Matthew Halls hebt mit der Matthäus-Passion ab in göttliche Sphären

Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion    Wiener Konzerthaus, 17. März 2024

Matthew Halls © Benjamin Ealovega 2022

Wenn es vor Schönheit schmerzt, ist sonst Teodor Currentzis nicht fern. Unter den Händen von Matthew Halls erreicht die Matthäuspassion dieselbe Wirkung. Aufgrund der Wiener Symphoniker schwebt man auf Wolke sieben. Die Wiener Singakademie verhilft im Wiener Konzerthaus endgültig zur Apotheose – der Erhebung des Menschen zum Göttlichen.

 Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion


Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 17. März 2024

von Jürgen Pathy

„Das dürfte ausverkauft sein – so viel Leut’ hab ich noch nie gesehen“. Bereits vor dem Konzert staunende Gesichter, wohin man blickt. Nach dem Konzert schwebt man dann mindestens zehn Zentimeter über dem Boden. Die Sorge, Bachs längstes Werk – über zweieinhalb Stunden dauert es – könnte zu einem dick-ausgewalzten Brei verkommen, erweist sich als unbegründet.

Überraschendes von den Wiener Symphonikern

Unter der Leitung des Briten Matthew Halls setzen die Wiener Symphoniker zum nächsten Höhenflug an. Mahler fünf in Warschau, Schostakowitsch fünf im Musikverein – das war so noch zu erwarten. Liegt doch das schwere romantische Fach – Mahler, Richard Strauss & Co – im Kernrepertoire des 1900 in Wien gegründeten Orchesters. Dass Bachs Matthäuspassion allerdings derart anmutig und zeitgleich luftig und leicht gelingt, ist die Überraschung schlechthin.

Volle Bühne, Chor in zwei Teilen, sogar das Orchester darf sich doppeln. Zwei Konzertmeister, einer links vom Pult samt seiner Entourage dahinter, dasselbe Bild rechts vom Pult, das Matthew Halls am besten gar nie wieder verlassen sollte. Bei Nikolaus Harnoncourt durfte er als einziger und erster dessen Concentus Musicus Wien als Gastdirigent leiten. Diese Spuren sind geblieben. Auch, wenn das nicht von Start weg ganz so frei und locker klingt, im Laufe dieser ausgedehnten Sonntagsmatinee schaukeln sich alle beinahe in einen überirdischen Spielrausch. Soli, Tutti und göttliche Choräle auf der einen Seite, dieselbe Antwort auf der anderen. Dolby-Surround-Sound anno 1729, könnte man das durchaus bezeichnen. Da hatte Bach sein Meisterwerk vollendet.

Göttliche Stimmen

Als Stimme der Vernunft zelebriert Manuel Walser die Worte des Herrn Jesus Christus, dem Vertreter Gottes auf Erden. Selbst in den tieferen Lagen lässt sich der junge Bariton nicht aus der Ruhe bringen. Mit blutigem, dunklem Timbre legt Sophie Junker ihre Sopranstimme schützend um dessen Schulter. Stuart Jackson serviert als Evangelist nach anfänglicher Aufwärmphase einen kompletten Kontrast in graziler Tenorpracht. Man stelle sich vor, KS Michael Schade träfe auf Jörg Schneider aus der Wiener Staatsoper – voilà, und fertig ist diese zarte Stimme, die durchaus auch das Potenzial hat, um als ungustiöser Herodes im deutschen Charakterfach für Furore zu sorgen.

Aufspringen wollte ich fast schon und vor Freude weinen. Schwingen und tanzen, weil man es geschafft hat, diesen Koloss von jeglichem Ballast und Pathos zu befreien. Rhythmische Behaglichkeit, angefangen beim Basso Continuo, der hier zum Swingen einlädt. Bis über die komplette Solisten-Riege, die allesamt einen ordentlichen Kontrast gebildet haben. Hin zu den Wiener Symphonikern, denen ich einen derart göttlichen Bach nicht zugetraut habe. Und den Damen und Herren der Wiener Singakademie, die mit derart weicher Intonation geglänzt haben, dass man einfach nur ein Resümee ziehen kann. Highlight Nummer drei, göttlich, einfach nur zum Niederknien.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 17. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

BESETZUNG

Wiener Symphoniker
Wiener Singakademie

Stuart Jackson, Evangelist (Tenor)
Manuel Walser, Christus (Bariton)
Sophie Junker, Sopran
Hugh Cutting, Countertenor
Laurence Kilsby, Tenor
Samuel Hasselhorn, Arien, Petrus, Pilatus (Bariton)

Barbara Rett, Präsentation

Matthew Halls, Dirigent

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