Wer solcherart Freude an alter Musik vermittelt, macht diese immer wieder neu und hinterlässt ein Erbe, das auf echter, tiefer Begeisterung beruht. Diese Begeisterung weiterzugeben ist sicher Matthias Janz´ größtes Verdienst. Er verabschiedet sich nach 30 Jahren vom Landesjugendchor Schleswig-Holstein.
Bach-Motetten in St. Jakobi, Lübeck, 7. November 2021
Landesjugendchor Schleswig-Holstein und Ensemble Schirokko Hamburg
Leitung: Matthias Janz
Orgel: Minjun Lee
Mehr als ein Abschiedskonzert
von Dr. Andreas Ströbl (Text) und Dr. Regina Ströbl (Fotos)
Vor anderthalb Jahren gab Professor Matthias Janz „Klassik begeistert“ ein Interview; die Fragen stellte sein langjähriger Chorsänger aus dem Symphonischen Chor Hamburg, Andreas Schmidt. In diesem Gespräch mit dem mehrfach ausgezeichneten Kirchenmusiker, Dirigenten und Chorleiter schwang viel Melancholie angesichts ausgefallener Konzerte mit. Wer den hochgeehrten Vollblutmusiker einmal erlebt hat oder das Glück hatte, mit ihm musizieren zu dürfen, weiß, dass ihm dabei weniger an der eigenen Person gelegen war als vielmehr an den vielen Kolleginnen und Kollegen, denen es in der Corona-Krise an die blanke Existenz ging, und den jungen Musikerinnen und Musiker, denen mit dem Wegfall von Proben und Aufführungen auch der musikalisch-emotionale Boden unter den Füßen und von der Seele weggezogen wurde.
30 Jahre hat Janz den Landesjugendchor Schleswig-Holstein geleitet, aber er ist auch Leiter des Symphonischen Chores Hamburg; dem Flensburger Bach-Chor steht er auch immer noch vor. Zudem hat er sich intensiv für den deutsch-dänischen Kulturaustausch eingesetzt.
Ein Lübecker Kirchenmusiker, der viele Jahre mit Janz zusammengearbeitet hat, schätzt ihn als väterlichen Mentor, der trotz seiner Professur an der Lübecker Musikhochschule und der vielen Ehrungen erfrischend normal und unprätentiös geblieben ist. Vor allem schwärmt er von seinem Talent, gerade junge Leute für Bach zu begeistern und fügt hinzu, dass den Mittsiebziger diese Fähigkeit in jedem Falle selbst im Herzen jugendlich gehalten hat.
Das Publikum in der endlich wieder vollen St. Jakobikirche konnte sich genau davon beim Abschiedskonzert für Matthias Janz am 7. November überzeugen. Natürlich saßen in den Bänken mehrere Generationen Ehemaliger, die ihrem Lehrer, Leiter und Freund Respekt und Dank für mitunter jahrzehntelange Zusammenarbeit, Unterstützung und Ausbildung zollten.
Bereits bei den ersten Takten war klar, dass die Motetten aus dem Standard-Repertoire selten so dynamisch und vor allem freudvoll erklangen, so mit dem eröffnenden, in flottem Tempo und frisch beschwingt dargebotenem „Lobet den Herrn alle Heiden“ (BWV 230). Janz´ tänzerisch-leichte Bewegungen beim Dirigieren übertrugen sich auf den Jugendchor und das Hamburger Ensemble „Schirokko“; die Mitwirkenden schwangen in sanftem Wogen, wortwörtlich mit Leib und Seele der Musik hingegeben. Wann hat man in einem Chor so viele fröhliche Gesichter gesehen? Wer in einer der vorderen Reihen saß, konnte sehen, dass diese Gesichter das Lächeln aus Janz´ Gesicht widerspiegelten.
Die ausgezeichnet spielenden Hamburger Musikerinnen und Musiker verbanden sich in völliger Harmonie mit dem Chor. Präludium und Fuge f-moll (BWV 534) erschall dann von der Orgel, die mit Chor und Orchester räumlich und inhaltlich in einen Dialog trat und so den Kirchenraum klanglich füllte. Der gerade mal 23 Jahre junge koreanische Pianist und Organist Minjun Lee beherrschte die mehrfach umgebaute und erweiterte Große Orgel meisterhaft, sein Spiel war stark und klar.
