, getoppt nur noch von der 1812-Ouvertüre. Dem Publikum gefiel’s, man möchte auch nicht undankbar sein und wünscht der älteren Dame, die vor der Zugabe im Block E kollabierte, rasche und vollständige Genesung.
Dr. Brian Cooper, 12. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gürzenich-Orchester Köln, Programm Nordwind Kölner Philharmonie, 5. Februar 2024
„Julia Fischer und Tschaikowski“ Kölner Philharmonie, 26. Januar 2024