Aus „Fürchte dich nicht“ (BWV 228) arbeiteten Janz und der Chor eine intime Zartheit heraus; das Textverständnis – und das gilt für alle Motetten des Abends – war hervorragend. Man spürte, dass Janz jede Note und jedes Wort ernstnimmt; anders kann man eigentlich protestantische textbasierte Kirchenmusik gar nicht aufführen. Angemessen umsetzen können es aber eher Wenige.
Was auch deutlich wurde: Der Chorleiter nimmt jede Sängerin und jeden Sänger individuell wahr, in seinem väterlich-nahen Dirigat scheint er mit den einzelnen Mitwirkenden zu sprechen, indem er Textteile lautlos mit dem Mund formt und mit den Einzelnen und den Sängergruppen korrespondiert. „Komm Jesu komm“ (BWV 229) geriet mitunter luftig und transluzid, hier wie auch bei den anderen Stücken brillierten vor allem die Sopranistinnen. Die hohe Qualität der Darbietung speiste sich auch aus den exakten Einsätzen und der Ausgewogenheit von Chor und Orchester. Inhaltlich entstand als Gegenteil von protestantischer Nüchternheit und Schwere aus dem Miteinander von Janz‘ leicht-beschwingten, aber klar akzentuierten Weisungen und der Umsetzung durch die Mitwirkenden ein frohgemutes Bekenntnis.
Wieder als klanglicher Antipode strukturierte die Orgel mit der Triosonate Es-Dur (BWV 525) und später dem Präludium und Fuge e-moll (BWV 548) das festliche Konzert.
In „Jesu meine Freude“ (BWV 227) wechselte eine In-Sich-Gekehrtheit immer wieder mit frohlockenden Aspekten. Zugegeben – der Beginn ist auch musikalisch nicht wirklich freudig, ist es doch eine Begräbnismotette. Vor allem die klare Berücksichtigung von Fermaten und absolut synchron ausgeführten Wortenden schafften eine textliche und klangliche Klarheit im Ausdruck gläubiger Ergebenheit, jenseits von nebulöser Ausschleifung, die gerade in großen Kirchenräumen durch den Nachhall gerne droht. Hier war ernster Ausdruck gefragt, den Janz in der Rücknahme seines engagierten Dirigats erreichte, vom Chor ganz selbstverständlich aufgenommen und in Klarheit ausgeführt, was schließlich nach verhaltener Zuversicht in echte, tiefe Freude mündete.Der „süße Trost“ glänzte in „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ (BWV 226) optimistisch bewegt in Wort und Ton auf, frohe Aufrichtigkeit und Hoffnung erklangen erfreulich glaubhaft. Den Abschluss sollte „Singet dem Herrn ein neues Lied“ (BWV 225) bilden, und tatsächlich schien diese so oft gehörte Motette neu und frisch; die frohen Gesichter gerade der Choristinnen und Choristen machten klar, dass man solche Musik nur authentisch fröhlich singen und spielen kann, wenn ein umsichtiger und zugeneigter Leiter wie Matthias Janz aus Text und Partitur die Botschaft entsprechend herausarbeitet und überträgt. Er tanzte dieses lachende Gotteslob geradezu, hob Worte heraus, die wie der heftig-entschiedene „Trotz!“ in „Jesu meine Freude“ ein überzeugtes Bekenntnis und entschiedenes religiöses Engagement – dies sei als Übertragung des altmodischen Begriffs der „Inbrunst“ gewährt – belegen.
Hinter der pfeffrig-schwungvollen Leitung und dem so leicht erscheinenden Vortrag steckt harte und langwierige Probenarbeit. Man ahnt aber, wie freudvoll und ohne aufgesetzte Autorität das bei Janz vonstatten geht. Aus dem enthusiastischen Applaus sprach deutlich hörbar tiefe Dankbarkeit der zahlreichen Wegbegleiter und so gab es nicht nur zwei Zugaben (Bach und Stanford), sondern abschließend als Geschenk der Mitwirkenden an Matthias Janz das Lied „Der Mensch hat nichts so eigen“ nach einem Text von Simon Dach, das erst vom Chor gesungen und schließlich von den Ehemaligen und dem Rest des Publikums aufgenommen wurde. Juchzer und Fußtrampeln verstärkten den Schlussbeifall immer wieder.
Wer solcherart Freude an alter Musik vermittelt, macht diese immer wieder neu und hinterlässt ein Erbe, das auf echter, tiefer Begeisterung beruht. Diese Begeisterung weiterzugeben ist sicher Matthias Janz´ größtes Verdienst.
Dr. Andreas Ströbl, 8. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
10 Fragen an den Dirigenten Professor Matthias Janz klassik-begeistert.de